Den grossen Trost gemeiner Seelen; Mit dem olympischen Geschlecht Soll uns schon hier die Göttliche vermählen.
Jeder soll billig seyn für sich; das ist menschlich, das ist schön: aber alle müssen gerecht seyn gegen alle; das ist nothwendig, sonst kann das Ganze nicht bestehen. Der billige Richter ist ein schlechter Rich¬ ter, oder seine Gesetze sind sehr mangelhaft. Die Billigkeit des Richters wäre ein Eingriff in die Gerech¬ tigkeit. Zur Gerechtigkeit kann, muss der Mensch gezwungen werden; zur Billigkeit nicht: das ist in der Natur der Sache gegründet. Wo die Partheyen billig seyn wollen, handelt der Richter nicht als Richter, sondern als Schiedsmann. Die Gerechtigkeit ist die erste grosse göttliche Kardinaltugend, welche die Menschheit weiter bringen kann. Nicht die Gerech¬ tigkeit, die in den zwölf Tafeln steht und die nach¬ her Justinian lehren liess. Jeder unbefangene Ge¬ schichtsforscher weiss, was die Zehnmänner waren, was sie für Zwecke hatten und wie sie zu Werke gin¬ gen, und wie viel Unsinn Papinian von der Toilette der heiligen Theodora annehmen musste. Nicht die Gerechtigkeit unserer Fürsten, die einige tausend Bauern mit Peitschen vom Pfluge hauen, damit sie ihnen ein Schwein jagen, das ein Jägerbursche zum Probeschuss tödten könnte. An der Seine erschien vor einigen Jahren eine Morgenröthe, die sie hervorzufüh¬ ren versprach. Aber die Morgenröthe verschwand, es folgten Ungewitter, dann dicke Wolken und endlich
Mit seinem Eisenstab befriedige das Recht
Den groſsen Trost gemeiner Seelen; Mit dem olympischen Geschlecht Soll uns schon hier die Göttliche vermählen.
Jeder soll billig seyn für sich; das ist menschlich, das ist schön: aber alle müssen gerecht seyn gegen alle; das ist nothwendig, sonst kann das Ganze nicht bestehen. Der billige Richter ist ein schlechter Rich¬ ter, oder seine Gesetze sind sehr mangelhaft. Die Billigkeit des Richters wäre ein Eingriff in die Gerech¬ tigkeit. Zur Gerechtigkeit kann, muſs der Mensch gezwungen werden; zur Billigkeit nicht: das ist in der Natur der Sache gegründet. Wo die Partheyen billig seyn wollen, handelt der Richter nicht als Richter, sondern als Schiedsmann. Die Gerechtigkeit ist die erste groſse göttliche Kardinaltugend, welche die Menschheit weiter bringen kann. Nicht die Gerech¬ tigkeit, die in den zwölf Tafeln steht und die nach¬ her Justinian lehren lieſs. Jeder unbefangene Ge¬ schichtsforscher weiſs, was die Zehnmänner waren, was sie für Zwecke hatten und wie sie zu Werke gin¬ gen, und wie viel Unsinn Papinian von der Toilette der heiligen Theodora annehmen muſste. Nicht die Gerechtigkeit unserer Fürsten, die einige tausend Bauern mit Peitschen vom Pfluge hauen, damit sie ihnen ein Schwein jagen, das ein Jägerbursche zum Probeschuſs tödten könnte. An der Seine erschien vor einigen Jahren eine Morgenröthe, die sie hervorzufüh¬ ren versprach. Aber die Morgenröthe verschwand, es folgten Ungewitter, dann dicke Wolken und endlich
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Mit seinem Eisenstab befriedige das Recht
Den groſsen Trost gemeiner Seelen;
Mit dem olympischen Geschlecht
Soll uns schon hier die Göttliche vermählen.
Jeder soll billig seyn für sich; das ist menschlich,
das ist schön: aber alle müssen gerecht seyn gegen
alle; das ist nothwendig, sonst kann das Ganze nicht
bestehen. Der billige Richter ist ein schlechter Rich¬
ter, oder seine Gesetze sind sehr mangelhaft. Die
Billigkeit des Richters wäre ein Eingriff in die Gerech¬
tigkeit. Zur Gerechtigkeit kann, muſs der Mensch
gezwungen werden; zur Billigkeit nicht: das ist in der
Natur der Sache gegründet. Wo die Partheyen billig
seyn wollen, handelt der Richter nicht als Richter,
sondern als Schiedsmann. Die Gerechtigkeit ist die
erste groſse göttliche Kardinaltugend, welche die
Menschheit weiter bringen kann. Nicht die Gerech¬
tigkeit, die in den zwölf Tafeln steht und die nach¬
her Justinian lehren lieſs. Jeder unbefangene Ge¬
schichtsforscher weiſs, was die Zehnmänner waren,
was sie für Zwecke hatten und wie sie zu Werke gin¬
gen, und wie viel Unsinn Papinian von der Toilette
der heiligen Theodora annehmen muſste. Nicht die
Gerechtigkeit unserer Fürsten, die einige tausend
Bauern mit Peitschen vom Pfluge hauen, damit sie
ihnen ein Schwein jagen, das ein Jägerbursche zum
Probeschuſs tödten könnte. An der Seine erschien vor
einigen Jahren eine Morgenröthe, die sie hervorzufüh¬
ren versprach. Aber die Morgenröthe verschwand, es
folgten Ungewitter, dann dicke Wolken und endlich
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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/79>, abgerufen am 22.11.2024.
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