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Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796.

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Sievers Briefe
nahe am Fuß des Tarabagatai übernachten zu können,
und zwar an einem zweyten Ursprungsquell des Ajogüß.
Der guten Weide wegen waren hier viele Jurten, aus
welchen man mir ein dreyjähriges Kind mit einem bis
oben an gelähmten Beine zur Kur brachte. Da ich die
zu einer solchen Kur gehörigen Arzeneyen nicht bey mir
hatte, so konnte ich auch hierbey sehr wenig helfen, in-
deß, um die Leute doch nicht trostlos von mir zu lassen,
so hieß ich der Mutter die frischen Blätter der Achil-
laeae Millefolii
und der Artemisiae rupestris maximae
zu Brey stoßen, und das Bein täglich einmal frisch da-
mit zu bewinden, anbey verordnete ich den Saft der
Schaafgarbe zu trinken. Ob mein Rath von guten Fol-
gen seyn wird, vermag ich nicht zu bestimmen, denn
wahrscheinlich sehe ich diese Leute nicht wieder. -- Wer
sich mit allerley Medicamenten versorgt, und diese her-
nach, bey dem Gebrauch, mit etwas Scharlatanerie be-
gleitet, der kann sich nicht allein bey den Kirgisen sehr
in Ansehen bringen, sondern auch noch ein artiges ver-
dienen. Uebrigens gieng hier ein grünlicher Porphyr
mit weißlichem Feldspath zu Tage hin und wieder aus.

Den 2ten Julii. Kaum brach der Tag an, so ließ
ich schon wieder aufpacken. Noch hatten wir 4 Werste
Steppe, Hügel und Wiesen zu passiren, ehe wir wirk-
lich anfiengen den Tarabagatai zu besteigen; welches aber
für unsere Kameele keine geringe Arbeit war. Mehr wie
sechsmal mußten wir Halte machen, um die ermüdeten
Thiere ausruhen zu lassen. Während diesem Aufent-
halte lief ich in den reichen Bergwiesen umher, wo ich

meine

Sievers Briefe
nahe am Fuß des Tarabagatai uͤbernachten zu koͤnnen,
und zwar an einem zweyten Urſprungsquell des Ajoguͤß.
Der guten Weide wegen waren hier viele Jurten, aus
welchen man mir ein dreyjaͤhriges Kind mit einem bis
oben an gelaͤhmten Beine zur Kur brachte. Da ich die
zu einer ſolchen Kur gehoͤrigen Arzeneyen nicht bey mir
hatte, ſo konnte ich auch hierbey ſehr wenig helfen, in-
deß, um die Leute doch nicht troſtlos von mir zu laſſen,
ſo hieß ich der Mutter die friſchen Blaͤtter der Achil-
laeae Millefolii
und der Artemiſiae rupeſtris maximae
zu Brey ſtoßen, und das Bein taͤglich einmal friſch da-
mit zu bewinden, anbey verordnete ich den Saft der
Schaafgarbe zu trinken. Ob mein Rath von guten Fol-
gen ſeyn wird, vermag ich nicht zu beſtimmen, denn
wahrſcheinlich ſehe ich dieſe Leute nicht wieder. — Wer
ſich mit allerley Medicamenten verſorgt, und dieſe her-
nach, bey dem Gebrauch, mit etwas Scharlatanerie be-
gleitet, der kann ſich nicht allein bey den Kirgiſen ſehr
in Anſehen bringen, ſondern auch noch ein artiges ver-
dienen. Uebrigens gieng hier ein gruͤnlicher Porphyr
mit weißlichem Feldſpath zu Tage hin und wieder aus.

Den 2ten Julii. Kaum brach der Tag an, ſo ließ
ich ſchon wieder aufpacken. Noch hatten wir 4 Werſte
Steppe, Huͤgel und Wieſen zu paſſiren, ehe wir wirk-
lich anfiengen den Tarabagatai zu beſteigen; welches aber
fuͤr unſere Kameele keine geringe Arbeit war. Mehr wie
ſechsmal mußten wir Halte machen, um die ermuͤdeten
Thiere ausruhen zu laſſen. Waͤhrend dieſem Aufent-
halte lief ich in den reichen Bergwieſen umher, wo ich

meine
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[140/0148] Sievers Briefe nahe am Fuß des Tarabagatai uͤbernachten zu koͤnnen, und zwar an einem zweyten Urſprungsquell des Ajoguͤß. Der guten Weide wegen waren hier viele Jurten, aus welchen man mir ein dreyjaͤhriges Kind mit einem bis oben an gelaͤhmten Beine zur Kur brachte. Da ich die zu einer ſolchen Kur gehoͤrigen Arzeneyen nicht bey mir hatte, ſo konnte ich auch hierbey ſehr wenig helfen, in- deß, um die Leute doch nicht troſtlos von mir zu laſſen, ſo hieß ich der Mutter die friſchen Blaͤtter der Achil- laeae Millefolii und der Artemiſiae rupeſtris maximae zu Brey ſtoßen, und das Bein taͤglich einmal friſch da- mit zu bewinden, anbey verordnete ich den Saft der Schaafgarbe zu trinken. Ob mein Rath von guten Fol- gen ſeyn wird, vermag ich nicht zu beſtimmen, denn wahrſcheinlich ſehe ich dieſe Leute nicht wieder. — Wer ſich mit allerley Medicamenten verſorgt, und dieſe her- nach, bey dem Gebrauch, mit etwas Scharlatanerie be- gleitet, der kann ſich nicht allein bey den Kirgiſen ſehr in Anſehen bringen, ſondern auch noch ein artiges ver- dienen. Uebrigens gieng hier ein gruͤnlicher Porphyr mit weißlichem Feldſpath zu Tage hin und wieder aus. Den 2ten Julii. Kaum brach der Tag an, ſo ließ ich ſchon wieder aufpacken. Noch hatten wir 4 Werſte Steppe, Huͤgel und Wieſen zu paſſiren, ehe wir wirk- lich anfiengen den Tarabagatai zu beſteigen; welches aber fuͤr unſere Kameele keine geringe Arbeit war. Mehr wie ſechsmal mußten wir Halte machen, um die ermuͤdeten Thiere ausruhen zu laſſen. Waͤhrend dieſem Aufent- halte lief ich in den reichen Bergwieſen umher, wo ich meine

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Zitationshilfe: Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/148>, abgerufen am 23.11.2024.