Siegemund, Justine: Königliche Preußische und Chur-Brandenburgische Hof-Wehe-Mutter. Cölln (Spree), 1690.Das IX. Capitel Kräffte ausstehen wolten/ und das Kind bleibet doch in seinerPresse stecken/ wie es stecket. Darum ist das Stürtzen ei- ne blinde Sache/ und kommet von unvernünfftigen Leu- ten her/ aus blosser Meinung/ weil die Frau überstürtzet wird/ so solle sich das Kind auch überstürtzen/ sie verste- hen aber nicht/ daß das Kind so feste stecket. Stecke ein Stücke Fleisch in einen Sack/ binde ihn feste zu/ überstürtze her- nach den Sack/ so lange du wilt/ alsdann binde ihn wieder auf/ so wirst du das. Fleisch wol finden/ wie es eingebunden worden/ wenn auch der Sack hundert mahl überworffen wäre; Eben so gehet es auch mit dieser Stürtzung/ die Frau wird eher da- durch erstecket/ als daß ihr durch solche unvernünfftige Hülffe solte geholffen werden. Christ. Wie aber/ wenn sie eher gestürtzet wür- de/ nehmlich/ bey nochstehendem Wasser/ vielleicht wür- de ihr dabey geholffen/ daß diese Gefahr dadurch ver- hütet werden könte? Just. Es kan auch nicht geschehen/ bey nochstehen- dem Wasser zu stürtzen. Es würde wohl unrechte Ge- burten machen/ aber unrechte Geburten nicht recht. Das ist nicht möglich/ weil es gegen die Geburts-Knochen (oder Schlös- ser/ wie sie sonst genennet werden) enge und gedrange eindrin- gen muß/ soll das Kind zu rechter Geburt gestürtzet werden/ so müßte der Kopff sich in die Geburts-Knochen eindringen/ das kan kein Stürtzen zu wege bringen/ wenn es nicht von Natur/ und durch Gottes sonderbahre Schickung bey dergleichen Gött- lichen Vorsorge geschiehet. Also siehet man dabey Gottes Gna- de und Allmacht/ wenn es recht betrachtet wird/ wie täglich Kinder glücklich gebohren werden. Diese Meinung/ wegen des Stürtzens/ kömmet mir eben vor/ als wie die Aber- gläubische Meinung vieler Leute/ die alle Knoten/ welche eine
Das IX. Capitel Kraͤffte ausſtehen wolten/ und das Kind bleibet doch in ſeinerPreſſe ſtecken/ wie es ſtecket. Darum iſt das Stuͤrtzen ei- ne blinde Sache/ und kommet von unvernuͤnfftigen Leu- ten her/ aus bloſſer Meinung/ weil die Frau uͤberſtuͤrtzet wird/ ſo ſolle ſich das Kind auch uͤberſtuͤrtzen/ ſie verſte- hen aber nicht/ daß das Kind ſo feſte ſtecket. Stecke ein Stuͤcke Fleiſch in einen Sack/ binde ihn feſte zu/ uͤberſtuͤrtze her- nach den Sack/ ſo lange du wilt/ alsdann binde ihn wieder auf/ ſo wirſt du das. Fleiſch wol finden/ wie es eingebunden worden/ wenn auch der Sack hundert mahl uͤberworffen waͤre; Eben ſo gehet es auch mit dieſer Stuͤrtzung/ die Frau wird eher da- durch erſtecket/ als daß ihr durch ſolche unvernuͤnfftige Huͤlffe ſolte geholffen werden. Chriſt. Wie aber/ wenn ſie eher geſtuͤrtzet wuͤr- de/ nehmlich/ bey nochſtehendem Waſſer/ vielleicht wuͤr- de ihr dabey geholffen/ daß dieſe Gefahr dadurch ver- huͤtet werden koͤnte? Juſt. Es kan auch nicht geſchehen/ bey nochſtehen- dem Waſſer zu ſtuͤrtzen. Es wuͤrde wohl unrechte Ge- burten machen/ aber unrechte Geburten nicht recht. Das iſt nicht moͤglich/ weil es gegen die Geburts-Knochen (oder Schloͤſ- ſer/ wie ſie ſonſt genennet werden) enge und gedrange eindrin- gen muß/ ſoll das Kind zu rechter Geburt geſtuͤrtzet werden/ ſo muͤßte der Kopff ſich in die Geburts-Knochen eindringen/ das kan kein Stuͤrtzen zu wege bringen/ wenn es nicht von Natur/ und durch Gottes ſonderbahre Schickung bey dergleichen Goͤtt- lichen Vorſorge geſchiehet. Alſo ſiehet man dabey Gottes Gna- de und Allmacht/ wenn es recht betrachtet wird/ wie taͤglich Kinder gluͤcklich gebohren werden. Dieſe Meinung/ wegen des Stuͤrtzens/ koͤmmet mir eben vor/ als wie die Aber- glaͤubiſche Meinung vieler Leute/ die alle Knoten/ welche eine
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Das IX. Capitel
Kraͤffte ausſtehen wolten/ und das Kind bleibet doch in ſeiner
Preſſe ſtecken/ wie es ſtecket. Darum iſt das Stuͤrtzen ei-
ne blinde Sache/ und kommet von unvernuͤnfftigen Leu-
ten her/ aus bloſſer Meinung/ weil die Frau uͤberſtuͤrtzet
wird/ ſo ſolle ſich das Kind auch uͤberſtuͤrtzen/ ſie verſte-
hen aber nicht/ daß das Kind ſo feſte ſtecket. Stecke ein
Stuͤcke Fleiſch in einen Sack/ binde ihn feſte zu/ uͤberſtuͤrtze her-
nach den Sack/ ſo lange du wilt/ alsdann binde ihn wieder auf/
ſo wirſt du das. Fleiſch wol finden/ wie es eingebunden worden/
wenn auch der Sack hundert mahl uͤberworffen waͤre; Eben
ſo gehet es auch mit dieſer Stuͤrtzung/ die Frau wird eher da-
durch erſtecket/ als daß ihr durch ſolche unvernuͤnfftige Huͤlffe
ſolte geholffen werden.
Chriſt. Wie aber/ wenn ſie eher geſtuͤrtzet wuͤr-
de/ nehmlich/ bey nochſtehendem Waſſer/ vielleicht wuͤr-
de ihr dabey geholffen/ daß dieſe Gefahr dadurch ver-
huͤtet werden koͤnte?
Juſt. Es kan auch nicht geſchehen/ bey nochſtehen-
dem Waſſer zu ſtuͤrtzen. Es wuͤrde wohl unrechte Ge-
burten machen/ aber unrechte Geburten nicht recht. Das
iſt nicht moͤglich/ weil es gegen die Geburts-Knochen (oder Schloͤſ-
ſer/ wie ſie ſonſt genennet werden) enge und gedrange eindrin-
gen muß/ ſoll das Kind zu rechter Geburt geſtuͤrtzet werden/
ſo muͤßte der Kopff ſich in die Geburts-Knochen eindringen/ das
kan kein Stuͤrtzen zu wege bringen/ wenn es nicht von Natur/
und durch Gottes ſonderbahre Schickung bey dergleichen Goͤtt-
lichen Vorſorge geſchiehet. Alſo ſiehet man dabey Gottes Gna-
de und Allmacht/ wenn es recht betrachtet wird/ wie taͤglich
Kinder gluͤcklich gebohren werden. Dieſe Meinung/ wegen
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Zitationshilfe: | Siegemund, Justine: Königliche Preußische und Chur-Brandenburgische Hof-Wehe-Mutter. Cölln (Spree), 1690, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siegemund_unterricht_1690/335>, abgerufen am 29.06.2024. |