Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796.aus Sibirien. Reihe an des Wirths junge wohl aussehende Frau, dieüber Kopf- und Knochenschmerzen klagte. Mit dieser giengs eben so, wie mit dem jungen Menschen, sie be- kam von des Doktors schwerer Dreschfaust vier recht herzhafte Schläge; eine europäische Dame wäre wenig- stens dabey in Ohnmacht gefallen. Nach diesem standen sie beyde auf, kehrten dem Feuer den Rücken zu, und indem der Quacksalber seine Violine in beyde Hände nahm und aufhob, sagte er ein langes Gebet her, um den Teusel zu beschwören. Die Wirthin, mit aufgeho- benen, gefaltenen Händen, hörte dem Dinge andächtig zu, und hiermit war ihre Kur geendigt. Den Beschluß machte eine auf der Thürschwelle sitzende schöne, wohl- gekleidete, junge Frau, die gleichfalls über fliegende Schmerzen in Füßen und Armen klagte, und welcher schon auf eifriges Begehren des Mannes von dem Lehr- ling vor fünf Tagen zur Ader gelassen war, der dafür eine Ziege pro Sostro erhielt. Diese Kirgisin kam bes- ser weg, wie die vorhergehenden. Dem Feuer-Doktor, der sich die Geschichte der Krankheit erzählen-ließ, und dann auch das Aderlassen und das Sostrum erfuhr, kam sogleich der Handwerksneid in den Kopf. Er zog also erstlich gegen das Aderlassen und die unnöthig weggege- bene Ziege gar heftig los. Das Blutlassen, sagte er, wäre ganz zur unrechten Zeit angewandt, der Frau sehle ganz etwas anders. Er erklärte sich aber doch weiter nicht, sondern, nachdem er nun seine Galle ausgeschüttet hatte, nahm er seine Violine wieder zur Hand, und be- gann seine Zeremonien. Die schöne Patientin mußte nun O 3
aus Sibirien. Reihe an des Wirths junge wohl ausſehende Frau, dieuͤber Kopf- und Knochenſchmerzen klagte. Mit dieſer giengs eben ſo, wie mit dem jungen Menſchen, ſie be- kam von des Doktors ſchwerer Dreſchfauſt vier recht herzhafte Schlaͤge; eine europaͤiſche Dame waͤre wenig- ſtens dabey in Ohnmacht gefallen. Nach dieſem ſtanden ſie beyde auf, kehrten dem Feuer den Ruͤcken zu, und indem der Quackſalber ſeine Violine in beyde Haͤnde nahm und aufhob, ſagte er ein langes Gebet her, um den Teuſel zu beſchwoͤren. Die Wirthin, mit aufgeho- benen, gefaltenen Haͤnden, hoͤrte dem Dinge andaͤchtig zu, und hiermit war ihre Kur geendigt. Den Beſchluß machte eine auf der Thuͤrſchwelle ſitzende ſchoͤne, wohl- gekleidete, junge Frau, die gleichfalls uͤber fliegende Schmerzen in Fuͤßen und Armen klagte, und welcher ſchon auf eifriges Begehren des Mannes von dem Lehr- ling vor fuͤnf Tagen zur Ader gelaſſen war, der dafuͤr eine Ziege pro Soſtro erhielt. Dieſe Kirgiſin kam beſ- ſer weg, wie die vorhergehenden. Dem Feuer-Doktor, der ſich die Geſchichte der Krankheit erzaͤhlen-ließ, und dann auch das Aderlaſſen und das Soſtrum erfuhr, kam ſogleich der Handwerksneid in den Kopf. Er zog alſo erſtlich gegen das Aderlaſſen und die unnoͤthig weggege- bene Ziege gar heftig los. Das Blutlaſſen, ſagte er, waͤre ganz zur unrechten Zeit angewandt, der Frau ſehle ganz etwas anders. Er erklaͤrte ſich aber doch weiter nicht, ſondern, nachdem er nun ſeine Galle ausgeſchuͤttet hatte, nahm er ſeine Violine wieder zur Hand, und be- gann ſeine Zeremonien. Die ſchoͤne Patientin mußte nun O 3
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aus Sibirien.
Reihe an des Wirths junge wohl ausſehende Frau, die
uͤber Kopf- und Knochenſchmerzen klagte. Mit dieſer
giengs eben ſo, wie mit dem jungen Menſchen, ſie be-
kam von des Doktors ſchwerer Dreſchfauſt vier recht
herzhafte Schlaͤge; eine europaͤiſche Dame waͤre wenig-
ſtens dabey in Ohnmacht gefallen. Nach dieſem ſtanden
ſie beyde auf, kehrten dem Feuer den Ruͤcken zu, und
indem der Quackſalber ſeine Violine in beyde Haͤnde
nahm und aufhob, ſagte er ein langes Gebet her, um
den Teuſel zu beſchwoͤren. Die Wirthin, mit aufgeho-
benen, gefaltenen Haͤnden, hoͤrte dem Dinge andaͤchtig
zu, und hiermit war ihre Kur geendigt. Den Beſchluß
machte eine auf der Thuͤrſchwelle ſitzende ſchoͤne, wohl-
gekleidete, junge Frau, die gleichfalls uͤber fliegende
Schmerzen in Fuͤßen und Armen klagte, und welcher
ſchon auf eifriges Begehren des Mannes von dem Lehr-
ling vor fuͤnf Tagen zur Ader gelaſſen war, der dafuͤr
eine Ziege pro Soſtro erhielt. Dieſe Kirgiſin kam beſ-
ſer weg, wie die vorhergehenden. Dem Feuer-Doktor,
der ſich die Geſchichte der Krankheit erzaͤhlen-ließ, und
dann auch das Aderlaſſen und das Soſtrum erfuhr, kam
ſogleich der Handwerksneid in den Kopf. Er zog alſo
erſtlich gegen das Aderlaſſen und die unnoͤthig weggege-
bene Ziege gar heftig los. Das Blutlaſſen, ſagte er,
waͤre ganz zur unrechten Zeit angewandt, der Frau ſehle
ganz etwas anders. Er erklaͤrte ſich aber doch weiter
nicht, ſondern, nachdem er nun ſeine Galle ausgeſchuͤttet
hatte, nahm er ſeine Violine wieder zur Hand, und be-
gann ſeine Zeremonien. Die ſchoͤne Patientin mußte
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