Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796.Sievers Briefe ste und reichste an Pflanzen ist, und die herrlichste Aus-sicht von der Welt gewährt; manchen vergnügten Tag habe ich auf ihm zugebracht, und vielmals in der Hütte geschlafen, die unter den schönsten Zirbeln oder Zedern (Cembra), nur wenig unterhalb des kahlen Gipfels, von unsern Rhabarbergräbern mit Fleiß gebauet worden ist. Hier brachte ich meine Pflanzen in Ordnung, die ich des Tages auf diesem schönen Berge sammelte. Da wo die Zirbelfichte aufhört Baum zu seyn, steigt man etwa 800 Schritte an der sanft sich erhebenden Koppe auf- wärts, durch die schöne gelbe Schneerose, das Busch- werk von liegenden Zirbelsichten und anderm Alpenge- sträuch. Oben auf der Ebne des Berggipfels, die wohl drey bis vier Werst in die Länge, und anderthalb in die Breite haben mag, die sich aber hernach wieder in an- dere Gebirge verliert, steht beinahe in der Mitte, auf dem höchsten Punkte, ein Aggregat von verschiedenen ungeheuren Granitblöcken, die etwa sechs bis sieben Klaf- tern hoch seyn mögen. Hier oben eben ist es, wo man die majestätische Aussicht hat. Eine beinahe zahllose Anzahl von Gebirgen, worunter nur einige wenige im Juli noch mit Schnee bedeckt sind, liegen gleichsam zu den Füßen des Anschauers. Unter allen diesen Gebirgen bemerkt ich nur einen der höher noch zu seyn schien wie der meinige; denn seine Koppe ragte nicht allein über alle hervor, sondern war auch ganz dick mit Schnee be- deckt, welcher den ganzen Sommer nicht schmolz. Ohn- erachtet er über 80 Werst von mir entfernt war, so schien er mir doch ganz nahe. Eben genannte Glätzer ragen nie
Sievers Briefe ſte und reichſte an Pflanzen iſt, und die herrlichſte Aus-ſicht von der Welt gewaͤhrt; manchen vergnuͤgten Tag habe ich auf ihm zugebracht, und vielmals in der Huͤtte geſchlafen, die unter den ſchoͤnſten Zirbeln oder Zedern (Cembra), nur wenig unterhalb des kahlen Gipfels, von unſern Rhabarbergraͤbern mit Fleiß gebauet worden iſt. Hier brachte ich meine Pflanzen in Ordnung, die ich des Tages auf dieſem ſchoͤnen Berge ſammelte. Da wo die Zirbelfichte aufhoͤrt Baum zu ſeyn, ſteigt man etwa 800 Schritte an der ſanft ſich erhebenden Koppe auf- waͤrts, durch die ſchoͤne gelbe Schneeroſe, das Buſch- werk von liegenden Zirbelſichten und anderm Alpenge- ſtraͤuch. Oben auf der Ebne des Berggipfels, die wohl drey bis vier Werſt in die Laͤnge, und anderthalb in die Breite haben mag, die ſich aber hernach wieder in an- dere Gebirge verliert, ſteht beinahe in der Mitte, auf dem hoͤchſten Punkte, ein Aggregat von verſchiedenen ungeheuren Granitbloͤcken, die etwa ſechs bis ſieben Klaf- tern hoch ſeyn moͤgen. Hier oben eben iſt es, wo man die majeſtaͤtiſche Ausſicht hat. Eine beinahe zahlloſe Anzahl von Gebirgen, worunter nur einige wenige im Juli noch mit Schnee bedeckt ſind, liegen gleichſam zu den Fuͤßen des Anſchauers. Unter allen dieſen Gebirgen bemerkt ich nur einen der hoͤher noch zu ſeyn ſchien wie der meinige; denn ſeine Koppe ragte nicht allein uͤber alle hervor, ſondern war auch ganz dick mit Schnee be- deckt, welcher den ganzen Sommer nicht ſchmolz. Ohn- erachtet er uͤber 80 Werſt von mir entfernt war, ſo ſchien er mir doch ganz nahe. Eben genannte Glaͤtzer ragen nie
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Sievers Briefe
ſte und reichſte an Pflanzen iſt, und die herrlichſte Aus-
ſicht von der Welt gewaͤhrt; manchen vergnuͤgten Tag
habe ich auf ihm zugebracht, und vielmals in der Huͤtte
geſchlafen, die unter den ſchoͤnſten Zirbeln oder Zedern
(Cembra), nur wenig unterhalb des kahlen Gipfels, von
unſern Rhabarbergraͤbern mit Fleiß gebauet worden iſt.
Hier brachte ich meine Pflanzen in Ordnung, die ich des
Tages auf dieſem ſchoͤnen Berge ſammelte. Da wo die
Zirbelfichte aufhoͤrt Baum zu ſeyn, ſteigt man etwa
800 Schritte an der ſanft ſich erhebenden Koppe auf-
waͤrts, durch die ſchoͤne gelbe Schneeroſe, das Buſch-
werk von liegenden Zirbelſichten und anderm Alpenge-
ſtraͤuch. Oben auf der Ebne des Berggipfels, die wohl
drey bis vier Werſt in die Laͤnge, und anderthalb in die
Breite haben mag, die ſich aber hernach wieder in an-
dere Gebirge verliert, ſteht beinahe in der Mitte, auf
dem hoͤchſten Punkte, ein Aggregat von verſchiedenen
ungeheuren Granitbloͤcken, die etwa ſechs bis ſieben Klaf-
tern hoch ſeyn moͤgen. Hier oben eben iſt es, wo man
die majeſtaͤtiſche Ausſicht hat. Eine beinahe zahlloſe
Anzahl von Gebirgen, worunter nur einige wenige im
Juli noch mit Schnee bedeckt ſind, liegen gleichſam zu
den Fuͤßen des Anſchauers. Unter allen dieſen Gebirgen
bemerkt ich nur einen der hoͤher noch zu ſeyn ſchien wie
der meinige; denn ſeine Koppe ragte nicht allein uͤber
alle hervor, ſondern war auch ganz dick mit Schnee be-
deckt, welcher den ganzen Sommer nicht ſchmolz. Ohn-
erachtet er uͤber 80 Werſt von mir entfernt war, ſo ſchien
er mir doch ganz nahe. Eben genannte Glaͤtzer ragen
nie
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