kannt, Wien hätte sich nicht acht Tage halten kön¬ nen; und welche Folgen hätte es gehabt, wenn es auf dem Wege der Gewalt in die Hände der Feinde ge¬ kommen wäre? Die Wiener waren zwar sicher, dass es nicht dahin kommen würde; aber eben desswegen waren die Vorkehrungen ziemlich verkehrt. Man hätte gleich mit Entschlossenheit der Maxime des Mi¬ nisters folgen können, dessen übrige Verfahrungsart ich aber nicht vertheidigen möchte. Hier hatte er ganz Recht, wenn nur sonst die Kräfte gewogen wä¬ ren: Die Residenz ist nicht die Monarchie; und es ist manchem Staate nichts weniger als wohlthätig, dass die Kapitale so viel Einfluss auf das Ganze haben.
Für Kunstsachen und gelehrtes Wesen habe ich, wie Dir bekannt ist, nur selten eine glückliche Stim¬ mung; ich will Dir also, zumahl da das Feld hier zu gross ist, darüber nichts weiter sagen: Du magst Dir von Schnorr erzählen lassen, der vermuthlich eher zu¬ rück kommt als ich.
Ich darf rühmen, dass ich in Wien überall mit einer Bonhommie und Gefälligkeit behandelt worden bin, die man vielleicht in Residenzen nicht so gewöhn¬ lich findet. Selbst die schnakische Visitation an der Barriere wurde, was die Art betrifft, mit Höflichkeit gemacht. Den einzigen böotischen, aber auch ächt böo¬ tischen, Auftritt hatte ich den letzten Tag auf der ita¬ liänischen Kanzley. Hierher wurde ich mit meinem Passe von der Polizey um einen neuen gewiesen. Im Vorzimmer war man artig genug und meldete mich, da ich Eile zeigte, sogleich dem Präsidenten, der eine Art von Minister ist, den ich weiter nicht kenne. Er
kannt, Wien hätte sich nicht acht Tage halten kön¬ nen; und welche Folgen hätte es gehabt, wenn es auf dem Wege der Gewalt in die Hände der Feinde ge¬ kommen wäre? Die Wiener waren zwar sicher, daſs es nicht dahin kommen würde; aber eben deſswegen waren die Vorkehrungen ziemlich verkehrt. Man hätte gleich mit Entschlossenheit der Maxime des Mi¬ nisters folgen können, dessen übrige Verfahrungsart ich aber nicht vertheidigen möchte. Hier hatte er ganz Recht, wenn nur sonst die Kräfte gewogen wä¬ ren: Die Residenz ist nicht die Monarchie; und es ist manchem Staate nichts weniger als wohlthätig, daſs die Kapitale so viel Einfluſs auf das Ganze haben.
Für Kunstsachen und gelehrtes Wesen habe ich, wie Dir bekannt ist, nur selten eine glückliche Stim¬ mung; ich will Dir also, zumahl da das Feld hier zu groſs ist, darüber nichts weiter sagen: Du magst Dir von Schnorr erzählen lassen, der vermuthlich eher zu¬ rück kommt als ich.
Ich darf rühmen, daſs ich in Wien überall mit einer Bonhommie und Gefälligkeit behandelt worden bin, die man vielleicht in Residenzen nicht so gewöhn¬ lich findet. Selbst die schnakische Visitation an der Barriere wurde, was die Art betrifft, mit Höflichkeit gemacht. Den einzigen böotischen, aber auch ächt böo¬ tischen, Auftritt hatte ich den letzten Tag auf der ita¬ liänischen Kanzley. Hierher wurde ich mit meinem Passe von der Polizey um einen neuen gewiesen. Im Vorzimmer war man artig genug und meldete mich, da ich Eile zeigte, sogleich dem Präsidenten, der eine Art von Minister ist, den ich weiter nicht kenne. Er
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[40/0066]
kannt, Wien hätte sich nicht acht Tage halten kön¬
nen; und welche Folgen hätte es gehabt, wenn es auf
dem Wege der Gewalt in die Hände der Feinde ge¬
kommen wäre? Die Wiener waren zwar sicher, daſs
es nicht dahin kommen würde; aber eben deſswegen
waren die Vorkehrungen ziemlich verkehrt. Man
hätte gleich mit Entschlossenheit der Maxime des Mi¬
nisters folgen können, dessen übrige Verfahrungsart
ich aber nicht vertheidigen möchte. Hier hatte er
ganz Recht, wenn nur sonst die Kräfte gewogen wä¬
ren: Die Residenz ist nicht die Monarchie; und es ist
manchem Staate nichts weniger als wohlthätig, daſs
die Kapitale so viel Einfluſs auf das Ganze haben.
Für Kunstsachen und gelehrtes Wesen habe ich,
wie Dir bekannt ist, nur selten eine glückliche Stim¬
mung; ich will Dir also, zumahl da das Feld hier zu
groſs ist, darüber nichts weiter sagen: Du magst Dir
von Schnorr erzählen lassen, der vermuthlich eher zu¬
rück kommt als ich.
Ich darf rühmen, daſs ich in Wien überall mit
einer Bonhommie und Gefälligkeit behandelt worden
bin, die man vielleicht in Residenzen nicht so gewöhn¬
lich findet. Selbst die schnakische Visitation an der
Barriere wurde, was die Art betrifft, mit Höflichkeit
gemacht. Den einzigen böotischen, aber auch ächt böo¬
tischen, Auftritt hatte ich den letzten Tag auf der ita¬
liänischen Kanzley. Hierher wurde ich mit meinem
Passe von der Polizey um einen neuen gewiesen. Im
Vorzimmer war man artig genug und meldete mich, da
ich Eile zeigte, sogleich dem Präsidenten, der eine
Art von Minister ist, den ich weiter nicht kenne. Er
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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/66>, abgerufen am 24.11.2024.
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