Abends hatte ich abermals eine andere Neuigkeit: ich war eben ins Bette gestiegen als eine Menge Dirnen und Weiber, mein Zelt vorbey, in eine benachbarte Jurte marschirten und bald darauf ein Lied anstimmten. Jch wollte wissen was dies sey, stand also auf und gieng mit dem Dollmetscher in die Jurte in deren Mirte ein Feuer brannte und neben diesen die singenden Frauenzim- mer in einem Haufen versammelt saßen; ihr Gesang wurde von 15 Mannspersonen, außen vor der Jurte, be- antwortet. Der Gegenstand desselben war, von Seiten der Weiber eine vortheilhafte Beschreibung des Bräuti- gams und anderer dahin gehörigen Dinge, und die Män- ner lobten dann ihrer Seits hinwiederum die Braut und das eheliche Leben. Einer unter ihnen predigte singend, während des Gesangs unaufhörlich vom künftigen Leben. Unter den Weibsleuten war eine besonders schön geklei- det, diese stellte die Braut vor, so wie von der andern Seite sich auch einer unter den Mannspersonen befand der wohlgekleidet den Bräutigam vorstellte. Jn der Jurte selbst wollten sie keine Mannspersonen leiden, ich mußte mich also bald mit meinem Gefolge entfernen, nicht ohne Ursache; denn die Dirnen, während meines Daseyns sahen nur auf uns, lachten, schäkerten, ver- gaßen so ihre Andacht und verwirrten die Zeremonie; man wieß uns also einen Platz außen bey der männli- chen Versammlung an. Das Gesänge dauerte bis ge- gen Morgen und war eigentlich der Beschluß der heuti- gen Tagesfeyerlichkeit.
Den
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aus Sibirien.
Abends hatte ich abermals eine andere Neuigkeit: ich war eben ins Bette geſtiegen als eine Menge Dirnen und Weiber, mein Zelt vorbey, in eine benachbarte Jurte marſchirten und bald darauf ein Lied anſtimmten. Jch wollte wiſſen was dies ſey, ſtand alſo auf und gieng mit dem Dollmetſcher in die Jurte in deren Mirte ein Feuer brannte und neben dieſen die ſingenden Frauenzim- mer in einem Haufen verſammelt ſaßen; ihr Geſang wurde von 15 Mannsperſonen, außen vor der Jurte, be- antwortet. Der Gegenſtand deſſelben war, von Seiten der Weiber eine vortheilhafte Beſchreibung des Braͤuti- gams und anderer dahin gehoͤrigen Dinge, und die Maͤn- ner lobten dann ihrer Seits hinwiederum die Braut und das eheliche Leben. Einer unter ihnen predigte ſingend, waͤhrend des Geſangs unaufhoͤrlich vom kuͤnftigen Leben. Unter den Weibsleuten war eine beſonders ſchoͤn geklei- det, dieſe ſtellte die Braut vor, ſo wie von der andern Seite ſich auch einer unter den Mannsperſonen befand der wohlgekleidet den Braͤutigam vorſtellte. Jn der Jurte ſelbſt wollten ſie keine Mannsperſonen leiden, ich mußte mich alſo bald mit meinem Gefolge entfernen, nicht ohne Urſache; denn die Dirnen, waͤhrend meines Daſeyns ſahen nur auf uns, lachten, ſchaͤkerten, ver- gaßen ſo ihre Andacht und verwirrten die Zeremonie; man wieß uns alſo einen Platz außen bey der maͤnnli- chen Verſammlung an. Das Geſaͤnge dauerte bis ge- gen Morgen und war eigentlich der Beſchluß der heuti- gen Tagesfeyerlichkeit.
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aus Sibirien.
Abends hatte ich abermals eine andere Neuigkeit:
ich war eben ins Bette geſtiegen als eine Menge Dirnen
und Weiber, mein Zelt vorbey, in eine benachbarte
Jurte marſchirten und bald darauf ein Lied anſtimmten.
Jch wollte wiſſen was dies ſey, ſtand alſo auf und gieng
mit dem Dollmetſcher in die Jurte in deren Mirte ein
Feuer brannte und neben dieſen die ſingenden Frauenzim-
mer in einem Haufen verſammelt ſaßen; ihr Geſang
wurde von 15 Mannsperſonen, außen vor der Jurte, be-
antwortet. Der Gegenſtand deſſelben war, von Seiten
der Weiber eine vortheilhafte Beſchreibung des Braͤuti-
gams und anderer dahin gehoͤrigen Dinge, und die Maͤn-
ner lobten dann ihrer Seits hinwiederum die Braut und
das eheliche Leben. Einer unter ihnen predigte ſingend,
waͤhrend des Geſangs unaufhoͤrlich vom kuͤnftigen Leben.
Unter den Weibsleuten war eine beſonders ſchoͤn geklei-
det, dieſe ſtellte die Braut vor, ſo wie von der andern
Seite ſich auch einer unter den Mannsperſonen befand
der wohlgekleidet den Braͤutigam vorſtellte. Jn der
Jurte ſelbſt wollten ſie keine Mannsperſonen leiden, ich
mußte mich alſo bald mit meinem Gefolge entfernen,
nicht ohne Urſache; denn die Dirnen, waͤhrend meines
Daſeyns ſahen nur auf uns, lachten, ſchaͤkerten, ver-
gaßen ſo ihre Andacht und verwirrten die Zeremonie;
man wieß uns alſo einen Platz außen bey der maͤnnli-
chen Verſammlung an. Das Geſaͤnge dauerte bis ge-
gen Morgen und war eigentlich der Beſchluß der heuti-
gen Tagesfeyerlichkeit.
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Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/185>, abgerufen am 26.07.2024.
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