konomie mehr merkantilisch als patriotisch berech¬ net.
Ich liess mich den andern Morgen meinem Freun¬ de ohne meinen Namen als einen Bekannten melden, der von Frankfurt käme. Wir hatten uns seit neun¬ zehn Jahren nicht gesehen und unser letztes Gespräch waren einige Worte auf dem Ocean, als der Zufall unsere Schiffe so nahe zusammen brachte. Die Zeit hatte aus Jünglingen Männer gemacht, im Gesichte vielleicht manchen Zug verändert, verwischt und ein¬ gegraben. Ich wusste vor wem ich stand und konnte also nicht irren. Er schien schnell seinen ganzen dor¬ tigen Zirkel durchzugehen, stand vor mir und kannte mich nicht. Hier habe ich ein kleines Empfehlungs¬ schreiben, sagte ich, indem ich ihm meinen Finger hinhielt, an dem sein Bild von ihm selbst in einem Ringe war. Es war als ob ihn ein elektrischer Schlag rührte, er fiel mir mit meinem Namen um den Hals und führte mich im Jubel zu seiner Frau. Die¬ ses war wieder eine der schönsten Minuten mei¬ nes Lebens. Einige Tage blieb ich bey ihm und sei¬ nen Freunden, und genoss, so weit mir meine ernstere Stimmung erlaubte, der frohen Heiterkeit der Ge¬ sellschaft.
Mir ist es oft recht wohl gewesen, wenn ich durch das Gothaische und Altenburgische ging. Man sieht fast nirgends einen höhern Grad von Wohlstand. Es herrscht daselbst durchaus noch eine gewisse Bon¬ hommie des Charakters, dass ich viele Gesichter fand, denen ich ohne weitere Bekanntschaft meine Börse
konomie mehr merkantilisch als patriotisch berech¬ net.
Ich lieſs mich den andern Morgen meinem Freun¬ de ohne meinen Namen als einen Bekannten melden, der von Frankfurt käme. Wir hatten uns seit neun¬ zehn Jahren nicht gesehen und unser letztes Gespräch waren einige Worte auf dem Ocean, als der Zufall unsere Schiffe so nahe zusammen brachte. Die Zeit hatte aus Jünglingen Männer gemacht, im Gesichte vielleicht manchen Zug verändert, verwischt und ein¬ gegraben. Ich wuſste vor wem ich stand und konnte also nicht irren. Er schien schnell seinen ganzen dor¬ tigen Zirkel durchzugehen, stand vor mir und kannte mich nicht. Hier habe ich ein kleines Empfehlungs¬ schreiben, sagte ich, indem ich ihm meinen Finger hinhielt, an dem sein Bild von ihm selbst in einem Ringe war. Es war als ob ihn ein elektrischer Schlag rührte, er fiel mir mit meinem Namen um den Hals und führte mich im Jubel zu seiner Frau. Die¬ ses war wieder eine der schönsten Minuten mei¬ nes Lebens. Einige Tage blieb ich bey ihm und sei¬ nen Freunden, und genoſs, so weit mir meine ernstere Stimmung erlaubte, der frohen Heiterkeit der Ge¬ sellschaft.
Mir ist es oft recht wohl gewesen, wenn ich durch das Gothaische und Altenburgische ging. Man sieht fast nirgends einen höhern Grad von Wohlstand. Es herrscht daselbst durchaus noch eine gewisse Bon¬ hommie des Charakters, daſs ich viele Gesichter fand, denen ich ohne weitere Bekanntschaft meine Börse
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konomie mehr merkantilisch als patriotisch berech¬
net.
Ich lieſs mich den andern Morgen meinem Freun¬
de ohne meinen Namen als einen Bekannten melden,
der von Frankfurt käme. Wir hatten uns seit neun¬
zehn Jahren nicht gesehen und unser letztes Gespräch
waren einige Worte auf dem Ocean, als der Zufall
unsere Schiffe so nahe zusammen brachte. Die Zeit
hatte aus Jünglingen Männer gemacht, im Gesichte
vielleicht manchen Zug verändert, verwischt und ein¬
gegraben. Ich wuſste vor wem ich stand und konnte
also nicht irren. Er schien schnell seinen ganzen dor¬
tigen Zirkel durchzugehen, stand vor mir und kannte
mich nicht. Hier habe ich ein kleines Empfehlungs¬
schreiben, sagte ich, indem ich ihm meinen Finger
hinhielt, an dem sein Bild von ihm selbst in einem
Ringe war. Es war als ob ihn ein elektrischer
Schlag rührte, er fiel mir mit meinem Namen um den
Hals und führte mich im Jubel zu seiner Frau. Die¬
ses war wieder eine der schönsten Minuten mei¬
nes Lebens. Einige Tage blieb ich bey ihm und sei¬
nen Freunden, und genoſs, so weit mir meine ernstere
Stimmung erlaubte, der frohen Heiterkeit der Ge¬
sellschaft.
Mir ist es oft recht wohl gewesen, wenn ich
durch das Gothaische und Altenburgische ging. Man
sieht fast nirgends einen höhern Grad von Wohlstand.
Es herrscht daselbst durchaus noch eine gewisse Bon¬
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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 486 . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/514>, abgerufen am 24.11.2024.
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