weil andernfalls die Meeresfluth in der beobachteten Grösse nicht eintreten könnte. Wäre die Erde im Innern noch flüssig, so müssten Land und Wasser gemeinsam die Fluthbewegungen ausführen, es könnte mithin keine relative Hebung des Wassers eintreten. Der geringe Widerstand einer mässig dicken, festen Kruste könne hierin nichts ändern. Wäre die Erde eine massive Glaskugel, so würde die Elasticität derselben ihr noch eine Fluth- bewegung gestatten, welche die für eine vollkommen starre Erde berechnete und mit der Erfahrung so ziemlich übereinstimmende Meeresfluth auf 2/5 und, wenn sie von Stahl wäre, auf 2/3 ihrer Grösse reduciren würde. Er erklärt es auch für unmöglich, dass sich eine feste Kruste bilden konnte, bevor die ganze Erde starr war, weil die festen Gesteine derselben nach Bischof's Versuchen ca. 20 pCt. specifisch schwerer seien als die geschmolzene Masse, aus der sie erstarrt seien. Thomson nimmt daher an, die Erde sei ein fester Kern mit einem tiefen Meere geschmolzener Sili- cate, welches denselben bedeckt hätte, gewesen. Als sich bei weiterer Abkühlung erstarrte Felsmassen auf der Oberfläche bil- deten, seien dieselben bis auf den festen Kern hinabgesunken. Erst nachdem das ganze feuerflüssige Meer auf diese Weise mit Felsschollen ausgefüllt war, konnte sich eine dauernde feste Kruste bilden. Die Zwischenräume zwischen den versunkenen Schollen blieben mit geschmolzenen Massen angefüllt und sind es zum Theil noch jetzt. Diesen im starren Erdkörper einge- schlossenen flüssigen Lava-Massen entspringt nach Thomson's Ansicht die Lava der Vulcane, und die von der Decke solcher Hohlräume auf den Boden derselben niederfallenden Felsmassen sind der Grund der Erdbeben. W. Thomson begründet diese Anschauung auf eine Rechnung seines Bruders James Thomson, nach welcher der Erstarrungspunkt flüssiger Massen durch den Druck in verschiedenem Sinne verschoben wird, je nach- dem der Körper sich beim Erstarren ausdehnt oder zu- sammenzieht. Beim Eise hat sich diese Rechnung voll- ständig bestätigt. Unter Zugrundelegung der Bischof'schen Ver- suche und der Hypothese von Laplace, nach welcher die Zu- nahme des Quadrates der Dichtigkeit der Zunahme des Druckes proportional ist, berechnet nun Thomson, dass für das Erdinnere die Schmelztemperatur der Silicate stets höher gewesen sei als
weil andernfalls die Meeresfluth in der beobachteten Grösse nicht eintreten könnte. Wäre die Erde im Innern noch flüssig, so müssten Land und Wasser gemeinsam die Fluthbewegungen ausführen, es könnte mithin keine relative Hebung des Wassers eintreten. Der geringe Widerstand einer mässig dicken, festen Kruste könne hierin nichts ändern. Wäre die Erde eine massive Glaskugel, so würde die Elasticität derselben ihr noch eine Fluth- bewegung gestatten, welche die für eine vollkommen starre Erde berechnete und mit der Erfahrung so ziemlich übereinstimmende Meeresfluth auf ⅖ und, wenn sie von Stahl wäre, auf ⅔ ihrer Grösse reduciren würde. Er erklärt es auch für unmöglich, dass sich eine feste Kruste bilden konnte, bevor die ganze Erde starr war, weil die festen Gesteine derselben nach Bischof’s Versuchen ca. 20 pCt. specifisch schwerer seien als die geschmolzene Masse, aus der sie erstarrt seien. Thomson nimmt daher an, die Erde sei ein fester Kern mit einem tiefen Meere geschmolzener Sili- cate, welches denselben bedeckt hätte, gewesen. Als sich bei weiterer Abkühlung erstarrte Felsmassen auf der Oberfläche bil- deten, seien dieselben bis auf den festen Kern hinabgesunken. Erst nachdem das ganze feuerflüssige Meer auf diese Weise mit Felsschollen ausgefüllt war, konnte sich eine dauernde feste Kruste bilden. Die Zwischenräume zwischen den versunkenen Schollen blieben mit geschmolzenen Massen angefüllt und sind es zum Theil noch jetzt. Diesen im starren Erdkörper einge- schlossenen flüssigen Lava-Massen entspringt nach Thomson’s Ansicht die Lava der Vulcane, und die von der Decke solcher Hohlräume auf den Boden derselben niederfallenden Felsmassen sind der Grund der Erdbeben. W. Thomson begründet diese Anschauung auf eine Rechnung seines Bruders James Thomson, nach welcher der Erstarrungspunkt flüssiger Massen durch den Druck in verschiedenem Sinne verschoben wird, je nach- dem der Körper sich beim Erstarren ausdehnt oder zu- sammenzieht. Beim Eise hat sich diese Rechnung voll- ständig bestätigt. Unter Zugrundelegung der Bischof’schen Ver- suche und der Hypothese von Laplace, nach welcher die Zu- nahme des Quadrates der Dichtigkeit der Zunahme des Druckes proportional ist, berechnet nun Thomson, dass für das Erdinnere die Schmelztemperatur der Silicate stets höher gewesen sei als
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[452/0474]
weil andernfalls die Meeresfluth in der beobachteten Grösse nicht
eintreten könnte. Wäre die Erde im Innern noch flüssig, so
müssten Land und Wasser gemeinsam die Fluthbewegungen
ausführen, es könnte mithin keine relative Hebung des Wassers
eintreten. Der geringe Widerstand einer mässig dicken, festen
Kruste könne hierin nichts ändern. Wäre die Erde eine massive
Glaskugel, so würde die Elasticität derselben ihr noch eine Fluth-
bewegung gestatten, welche die für eine vollkommen starre Erde
berechnete und mit der Erfahrung so ziemlich übereinstimmende
Meeresfluth auf ⅖ und, wenn sie von Stahl wäre, auf ⅔ ihrer
Grösse reduciren würde. Er erklärt es auch für unmöglich, dass
sich eine feste Kruste bilden konnte, bevor die ganze Erde starr
war, weil die festen Gesteine derselben nach Bischof’s Versuchen
ca. 20 pCt. specifisch schwerer seien als die geschmolzene Masse,
aus der sie erstarrt seien. Thomson nimmt daher an, die Erde
sei ein fester Kern mit einem tiefen Meere geschmolzener Sili-
cate, welches denselben bedeckt hätte, gewesen. Als sich bei
weiterer Abkühlung erstarrte Felsmassen auf der Oberfläche bil-
deten, seien dieselben bis auf den festen Kern hinabgesunken.
Erst nachdem das ganze feuerflüssige Meer auf diese Weise mit
Felsschollen ausgefüllt war, konnte sich eine dauernde feste
Kruste bilden. Die Zwischenräume zwischen den versunkenen
Schollen blieben mit geschmolzenen Massen angefüllt und sind
es zum Theil noch jetzt. Diesen im starren Erdkörper einge-
schlossenen flüssigen Lava-Massen entspringt nach Thomson’s
Ansicht die Lava der Vulcane, und die von der Decke solcher
Hohlräume auf den Boden derselben niederfallenden Felsmassen
sind der Grund der Erdbeben. W. Thomson begründet diese
Anschauung auf eine Rechnung seines Bruders James Thomson,
nach welcher der Erstarrungspunkt flüssiger Massen durch
den Druck in verschiedenem Sinne verschoben wird, je nach-
dem der Körper sich beim Erstarren ausdehnt oder zu-
sammenzieht. Beim Eise hat sich diese Rechnung voll-
ständig bestätigt. Unter Zugrundelegung der Bischof’schen Ver-
suche und der Hypothese von Laplace, nach welcher die Zu-
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Siemens, Werner von: Gesammelte Abhandlungen und Vorträge. Berlin, 1881, S. 452. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siemens_abhandlungen_1881/474>, abgerufen am 22.11.2024.
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