Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796.aus Sibirien. hat sich seit etwa 40 Jahren eine andere Gattung vonLeuten in dem hohen Gebirge eingenistelt, welche aus ver- laufenen Soldaten, Dragonern, Berghauern, Bauern, Bedienten, u. s. w. bestehen. Sie wohnen nur 28 Werst von Siränofskoi Rudnik, ich war also neugierig auch diese Leute zu sehen. Vor noch 3 Jahren war es ge- fährlich zu diesen Leuten zu reisen, denn sie sind alle Scharfschützen und da sie, als Verlaufene, jedes Jahr durch ausgeschickte Commandos wie das Wild gejagt wurden, so erschossen sie auch aus ihren Schlupfwinkeln so viele, als ihnen nur zu nahe kamen. Jndessen sie konnten am Ende doch der Macht nicht widerstehen, es vergieng kein Jahr daß nicht eine Menge theils getödtet, theils gefangen wurden: bey so bewandten Umständen und da sie bis auf etwa 300 Seelen schon geschmolzen waren, baten sie endlich um gut Wetter, indem sie einige der Beherztesten ans kolywanische Gouvernement schick- ten, mit der Bitte, man möchte sie wiederum in Schutz nehmen und auf Tribut setzen. Besonders wünschten sie für immer Bergbewohner zu verbleiben. Dieses letztere war eigentlich die Hauptursache warum sie Verzeihung erhielten. Denn nun sind in jenen fruchtbaren Gebir- gen, die sonst nie bewohnt wurden, die Anlagen zu den besten Colonien, die bis hart an die chinesische Grenze reichen. Jch hielt mich in dem ersten Dorfe Byko- wa einen Tag auf, wo ich selbst Augenzeuge hievon war. Der einträgliche Kornbau, die Viehzucht, der Handel mit den Kirgisen, Russen und Chinesen, der Wildfang und Fischfang machen sie zu wohl- haben-
aus Sibirien. hat ſich ſeit etwa 40 Jahren eine andere Gattung vonLeuten in dem hohen Gebirge eingeniſtelt, welche aus ver- laufenen Soldaten, Dragonern, Berghauern, Bauern, Bedienten, u. ſ. w. beſtehen. Sie wohnen nur 28 Werſt von Siraͤnofskoi Rudnik, ich war alſo neugierig auch dieſe Leute zu ſehen. Vor noch 3 Jahren war es ge- faͤhrlich zu dieſen Leuten zu reiſen, denn ſie ſind alle Scharfſchuͤtzen und da ſie, als Verlaufene, jedes Jahr durch ausgeſchickte Commandos wie das Wild gejagt wurden, ſo erſchoſſen ſie auch aus ihren Schlupfwinkeln ſo viele, als ihnen nur zu nahe kamen. Jndeſſen ſie konnten am Ende doch der Macht nicht widerſtehen, es vergieng kein Jahr daß nicht eine Menge theils getoͤdtet, theils gefangen wurden: bey ſo bewandten Umſtaͤnden und da ſie bis auf etwa 300 Seelen ſchon geſchmolzen waren, baten ſie endlich um gut Wetter, indem ſie einige der Beherzteſten ans kolywaniſche Gouvernement ſchick- ten, mit der Bitte, man moͤchte ſie wiederum in Schutz nehmen und auf Tribut ſetzen. Beſonders wuͤnſchten ſie fuͤr immer Bergbewohner zu verbleiben. Dieſes letztere war eigentlich die Haupturſache warum ſie Verzeihung erhielten. Denn nun ſind in jenen fruchtbaren Gebir- gen, die ſonſt nie bewohnt wurden, die Anlagen zu den beſten Colonien, die bis hart an die chineſiſche Grenze reichen. Jch hielt mich in dem erſten Dorfe Byko- wa einen Tag auf, wo ich ſelbſt Augenzeuge hievon war. Der eintraͤgliche Kornbau, die Viehzucht, der Handel mit den Kirgiſen, Ruſſen und Chineſen, der Wildfang und Fiſchfang machen ſie zu wohl- haben-
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0115" n="107"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">aus Sibirien.</hi></fw><lb/> hat ſich ſeit etwa 40 Jahren eine andere Gattung von<lb/> Leuten in dem hohen Gebirge eingeniſtelt, welche aus ver-<lb/> laufenen Soldaten, Dragonern, Berghauern, Bauern,<lb/> Bedienten, u. ſ. w. beſtehen. Sie wohnen nur 28 Werſt<lb/> von Siraͤnofskoi Rudnik, ich war alſo neugierig auch<lb/> dieſe Leute zu ſehen. Vor noch 3 Jahren war es ge-<lb/> faͤhrlich zu dieſen Leuten zu reiſen, denn ſie ſind alle<lb/> Scharfſchuͤtzen und da ſie, als Verlaufene, jedes Jahr<lb/> durch ausgeſchickte Commandos wie das Wild gejagt<lb/> wurden, ſo erſchoſſen ſie auch aus ihren Schlupfwinkeln<lb/> ſo viele, als ihnen nur zu nahe kamen. Jndeſſen ſie<lb/> konnten am Ende doch der Macht nicht widerſtehen, es<lb/> vergieng kein Jahr daß nicht eine Menge theils getoͤdtet,<lb/> theils gefangen wurden: bey ſo bewandten Umſtaͤnden<lb/> und da ſie bis auf etwa 300 Seelen ſchon geſchmolzen<lb/> waren, baten ſie endlich um gut Wetter, indem ſie einige<lb/> der Beherzteſten ans kolywaniſche Gouvernement ſchick-<lb/> ten, mit der Bitte, man moͤchte ſie wiederum in Schutz<lb/> nehmen und auf Tribut ſetzen. Beſonders wuͤnſchten ſie<lb/> fuͤr immer Bergbewohner zu verbleiben. Dieſes letztere<lb/> war eigentlich die Haupturſache warum ſie Verzeihung<lb/> erhielten. Denn nun ſind in jenen fruchtbaren Gebir-<lb/> gen, die ſonſt nie bewohnt wurden, die Anlagen zu den<lb/> beſten Colonien, die bis hart an die chineſiſche Grenze<lb/> reichen. Jch hielt mich in dem erſten Dorfe <hi rendition="#fr">Byko-<lb/> wa</hi> einen Tag auf, wo ich ſelbſt Augenzeuge hievon<lb/> war. Der eintraͤgliche Kornbau, die Viehzucht,<lb/> der Handel mit den Kirgiſen, Ruſſen und Chineſen,<lb/> der Wildfang und Fiſchfang machen ſie zu wohl-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">haben-</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [107/0115]
aus Sibirien.
hat ſich ſeit etwa 40 Jahren eine andere Gattung von
Leuten in dem hohen Gebirge eingeniſtelt, welche aus ver-
laufenen Soldaten, Dragonern, Berghauern, Bauern,
Bedienten, u. ſ. w. beſtehen. Sie wohnen nur 28 Werſt
von Siraͤnofskoi Rudnik, ich war alſo neugierig auch
dieſe Leute zu ſehen. Vor noch 3 Jahren war es ge-
faͤhrlich zu dieſen Leuten zu reiſen, denn ſie ſind alle
Scharfſchuͤtzen und da ſie, als Verlaufene, jedes Jahr
durch ausgeſchickte Commandos wie das Wild gejagt
wurden, ſo erſchoſſen ſie auch aus ihren Schlupfwinkeln
ſo viele, als ihnen nur zu nahe kamen. Jndeſſen ſie
konnten am Ende doch der Macht nicht widerſtehen, es
vergieng kein Jahr daß nicht eine Menge theils getoͤdtet,
theils gefangen wurden: bey ſo bewandten Umſtaͤnden
und da ſie bis auf etwa 300 Seelen ſchon geſchmolzen
waren, baten ſie endlich um gut Wetter, indem ſie einige
der Beherzteſten ans kolywaniſche Gouvernement ſchick-
ten, mit der Bitte, man moͤchte ſie wiederum in Schutz
nehmen und auf Tribut ſetzen. Beſonders wuͤnſchten ſie
fuͤr immer Bergbewohner zu verbleiben. Dieſes letztere
war eigentlich die Haupturſache warum ſie Verzeihung
erhielten. Denn nun ſind in jenen fruchtbaren Gebir-
gen, die ſonſt nie bewohnt wurden, die Anlagen zu den
beſten Colonien, die bis hart an die chineſiſche Grenze
reichen. Jch hielt mich in dem erſten Dorfe Byko-
wa einen Tag auf, wo ich ſelbſt Augenzeuge hievon
war. Der eintraͤgliche Kornbau, die Viehzucht,
der Handel mit den Kirgiſen, Ruſſen und Chineſen,
der Wildfang und Fiſchfang machen ſie zu wohl-
haben-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/115 |
Zitationshilfe: | Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/115>, abgerufen am 26.07.2024. |