Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

aus Sibirien.
fer als eine halbe Elle aufgethauet gewesen wäre, so hät-
ten wir Pferde und Bagage selbst tragen müssen; aber
zu unserem Glück war dieses Thal noch voller Eiß und
der Grund gefroren. Hier bedauerte ich innigst, daß
ich nicht zeichnen konnte oder daß keiner bey mir war,
der das äußerst romantisch-pittoresque Thal hätte abma-
len können. Die sonderbaren Felsenfiguren erschienen
unten weit merkwürdiger noch, wie so zu sagen vom Him-
mel herab. Viele einzelne Verge endigen sich damit,
daß ihre Gipfel in eine Pyramide von ungeheuren Felsen-
blöcken aufgethürmt ausgehn. Dies hat ohngefähr das
Ansehen wie wenn Aepfel in einer Schüssel zum Nach-
tisch aufgesetzt werden. Dergleichen Pyramiden finden
sich in diesen Alpen viele, und daher soll der rußische
Name Jablonnoi Chrebet oder Apfelgebirge, ent-
standen seyn. Denn übrigens existiren wirkliche Aepfel
nirgends. Der Uwalista, den wir durchritten, machte
dem Moraste ein Ende und nun folgte bis an das Nacht-
lager am breiten Tschikokan ein trockener guter Weg
größtentheils über Arbutus Uva Ursi, Licher niveus ma-
jor & minor, islandicus major & minor,
und coralli-
nus.
Ein am Tschikokan von den Wildschützen gebau-
ter Balagan, gewährte uns Schutz vor dem Staubre-
gen, der sich um 6 Uhr Abends wieder einstellte. Um
diesen Balagan wuchs Ranunculus geoides, Dracoce-
phal. nutaus, Potentilla nivea u. m.

Den Morgen früh als den 9ten Jun. ließ ich, ohn-
erachtet des fortdauernden Regens, satteln, in der Hoff-
nung es würde aufklären; indem das Ziel der Reise nur

noch
D 5

aus Sibirien.
fer als eine halbe Elle aufgethauet geweſen waͤre, ſo haͤt-
ten wir Pferde und Bagage ſelbſt tragen muͤſſen; aber
zu unſerem Gluͤck war dieſes Thal noch voller Eiß und
der Grund gefroren. Hier bedauerte ich innigſt, daß
ich nicht zeichnen konnte oder daß keiner bey mir war,
der das aͤußerſt romantiſch-pittoreſque Thal haͤtte abma-
len koͤnnen. Die ſonderbaren Felſenfiguren erſchienen
unten weit merkwuͤrdiger noch, wie ſo zu ſagen vom Him-
mel herab. Viele einzelne Verge endigen ſich damit,
daß ihre Gipfel in eine Pyramide von ungeheuren Felſen-
bloͤcken aufgethuͤrmt ausgehn. Dies hat ohngefaͤhr das
Anſehen wie wenn Aepfel in einer Schuͤſſel zum Nach-
tiſch aufgeſetzt werden. Dergleichen Pyramiden finden
ſich in dieſen Alpen viele, und daher ſoll der rußiſche
Name Jablonnoi Chrebet oder Apfelgebirge, ent-
ſtanden ſeyn. Denn uͤbrigens exiſtiren wirkliche Aepfel
nirgends. Der Uwaliſta, den wir durchritten, machte
dem Moraſte ein Ende und nun folgte bis an das Nacht-
lager am breiten Tſchikokan ein trockener guter Weg
groͤßtentheils uͤber Arbutus Uva Urſi, Licher niveus ma-
jor & minor, islandicus major & minor,
und coralli-
nus.
Ein am Tſchikokan von den Wildſchuͤtzen gebau-
ter Balagan, gewaͤhrte uns Schutz vor dem Staubre-
gen, der ſich um 6 Uhr Abends wieder einſtellte. Um
dieſen Balagan wuchs Ranunculus geoides, Dracoce-
phal. nutaus, Potentilla nivea u. m.

Den Morgen fruͤh als den 9ten Jun. ließ ich, ohn-
erachtet des fortdauernden Regens, ſatteln, in der Hoff-
nung es wuͤrde aufklaͤren; indem das Ziel der Reiſe nur

noch
D 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0065" n="57"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">aus Sibirien.</hi></fw><lb/>
fer als eine halbe Elle aufgethauet gewe&#x017F;en wa&#x0364;re, &#x017F;o ha&#x0364;t-<lb/>
ten wir Pferde und Bagage &#x017F;elb&#x017F;t tragen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en; aber<lb/>
zu un&#x017F;erem Glu&#x0364;ck war die&#x017F;es Thal noch voller Eiß und<lb/>
der Grund gefroren. Hier bedauerte ich innig&#x017F;t, daß<lb/>
ich nicht zeichnen konnte oder daß keiner bey mir war,<lb/>
der das a&#x0364;ußer&#x017F;t romanti&#x017F;ch-pittore&#x017F;que Thal ha&#x0364;tte abma-<lb/>
len ko&#x0364;nnen. Die &#x017F;onderbaren Fel&#x017F;enfiguren er&#x017F;chienen<lb/>
unten weit merkwu&#x0364;rdiger noch, wie &#x017F;o zu &#x017F;agen vom Him-<lb/>
mel herab. Viele einzelne Verge endigen &#x017F;ich damit,<lb/>
daß ihre Gipfel in eine Pyramide von ungeheuren Fel&#x017F;en-<lb/>
blo&#x0364;cken aufgethu&#x0364;rmt ausgehn. Dies hat ohngefa&#x0364;hr das<lb/>
An&#x017F;ehen wie wenn Aepfel in einer Schu&#x0364;&#x017F;&#x017F;el zum Nach-<lb/>
ti&#x017F;ch aufge&#x017F;etzt werden. Dergleichen Pyramiden finden<lb/>
&#x017F;ich in die&#x017F;en Alpen viele, und daher &#x017F;oll der rußi&#x017F;che<lb/>
Name <hi rendition="#fr">Jablonnoi Chrebet</hi> oder Apfelgebirge, ent-<lb/>
&#x017F;tanden &#x017F;eyn. Denn u&#x0364;brigens exi&#x017F;tiren wirkliche Aepfel<lb/>
nirgends. Der Uwali&#x017F;ta, den wir durchritten, machte<lb/>
dem Mora&#x017F;te ein Ende und nun folgte bis an das Nacht-<lb/>
lager am breiten <hi rendition="#fr">T&#x017F;chikokan</hi> ein trockener guter Weg<lb/>
gro&#x0364;ßtentheils u&#x0364;ber <hi rendition="#aq">Arbutus Uva Ur&#x017F;i, Licher niveus ma-<lb/>
jor &amp; minor, islandicus major &amp; minor,</hi> und <hi rendition="#aq">coralli-<lb/>
nus.</hi> Ein am T&#x017F;chikokan von den Wild&#x017F;chu&#x0364;tzen gebau-<lb/>
ter Balagan, gewa&#x0364;hrte uns Schutz vor dem Staubre-<lb/>
gen, der &#x017F;ich um 6 Uhr Abends wieder ein&#x017F;tellte. Um<lb/>
die&#x017F;en Balagan wuchs <hi rendition="#aq">Ranunculus geoides, Dracoce-<lb/>
phal. nutaus, Potentilla nivea u. m.</hi></p><lb/>
          <p>Den Morgen fru&#x0364;h als den 9ten Jun. ließ ich, ohn-<lb/>
erachtet des fortdauernden Regens, &#x017F;atteln, in der Hoff-<lb/>
nung es wu&#x0364;rde aufkla&#x0364;ren; indem das Ziel der Rei&#x017F;e nur<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">D 5</fw><fw place="bottom" type="catch">noch</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[57/0065] aus Sibirien. fer als eine halbe Elle aufgethauet geweſen waͤre, ſo haͤt- ten wir Pferde und Bagage ſelbſt tragen muͤſſen; aber zu unſerem Gluͤck war dieſes Thal noch voller Eiß und der Grund gefroren. Hier bedauerte ich innigſt, daß ich nicht zeichnen konnte oder daß keiner bey mir war, der das aͤußerſt romantiſch-pittoreſque Thal haͤtte abma- len koͤnnen. Die ſonderbaren Felſenfiguren erſchienen unten weit merkwuͤrdiger noch, wie ſo zu ſagen vom Him- mel herab. Viele einzelne Verge endigen ſich damit, daß ihre Gipfel in eine Pyramide von ungeheuren Felſen- bloͤcken aufgethuͤrmt ausgehn. Dies hat ohngefaͤhr das Anſehen wie wenn Aepfel in einer Schuͤſſel zum Nach- tiſch aufgeſetzt werden. Dergleichen Pyramiden finden ſich in dieſen Alpen viele, und daher ſoll der rußiſche Name Jablonnoi Chrebet oder Apfelgebirge, ent- ſtanden ſeyn. Denn uͤbrigens exiſtiren wirkliche Aepfel nirgends. Der Uwaliſta, den wir durchritten, machte dem Moraſte ein Ende und nun folgte bis an das Nacht- lager am breiten Tſchikokan ein trockener guter Weg groͤßtentheils uͤber Arbutus Uva Urſi, Licher niveus ma- jor & minor, islandicus major & minor, und coralli- nus. Ein am Tſchikokan von den Wildſchuͤtzen gebau- ter Balagan, gewaͤhrte uns Schutz vor dem Staubre- gen, der ſich um 6 Uhr Abends wieder einſtellte. Um dieſen Balagan wuchs Ranunculus geoides, Dracoce- phal. nutaus, Potentilla nivea u. m. Den Morgen fruͤh als den 9ten Jun. ließ ich, ohn- erachtet des fortdauernden Regens, ſatteln, in der Hoff- nung es wuͤrde aufklaͤren; indem das Ziel der Reiſe nur noch D 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/65
Zitationshilfe: Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/65>, abgerufen am 22.11.2024.