wichtigen Fällen auch bei Elektricität hoher Spannung durch das nothwendige Gesetz der Molecularvertheilung begründet wird, ist die Frage berechtigt, ob die statische Anordnung der Elektricität auf der Oberfläche der Leiter nicht ausschliesslich als Folge der Molecularvertheilung aufgefasst werden kann.
Ich wage nicht diese wichtige Frage unbedingt zu bejahen, kann es auch nicht unternehmen, alle von der Form der Con- ductoren und ihrer gegenseitigen Influenz abhängigen Dichtig- keitsverhältnisse als durch das Gesetz der Molecularvertheilung bedingt nachzuweisen, da mich dies weit über die Grenzen hin- ausführen würde, die ich der Ausdehnung der vorliegenden Arbeit stecken musste, glaubte jedoch durch die mitgetheilten Resultate berechtigt zu sein, diese Ansicht so lange für begründet zu er- klären, bis der Nachweis des Gegentheils geführt ist.
Es ist nicht anzunehmen, dass zwei von einander unab- hängige Ursachen die Dichtigkeit der Elektricität auf der Ober- fläche der Körper bedingen, von denen jede in einzelnen Fällen nicht nur die ganze Erscheinung erklärt, sondern sogar noth- wendig bedingt. Ist daher die Ansicht Faraday's dass die elektro- statische Induction oder Vertheilung ausschliesslich eine Molecu- larwirkung, keine Folge der directen Anziehung und Abstossung der elektrischen Fluida ist, richtig -- und nach den vorliegen- den Versuchen scheint mir kaum noch ein Zweifel darüber zu- lässig -- so ist dieselbe auch die Ursache der Verschiedenheit der Dichtigkeit der Elektricität auf der Oberfläche leitender, elektrisirter Körper. Es kann daher die Kraft, mit welcher zwei elektrisirte Körper sich erfahrungsmässig anziehen, resp. abstossen, nicht gleichzeitig die erste Ursache der ungleichen Verbreitung der Elektricität auf der Oberfläche der Körper sein, oder mit anderen Worten: Die Anziehung und Abstossung ist nicht eine Eigen- schaft der elektrischen Fluida, sondern der elektrisirten Materie.
Poisson begründet seine Berechnungen der Dichtigkeit der Elektricität wesentlich auf die von ihm als nothwendig ange- nommene Bedingung, dass die Resultante aller anziehenden Wir- kungen der auf der Oberfläche eines Körpers befindlichen Elektri- cität für jeden beliebigen Punkt im Innern gleich 0 sein müsse, da anderenfalls eine Zerlegung der natürlichen Elektricität dieses Punktes und dadurch eine Störung des angenommenen Gleich-
wichtigen Fällen auch bei Elektricität hoher Spannung durch das nothwendige Gesetz der Molecularvertheilung begründet wird, ist die Frage berechtigt, ob die statische Anordnung der Elektricität auf der Oberfläche der Leiter nicht ausschliesslich als Folge der Molecularvertheilung aufgefasst werden kann.
Ich wage nicht diese wichtige Frage unbedingt zu bejahen, kann es auch nicht unternehmen, alle von der Form der Con- ductoren und ihrer gegenseitigen Influenz abhängigen Dichtig- keitsverhältnisse als durch das Gesetz der Molecularvertheilung bedingt nachzuweisen, da mich dies weit über die Grenzen hin- ausführen würde, die ich der Ausdehnung der vorliegenden Arbeit stecken musste, glaubte jedoch durch die mitgetheilten Resultate berechtigt zu sein, diese Ansicht so lange für begründet zu er- klären, bis der Nachweis des Gegentheils geführt ist.
Es ist nicht anzunehmen, dass zwei von einander unab- hängige Ursachen die Dichtigkeit der Elektricität auf der Ober- fläche der Körper bedingen, von denen jede in einzelnen Fällen nicht nur die ganze Erscheinung erklärt, sondern sogar noth- wendig bedingt. Ist daher die Ansicht Faraday’s dass die elektro- statische Induction oder Vertheilung ausschliesslich eine Molecu- larwirkung, keine Folge der directen Anziehung und Abstossung der elektrischen Fluida ist, richtig — und nach den vorliegen- den Versuchen scheint mir kaum noch ein Zweifel darüber zu- lässig — so ist dieselbe auch die Ursache der Verschiedenheit der Dichtigkeit der Elektricität auf der Oberfläche leitender, elektrisirter Körper. Es kann daher die Kraft, mit welcher zwei elektrisirte Körper sich erfahrungsmässig anziehen, resp. abstossen, nicht gleichzeitig die erste Ursache der ungleichen Verbreitung der Elektricität auf der Oberfläche der Körper sein, oder mit anderen Worten: Die Anziehung und Abstossung ist nicht eine Eigen- schaft der elektrischen Fluida, sondern der elektrisirten Materie.
Poisson begründet seine Berechnungen der Dichtigkeit der Elektricität wesentlich auf die von ihm als nothwendig ange- nommene Bedingung, dass die Resultante aller anziehenden Wir- kungen der auf der Oberfläche eines Körpers befindlichen Elektri- cität für jeden beliebigen Punkt im Innern gleich 0 sein müsse, da anderenfalls eine Zerlegung der natürlichen Elektricität dieses Punktes und dadurch eine Störung des angenommenen Gleich-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0212"n="194"/>
wichtigen Fällen auch bei Elektricität hoher Spannung durch das<lb/>
nothwendige Gesetz der Molecularvertheilung begründet wird, ist<lb/>
die Frage berechtigt, ob die statische Anordnung der Elektricität<lb/>
auf der Oberfläche der Leiter nicht ausschliesslich als Folge der<lb/>
Molecularvertheilung aufgefasst werden kann.</p><lb/><p>Ich wage nicht diese wichtige Frage unbedingt zu bejahen,<lb/>
kann es auch nicht unternehmen, alle von der Form der Con-<lb/>
ductoren und ihrer gegenseitigen Influenz abhängigen Dichtig-<lb/>
keitsverhältnisse als durch das Gesetz der Molecularvertheilung<lb/>
bedingt <choice><sic>nacbzuweisen</sic><corr>nachzuweisen</corr></choice>, da mich dies weit über die Grenzen hin-<lb/>
ausführen würde, die ich der Ausdehnung der vorliegenden Arbeit<lb/>
stecken musste, glaubte jedoch durch die mitgetheilten Resultate<lb/>
berechtigt zu sein, diese Ansicht so lange für begründet zu er-<lb/>
klären, bis der Nachweis des Gegentheils geführt ist.</p><lb/><p>Es ist nicht anzunehmen, dass zwei von einander unab-<lb/>
hängige Ursachen die Dichtigkeit der Elektricität auf der Ober-<lb/>
fläche der Körper bedingen, von denen jede in einzelnen Fällen<lb/>
nicht nur die ganze Erscheinung erklärt, sondern sogar noth-<lb/>
wendig bedingt. Ist daher die Ansicht Faraday’s dass die elektro-<lb/>
statische Induction oder Vertheilung ausschliesslich eine Molecu-<lb/>
larwirkung, keine Folge der directen Anziehung und Abstossung<lb/>
der elektrischen Fluida ist, richtig — und nach den vorliegen-<lb/>
den Versuchen scheint mir kaum noch ein Zweifel darüber zu-<lb/>
lässig — so ist dieselbe auch die Ursache der Verschiedenheit<lb/>
der Dichtigkeit der Elektricität auf der Oberfläche leitender,<lb/>
elektrisirter Körper. Es kann daher die Kraft, mit welcher zwei<lb/>
elektrisirte Körper sich erfahrungsmässig anziehen, resp. abstossen,<lb/>
nicht gleichzeitig die erste Ursache der ungleichen Verbreitung der<lb/>
Elektricität auf der Oberfläche der Körper sein, oder mit anderen<lb/>
Worten: Die Anziehung und Abstossung ist nicht eine Eigen-<lb/>
schaft der elektrischen Fluida, sondern der elektrisirten Materie.</p><lb/><p>Poisson begründet seine Berechnungen der Dichtigkeit der<lb/>
Elektricität wesentlich auf die von ihm als nothwendig ange-<lb/>
nommene Bedingung, dass die Resultante aller anziehenden Wir-<lb/>
kungen der auf der Oberfläche eines Körpers befindlichen Elektri-<lb/>
cität für jeden beliebigen Punkt im Innern gleich 0 sein müsse,<lb/>
da anderenfalls eine Zerlegung der natürlichen Elektricität dieses<lb/>
Punktes und dadurch eine Störung des angenommenen Gleich-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[194/0212]
wichtigen Fällen auch bei Elektricität hoher Spannung durch das
nothwendige Gesetz der Molecularvertheilung begründet wird, ist
die Frage berechtigt, ob die statische Anordnung der Elektricität
auf der Oberfläche der Leiter nicht ausschliesslich als Folge der
Molecularvertheilung aufgefasst werden kann.
Ich wage nicht diese wichtige Frage unbedingt zu bejahen,
kann es auch nicht unternehmen, alle von der Form der Con-
ductoren und ihrer gegenseitigen Influenz abhängigen Dichtig-
keitsverhältnisse als durch das Gesetz der Molecularvertheilung
bedingt nachzuweisen, da mich dies weit über die Grenzen hin-
ausführen würde, die ich der Ausdehnung der vorliegenden Arbeit
stecken musste, glaubte jedoch durch die mitgetheilten Resultate
berechtigt zu sein, diese Ansicht so lange für begründet zu er-
klären, bis der Nachweis des Gegentheils geführt ist.
Es ist nicht anzunehmen, dass zwei von einander unab-
hängige Ursachen die Dichtigkeit der Elektricität auf der Ober-
fläche der Körper bedingen, von denen jede in einzelnen Fällen
nicht nur die ganze Erscheinung erklärt, sondern sogar noth-
wendig bedingt. Ist daher die Ansicht Faraday’s dass die elektro-
statische Induction oder Vertheilung ausschliesslich eine Molecu-
larwirkung, keine Folge der directen Anziehung und Abstossung
der elektrischen Fluida ist, richtig — und nach den vorliegen-
den Versuchen scheint mir kaum noch ein Zweifel darüber zu-
lässig — so ist dieselbe auch die Ursache der Verschiedenheit
der Dichtigkeit der Elektricität auf der Oberfläche leitender,
elektrisirter Körper. Es kann daher die Kraft, mit welcher zwei
elektrisirte Körper sich erfahrungsmässig anziehen, resp. abstossen,
nicht gleichzeitig die erste Ursache der ungleichen Verbreitung der
Elektricität auf der Oberfläche der Körper sein, oder mit anderen
Worten: Die Anziehung und Abstossung ist nicht eine Eigen-
schaft der elektrischen Fluida, sondern der elektrisirten Materie.
Poisson begründet seine Berechnungen der Dichtigkeit der
Elektricität wesentlich auf die von ihm als nothwendig ange-
nommene Bedingung, dass die Resultante aller anziehenden Wir-
kungen der auf der Oberfläche eines Körpers befindlichen Elektri-
cität für jeden beliebigen Punkt im Innern gleich 0 sein müsse,
da anderenfalls eine Zerlegung der natürlichen Elektricität dieses
Punktes und dadurch eine Störung des angenommenen Gleich-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Siemens, Werner von: Gesammelte Abhandlungen und Vorträge. Berlin, 1881, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siemens_abhandlungen_1881/212>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.