Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796.Sievers Briefe beunruhigen diese Nomaden nie. -- Jch hörte bey de-nen am Fuße meines Berges liegenden Jurten Musik; um hieran Theil zu nehmen stieg ich zu diesen guten Leu- ten herunter und fand die fröhlichste Gesellschaft von der Welt. Ein Blinder spielte auf dem Chomus, einem Jnstrument welches nur 2 -- 3 Sayten hat und wie ei- ne Zitter aussiehet; ein anderer Nichtblinder accom- pagnirte ihn auf dem Tschetagan, welches ein Faden lan- ger und vier Zoll breiter, viereckiger Trog ist, wenn ich es so nennen darf. Die offene Seite dieses Troges ist unterwärts gekehrt und auf den Rücken sind 6 Pferde- haarne Sayten, welche mit den Fingern gerührt werden. Zwey Sänger sangen ein beynahe monotonisches Hir- tenlied im tiefen brummenden Baß dazu. Dieses Con- cert, Trinken, Tobackrauchen und nach ihrer Art philo- sophiren dauerte bis 3 Uhr nach Mitternacht, wo Mor- pheus dem Spiel ein Ende machte. Den nächsten Tag sah ich wiederum eine traurige Ohnweit dem Flüßchen Tuüm ist ein Salzreicher noch
Sievers Briefe beunruhigen dieſe Nomaden nie. — Jch hoͤrte bey de-nen am Fuße meines Berges liegenden Jurten Muſik; um hieran Theil zu nehmen ſtieg ich zu dieſen guten Leu- ten herunter und fand die froͤhlichſte Geſellſchaft von der Welt. Ein Blinder ſpielte auf dem Chómus, einem Jnſtrument welches nur 2 — 3 Sayten hat und wie ei- ne Zitter ausſiehet; ein anderer Nichtblinder accom- pagnirte ihn auf dem Tſchétagan, welches ein Faden lan- ger und vier Zoll breiter, viereckiger Trog iſt, wenn ich es ſo nennen darf. Die offene Seite dieſes Troges iſt unterwaͤrts gekehrt und auf den Ruͤcken ſind 6 Pferde- haarne Sayten, welche mit den Fingern geruͤhrt werden. Zwey Saͤnger ſangen ein beynahe monotoniſches Hir- tenlied im tiefen brummenden Baß dazu. Dieſes Con- cert, Trinken, Tobackrauchen und nach ihrer Art philo- ſophiren dauerte bis 3 Uhr nach Mitternacht, wo Mor- pheus dem Spiel ein Ende machte. Den naͤchſten Tag ſah ich wiederum eine traurige Ohnweit dem Fluͤßchen Tuuͤm iſt ein Salzreicher noch
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Sievers Briefe
beunruhigen dieſe Nomaden nie. — Jch hoͤrte bey de-
nen am Fuße meines Berges liegenden Jurten Muſik;
um hieran Theil zu nehmen ſtieg ich zu dieſen guten Leu-
ten herunter und fand die froͤhlichſte Geſellſchaft von der
Welt. Ein Blinder ſpielte auf dem Chómus, einem
Jnſtrument welches nur 2 — 3 Sayten hat und wie ei-
ne Zitter ausſiehet; ein anderer Nichtblinder accom-
pagnirte ihn auf dem Tſchétagan, welches ein Faden lan-
ger und vier Zoll breiter, viereckiger Trog iſt, wenn ich
es ſo nennen darf. Die offene Seite dieſes Troges iſt
unterwaͤrts gekehrt und auf den Ruͤcken ſind 6 Pferde-
haarne Sayten, welche mit den Fingern geruͤhrt werden.
Zwey Saͤnger ſangen ein beynahe monotoniſches Hir-
tenlied im tiefen brummenden Baß dazu. Dieſes Con-
cert, Trinken, Tobackrauchen und nach ihrer Art philo-
ſophiren dauerte bis 3 Uhr nach Mitternacht, wo Mor-
pheus dem Spiel ein Ende machte.
Den naͤchſten Tag ſah ich wiederum eine traurige
Scene: Eine ganze Familie war angelangt, denen in
ſehr kurzer Zeit der Tod ſuͤnf Bruͤder, und eine Feuers-
brunſt ihre Jurten geraubt hatte. Hier gieng das Heu-
len, Lamentiren, Singen, Trinken, Tobackrauchen und
Philoſophiren von Neuem wieder an. —
Ohnweit dem Fluͤßchen Tuuͤm iſt ein Salzreicher
großer See (Samoſadno Oſero), den ich zu ſehen wuͤnſch-
te. Jch nahm alſo von meinen Tataren hier Abſchied
und fuhr dorthin. Ein von dem nicht laͤngſt verſtorbe-
nen krasnojarskiſchen Woewoden Fuͤrſten Pelymsky vor
etwa 15 Jahren erbauetes ſteinernes Magazin ſtehet
noch
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Zitationshilfe: | Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/108>, abgerufen am 26.07.2024. |