Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796.aus Sibirien. beyde Hände an die Ohren hielt und sie gleichsam zudrück-te; dieses währte etwa fünf Minuten, dann murmelte er für sich abermals ein Gebet her, warf sich dabey öf- ters auf die Knie und mit der Stirn auf die Erde, saß oft lange auf den Knien und streichelte sich Backen und Bart, faltete auch zuweilen die Hände, stand wieder auf, kniete abermals nieder, und so abwechselnd währ- te seine Andacht etwa eine halbe Stunde *). Sein Haupt war mit der spitzen Untermütze (Arracktschin) bedeckt; die andere weiße größere Filzmütze (Tumack) hatte er vor sich liegen. Da die Kirgisen das ganze Haupt abscheeren, so nehmen sie erstere niemals ab. Uebrigens versteht kein Kirgise weder zu lesen, noch zu schreiben. Den 29sten Junii. Wir lagen hier noch bis Nach- abge- *) Es ist die gewöhnliche Gebetsceremonie muhammeda- nischer Tatarn, die unser Reisender vielleicht zum er- stenmal sah. P. J 4
aus Sibirien. beyde Haͤnde an die Ohren hielt und ſie gleichſam zudruͤck-te; dieſes waͤhrte etwa fuͤnf Minuten, dann murmelte er fuͤr ſich abermals ein Gebet her, warf ſich dabey oͤf- ters auf die Knie und mit der Stirn auf die Erde, ſaß oft lange auf den Knien und ſtreichelte ſich Backen und Bart, faltete auch zuweilen die Haͤnde, ſtand wieder auf, kniete abermals nieder, und ſo abwechſelnd waͤhr- te ſeine Andacht etwa eine halbe Stunde *). Sein Haupt war mit der ſpitzen Untermuͤtze (Arracktſchin) bedeckt; die andere weiße groͤßere Filzmuͤtze (Tumack) hatte er vor ſich liegen. Da die Kirgiſen das ganze Haupt abſcheeren, ſo nehmen ſie erſtere niemals ab. Uebrigens verſteht kein Kirgiſe weder zu leſen, noch zu ſchreiben. Den 29ſten Junii. Wir lagen hier noch bis Nach- abge- *) Es iſt die gewoͤhnliche Gebetsceremonie muhammeda- niſcher Tatarn, die unſer Reiſender vielleicht zum er- ſtenmal ſah. P. J 4
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aus Sibirien.
beyde Haͤnde an die Ohren hielt und ſie gleichſam zudruͤck-
te; dieſes waͤhrte etwa fuͤnf Minuten, dann murmelte
er fuͤr ſich abermals ein Gebet her, warf ſich dabey oͤf-
ters auf die Knie und mit der Stirn auf die Erde, ſaß
oft lange auf den Knien und ſtreichelte ſich Backen und
Bart, faltete auch zuweilen die Haͤnde, ſtand wieder
auf, kniete abermals nieder, und ſo abwechſelnd waͤhr-
te ſeine Andacht etwa eine halbe Stunde *). Sein Haupt
war mit der ſpitzen Untermuͤtze (Arracktſchin) bedeckt;
die andere weiße groͤßere Filzmuͤtze (Tumack) hatte er
vor ſich liegen. Da die Kirgiſen das ganze Haupt
abſcheeren, ſo nehmen ſie erſtere niemals ab. Uebrigens
verſteht kein Kirgiſe weder zu leſen, noch zu ſchreiben.
Den 29ſten Junii. Wir lagen hier noch bis Nach-
mittag ſtille; ich hatte alſo dadurch Gelegenheit, den vor
mir liegenden, nur eine Werſt entfernten Ch__l-Taß
(Rothen-Fels) zu beſuchen. Die Fronte dieſes iſolir-
ten hohen Felſen, der gewiß gerades Weges aus dem
Herzen unſers Planeten heraufſteigt, beſtehet aus zwey
Bergen, die durch ein etwas ſumpfiges, mit einem Fluͤß-
chen verſehenes, grasreiches Thal abgeſchieden ſind; hin-
terwaͤrts aber gegen Suͤdweſt erſtreckt ſich der Fels auf
mehrere Werſte weiter hin. Er beſteht ganz aus derbem
roͤthlichen Granit, der durch die Zeit ſchon in entſetzlich
große Platten und ungeheuer maͤchtige Bloͤcke zum Theil
abge-
*) Es iſt die gewoͤhnliche Gebetsceremonie muhammeda-
niſcher Tatarn, die unſer Reiſender vielleicht zum er-
ſtenmal ſah. P.
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Zitationshilfe: | Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/143>, abgerufen am 26.07.2024. |