Siegemund, Justine: Königliche Preußische und Chur-Brandenburgische Hof-Wehe-Mutter. Cölln (Spree), 1690.Das V. Capitel ter Frantzose den folgenden Tag. Hätte nun diese Frau nicht sostarcke Kräffte gehabt/ sie wäre uns unter den Händen todt ge- blieben. Als nun der Balbierer mit neuen Kräfften darzu kam/ und über einen halben Tag mit seinen starcken Händen und Fingern arbeitete/ den Kopff zu ziehen und zu drücken/ so mußte endlich die Hirnschale brechen/ daß also weder Haaken noch ei- nig ander Instrument mehr nöthig war. Und weil sonder Zwei- fel GOtt meine Unschuld ans Licht bringen wolte/ so mußte es mir wieder übergeben werden/ indem der Balbierer ohne den Haaken vor sich kein Loch in den Kopff zu machen getrauete. Wie ich aber wieder angriff/ und den Hirnschädel so entzwey gedrücket fand/ ich auch den Kopff tieffer fassen konte/ mit mei- nen kleinen Händen/ als er mit seinen großen/ so war es mir gar leicht mit den Fingern ein Loch zu machen. Als ich nun das Loch durch die Haut und Hirnschale gemacht/ so war das Häut- chen über dem Gehirne sehr starck/ welches ich aber mit Bewilli- gung des Herrn Physici und der andern Anwesenden mit einer Haar-Nadel durchstach/ da lieff das Gehirne heraus/ und ward der Kopff zu fassen und zu ziehen geschickt/ und ergab sich also- bald zur Geburt. Wie solches der Frantzose sahe/ wolte er mich weg haben/ und sagte: Er mit seiner Stärcke könte besser helf- fen/ als ich. Wiewohl nun da weder Stärcke noch einige Kunst mehr nöthig war. Dennoch um Friedens willen wich ich ihm. Es war den Augenblick dar/ er konte kaum so bald anrücken und anfassen/ so hatte ers in Händen. Diese Frau erhielt durch das Kreysten ihr Leben/ und behielt auch ihre Gesundheit/ wie wohl sie sehr matt war/ lebte also noch vier Wochen/ und starb endlich plötzlich/ da sich dessen kein Mensch versahe. Sie war zwar noch schwach/ jedoch machte sie sich dann und wann aus dem Bette/ eine Stunde und mehr zu sitzen. Und wie sie sich einesmahls des Morgens auch ein wenig aus dem Bette zu sitzen begab/ und nur ein wenig heraußer war/ ehe ihr die Mutter das
Das V. Capitel ter Frantzoſe den folgenden Tag. Haͤtte nun dieſe Frau nicht ſoſtarcke Kraͤffte gehabt/ ſie waͤre uns unter den Haͤnden todt ge- blieben. Als nun der Balbierer mit neuen Kraͤfften darzu kam/ und uͤber einen halben Tag mit ſeinen ſtarcken Haͤnden und Fingern arbeitete/ den Kopff zu ziehen und zu druͤcken/ ſo mußte endlich die Hirnſchale brechen/ daß alſo weder Haaken noch ei- nig ander Inſtrument mehr noͤthig war. Und weil ſonder Zwei- fel GOtt meine Unſchuld ans Licht bringen wolte/ ſo mußte es mir wieder uͤbergeben werden/ indem der Balbierer ohne den Haaken vor ſich kein Loch in den Kopff zu machen getrauete. Wie ich aber wieder angriff/ und den Hirnſchaͤdel ſo entzwey gedruͤcket fand/ ich auch den Kopff tieffer faſſen konte/ mit mei- nen kleinen Haͤnden/ als er mit ſeinen großen/ ſo war es mir gar leicht mit den Fingern ein Loch zu machen. Als ich nun das Loch durch die Haut und Hirnſchale gemacht/ ſo war das Haͤut- chen uͤber dem Gehirne ſehr ſtarck/ welches ich aber mit Bewilli- gung des Herrn Phyſici und der andern Anweſenden mit einer Haar-Nadel durchſtach/ da lieff das Gehirne heraus/ und ward der Kopff zu faſſen und zu ziehen geſchickt/ und ergab ſich alſo- bald zur Geburt. Wie ſolches der Frantzoſe ſahe/ wolte er mich weg haben/ und ſagte: Er mit ſeiner Staͤrcke koͤnte beſſer helf- fen/ als ich. Wiewohl nun da weder Staͤrcke noch einige Kunſt mehr noͤthig war. Dennoch um Friedens willen wich ich ihm. Es war den Augenblick dar/ er konte kaum ſo bald anruͤcken und anfaſſen/ ſo hatte ers in Haͤnden. Dieſe Frau erhielt durch das Kreyſten ihr Leben/ und behielt auch ihre Geſundheit/ wie wohl ſie ſehr matt war/ lebte alſo noch vier Wochen/ und ſtarb endlich ploͤtzlich/ da ſich deſſen kein Menſch verſahe. Sie war zwar noch ſchwach/ jedoch machte ſie ſich dann und wann aus dem Bette/ eine Stunde und mehr zu ſitzen. Und wie ſie ſich einesmahls des Morgens auch ein wenig aus dem Bette zu ſitzen begab/ und nur ein wenig heraußer war/ ehe ihr die Mutter das
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Das V. Capitel
ter Frantzoſe den folgenden Tag. Haͤtte nun dieſe Frau nicht ſo
ſtarcke Kraͤffte gehabt/ ſie waͤre uns unter den Haͤnden todt ge-
blieben. Als nun der Balbierer mit neuen Kraͤfften darzu kam/
und uͤber einen halben Tag mit ſeinen ſtarcken Haͤnden und
Fingern arbeitete/ den Kopff zu ziehen und zu druͤcken/ ſo mußte
endlich die Hirnſchale brechen/ daß alſo weder Haaken noch ei-
nig ander Inſtrument mehr noͤthig war. Und weil ſonder Zwei-
fel GOtt meine Unſchuld ans Licht bringen wolte/ ſo mußte es
mir wieder uͤbergeben werden/ indem der Balbierer ohne den
Haaken vor ſich kein Loch in den Kopff zu machen getrauete.
Wie ich aber wieder angriff/ und den Hirnſchaͤdel ſo entzwey
gedruͤcket fand/ ich auch den Kopff tieffer faſſen konte/ mit mei-
nen kleinen Haͤnden/ als er mit ſeinen großen/ ſo war es mir
gar leicht mit den Fingern ein Loch zu machen. Als ich nun das
Loch durch die Haut und Hirnſchale gemacht/ ſo war das Haͤut-
chen uͤber dem Gehirne ſehr ſtarck/ welches ich aber mit Bewilli-
gung des Herrn Phyſici und der andern Anweſenden mit einer
Haar-Nadel durchſtach/ da lieff das Gehirne heraus/ und ward
der Kopff zu faſſen und zu ziehen geſchickt/ und ergab ſich alſo-
bald zur Geburt. Wie ſolches der Frantzoſe ſahe/ wolte er mich
weg haben/ und ſagte: Er mit ſeiner Staͤrcke koͤnte beſſer helf-
fen/ als ich. Wiewohl nun da weder Staͤrcke noch einige Kunſt
mehr noͤthig war. Dennoch um Friedens willen wich ich ihm.
Es war den Augenblick dar/ er konte kaum ſo bald anruͤcken
und anfaſſen/ ſo hatte ers in Haͤnden. Dieſe Frau erhielt durch
das Kreyſten ihr Leben/ und behielt auch ihre Geſundheit/ wie
wohl ſie ſehr matt war/ lebte alſo noch vier Wochen/ und ſtarb
endlich ploͤtzlich/ da ſich deſſen kein Menſch verſahe. Sie war
zwar noch ſchwach/ jedoch machte ſie ſich dann und wann aus
dem Bette/ eine Stunde und mehr zu ſitzen. Und wie ſie ſich
einesmahls des Morgens auch ein wenig aus dem Bette zu ſitzen
begab/ und nur ein wenig heraußer war/ ehe ihr die Mutter
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