Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796.Sievers Briefe Sie werden von den Kirgisen zur Jagd auf kleineresWildpret abgerichtet. Ohnerachtet der Höhe ist die Sonne im Mittag doch fühlbar genug. Nach einiger Ruhe gieng ich mit sechs Begleitern, etwa 2 Werst süd- lich, auf den höchsten Gipfel des Tarabagatai, um eini- germaßen das jenseitige Land zu übersehen, wo beson- ders am Flusse Uldshar eine von den neuen Rhabar- berarten wächst. Wie ich droben war, hatte ich eine ähnliche herrliche Aussicht, wie vorher erwähnt, nur we- niger bergig. Es zeigte sich nehmlich in einer fast un- absehlichen Ebene der See Allagüll, der Fluß Uld- shar, welcher seinen Ursprung zu unsern Füßen nahm; in Süden das hohe sich nicht sehr ausbreitende Gebirge Allatau, und in Osten die chinesische Gränzfestung Tschigatscheck, hinter welcher eine lange, bewaldete, gegen Norden laufende Bergkette, Tochta, sich weg- streckt. Uebrigens bemerkte ich in dieser großen Ebene, außer längst dem Uldshar, weder Waldung noch Jur- ten. Nachdem ich nun meine gehörigen Maaßregeln ge- nommen hatte, beschloß ich den kommenden Tag in diese neue Welt hinab zu steigen: einstweilen aber examinirte ich Florens hiesige Schätze. Viola grandiflora caeru- lea et ochroleuca, Gymnandra borealis Pall. Draco- cephalum grandiflorum et altaicum, Potentilla nivea, und andere schöne Alpengewächse, zierten die mit schwar- zer fruchtbarer Erde bedeckten Koppen. Iuniperus lycia war hier kriechend und von einer so ungeheuren Dicke, dergleichen ich nie vorher gesehen hatte: ich ließ einen Stamm
Sievers Briefe Sie werden von den Kirgiſen zur Jagd auf kleineresWildpret abgerichtet. Ohnerachtet der Hoͤhe iſt die Sonne im Mittag doch fuͤhlbar genug. Nach einiger Ruhe gieng ich mit ſechs Begleitern, etwa 2 Werſt ſuͤd- lich, auf den hoͤchſten Gipfel des Tarabagatai, um eini- germaßen das jenſeitige Land zu uͤberſehen, wo beſon- ders am Fluſſe Uldſhar eine von den neuen Rhabar- berarten waͤchſt. Wie ich droben war, hatte ich eine aͤhnliche herrliche Ausſicht, wie vorher erwaͤhnt, nur we- niger bergig. Es zeigte ſich nehmlich in einer faſt un- abſehlichen Ebene der See Allaguͤll, der Fluß Uld- ſhar, welcher ſeinen Urſprung zu unſern Fuͤßen nahm; in Suͤden das hohe ſich nicht ſehr ausbreitende Gebirge Allatau, und in Oſten die chineſiſche Graͤnzfeſtung Tſchigatſcheck, hinter welcher eine lange, bewaldete, gegen Norden laufende Bergkette, Tochta, ſich weg- ſtreckt. Uebrigens bemerkte ich in dieſer großen Ebene, außer laͤngſt dem Uldſhar, weder Waldung noch Jur- ten. Nachdem ich nun meine gehoͤrigen Maaßregeln ge- nommen hatte, beſchloß ich den kommenden Tag in dieſe neue Welt hinab zu ſteigen: einſtweilen aber examinirte ich Florens hieſige Schaͤtze. Viola grandiflora caeru- lea et ochroleuca, Gymnandra borealis Pall. Draco- cephalum grandiflorum et altaicum, Potentilla nivea, und andere ſchoͤne Alpengewaͤchſe, zierten die mit ſchwar- zer fruchtbarer Erde bedeckten Koppen. Iuniperus lycia war hier kriechend und von einer ſo ungeheuren Dicke, dergleichen ich nie vorher geſehen hatte: ich ließ einen Stamm
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0152" n="144"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Sievers Briefe</hi></fw><lb/> Sie werden von den Kirgiſen zur Jagd auf kleineres<lb/> Wildpret abgerichtet. Ohnerachtet der Hoͤhe iſt die<lb/> Sonne im Mittag doch fuͤhlbar genug. Nach einiger<lb/> Ruhe gieng ich mit ſechs Begleitern, etwa 2 Werſt ſuͤd-<lb/> lich, auf den hoͤchſten Gipfel des Tarabagatai, um eini-<lb/> germaßen das jenſeitige Land zu uͤberſehen, wo beſon-<lb/> ders am Fluſſe <hi rendition="#fr">Uldſhar</hi> eine von den neuen Rhabar-<lb/> berarten waͤchſt. Wie ich droben war, hatte ich eine<lb/> aͤhnliche herrliche Ausſicht, wie vorher erwaͤhnt, nur we-<lb/> niger bergig. Es zeigte ſich nehmlich in einer faſt un-<lb/> abſehlichen Ebene der See <hi rendition="#fr">Allaguͤll,</hi> der Fluß <hi rendition="#fr">Uld-<lb/> ſhar,</hi> welcher ſeinen Urſprung zu unſern Fuͤßen nahm;<lb/> in Suͤden das hohe ſich nicht ſehr ausbreitende Gebirge<lb/><hi rendition="#fr">Allatau,</hi> und in Oſten die chineſiſche Graͤnzfeſtung<lb/><hi rendition="#fr">Tſchigatſcheck,</hi> hinter welcher eine lange, bewaldete,<lb/> gegen Norden laufende Bergkette, <hi rendition="#fr">Tochta,</hi> ſich weg-<lb/> ſtreckt. Uebrigens bemerkte ich in dieſer großen Ebene,<lb/> außer laͤngſt dem Uldſhar, weder Waldung noch Jur-<lb/> ten. Nachdem ich nun meine gehoͤrigen Maaßregeln ge-<lb/> nommen hatte, beſchloß ich den kommenden Tag in dieſe<lb/> neue Welt hinab zu ſteigen: einſtweilen aber examinirte<lb/> ich Florens hieſige Schaͤtze. <hi rendition="#aq">Viola grandiflora caeru-<lb/> lea et ochroleuca, Gymnandra borealis <hi rendition="#i">Pall.</hi> Draco-<lb/> cephalum grandiflorum et altaicum, Potentilla nivea,</hi><lb/> und andere ſchoͤne Alpengewaͤchſe, zierten die mit ſchwar-<lb/> zer fruchtbarer Erde bedeckten Koppen. <hi rendition="#aq">Iuniperus lycia</hi><lb/> war hier kriechend und von einer ſo ungeheuren Dicke,<lb/> dergleichen ich nie vorher geſehen hatte: ich ließ einen<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Stamm</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [144/0152]
Sievers Briefe
Sie werden von den Kirgiſen zur Jagd auf kleineres
Wildpret abgerichtet. Ohnerachtet der Hoͤhe iſt die
Sonne im Mittag doch fuͤhlbar genug. Nach einiger
Ruhe gieng ich mit ſechs Begleitern, etwa 2 Werſt ſuͤd-
lich, auf den hoͤchſten Gipfel des Tarabagatai, um eini-
germaßen das jenſeitige Land zu uͤberſehen, wo beſon-
ders am Fluſſe Uldſhar eine von den neuen Rhabar-
berarten waͤchſt. Wie ich droben war, hatte ich eine
aͤhnliche herrliche Ausſicht, wie vorher erwaͤhnt, nur we-
niger bergig. Es zeigte ſich nehmlich in einer faſt un-
abſehlichen Ebene der See Allaguͤll, der Fluß Uld-
ſhar, welcher ſeinen Urſprung zu unſern Fuͤßen nahm;
in Suͤden das hohe ſich nicht ſehr ausbreitende Gebirge
Allatau, und in Oſten die chineſiſche Graͤnzfeſtung
Tſchigatſcheck, hinter welcher eine lange, bewaldete,
gegen Norden laufende Bergkette, Tochta, ſich weg-
ſtreckt. Uebrigens bemerkte ich in dieſer großen Ebene,
außer laͤngſt dem Uldſhar, weder Waldung noch Jur-
ten. Nachdem ich nun meine gehoͤrigen Maaßregeln ge-
nommen hatte, beſchloß ich den kommenden Tag in dieſe
neue Welt hinab zu ſteigen: einſtweilen aber examinirte
ich Florens hieſige Schaͤtze. Viola grandiflora caeru-
lea et ochroleuca, Gymnandra borealis Pall. Draco-
cephalum grandiflorum et altaicum, Potentilla nivea,
und andere ſchoͤne Alpengewaͤchſe, zierten die mit ſchwar-
zer fruchtbarer Erde bedeckten Koppen. Iuniperus lycia
war hier kriechend und von einer ſo ungeheuren Dicke,
dergleichen ich nie vorher geſehen hatte: ich ließ einen
Stamm
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/152 |
Zitationshilfe: | Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/152>, abgerufen am 16.02.2025. |