mahl fragte ich in einem Wirthshause, wo Reinlich¬ keit, Wohlhabenheit und sogar Ueberfluss herrschte, und wo man uns sehr gut beköstigt hatte, wie hoch die Dukaten ständen? Mir fehlte kleines Geld. Der Wirth antwortete sehr ehrlich: Das kann ich Ihnen wirklich durchaus nicht sagen; denn ich habe seit vier Jahren kein Gold gesehen: nichts als schlechtes Geld und Papier; und ich will Sie nicht betrügen mit der alten Taxe. Der Mann befand sich übrigens mit schlechtem Gelde und Papier sehr wohl und war zu¬ frieden, ohne sich um Dukaten zu bekümmern.
Wien.
Den zweyten Weihnachtsfeyertag kamen wir hier in Wien an, nachdem wir die Nacht vorher in Stockerau schon ächt wienerisch gegessen und geschlafen hatten. An der Barriere wurden wir durch eine Instanz ange¬ halten und an die andere zur Visitation gewiesen. Ich armer Teufel wurde hier in bester Form für einen Hebräer angesehen, der wohl Juwelen oder Brabanter Spitzen einpaschen könnte. Ueber die Physiognomen! Aber man musste doch den casum in terminis gehabt haben. Mein ganzer Tornister wurde ausgepackt, meine weisse und schwarze Wäsche durchwühlt, mein Homer beguckt, mein Theokrit herumgeworfen und mein Virgil beschaut, ob nicht vielleicht etwas franzö¬ sischer Konterband darin stecke: meine Taschen wur¬ den betastet und selbst meine Beinkleider fast bis an das heilige Bein durchsucht; alles sehr höflich.
mahl fragte ich in einem Wirthshause, wo Reinlich¬ keit, Wohlhabenheit und sogar Ueberfluſs herrschte, und wo man uns sehr gut beköstigt hatte, wie hoch die Dukaten ständen? Mir fehlte kleines Geld. Der Wirth antwortete sehr ehrlich: Das kann ich Ihnen wirklich durchaus nicht sagen; denn ich habe seit vier Jahren kein Gold gesehen: nichts als schlechtes Geld und Papier; und ich will Sie nicht betrügen mit der alten Taxe. Der Mann befand sich übrigens mit schlechtem Gelde und Papier sehr wohl und war zu¬ frieden, ohne sich um Dukaten zu bekümmern.
Wien.
Den zweyten Weihnachtsfeyertag kamen wir hier in Wien an, nachdem wir die Nacht vorher in Stockerau schon ächt wienerisch gegessen und geschlafen hatten. An der Barriere wurden wir durch eine Instanz ange¬ halten und an die andere zur Visitation gewiesen. Ich armer Teufel wurde hier in bester Form für einen Hebräer angesehen, der wohl Juwelen oder Brabanter Spitzen einpaschen könnte. Ueber die Physiognomen! Aber man muſste doch den casum in terminis gehabt haben. Mein ganzer Tornister wurde ausgepackt, meine weiſse und schwarze Wäsche durchwühlt, mein Homer beguckt, mein Theokrit herumgeworfen und mein Virgil beschaut, ob nicht vielleicht etwas franzö¬ sischer Konterband darin stecke: meine Taschen wur¬ den betastet und selbst meine Beinkleider fast bis an das heilige Bein durchsucht; alles sehr höflich.
<TEI><text><body><div><p><pbfacs="#f0051"n="25"/>
mahl fragte ich in einem Wirthshause, wo Reinlich¬<lb/>
keit, Wohlhabenheit und sogar Ueberfluſs herrschte,<lb/>
und wo man uns sehr gut beköstigt hatte, wie hoch<lb/>
die Dukaten ständen? Mir fehlte kleines Geld. Der<lb/>
Wirth antwortete sehr ehrlich: Das kann ich Ihnen<lb/>
wirklich durchaus nicht sagen; denn ich habe seit vier<lb/>
Jahren kein Gold gesehen: nichts als schlechtes Geld<lb/>
und Papier; und ich will Sie nicht betrügen mit der<lb/>
alten Taxe. Der Mann befand sich übrigens mit<lb/>
schlechtem Gelde und Papier sehr wohl und war zu¬<lb/>
frieden, ohne sich um Dukaten zu bekümmern.</p><lb/></div><milestonerendition="#hr"unit="section"/><div><dateline><hirendition="#right">Wien.</hi></dateline><lb/><p><hirendition="#in">D</hi>en zweyten Weihnachtsfeyertag kamen wir hier in<lb/>
Wien an, nachdem wir die Nacht vorher in Stockerau<lb/>
schon ächt wienerisch gegessen und geschlafen hatten.<lb/>
An der Barriere wurden wir durch eine Instanz ange¬<lb/>
halten und an die andere zur Visitation gewiesen. Ich<lb/>
armer Teufel wurde hier in bester Form für einen<lb/>
Hebräer angesehen, der wohl Juwelen oder Brabanter<lb/>
Spitzen einpaschen könnte. Ueber die Physiognomen!<lb/>
Aber man muſste doch den <hirendition="#i">casum in terminis</hi> gehabt<lb/>
haben. Mein ganzer Tornister wurde ausgepackt,<lb/>
meine weiſse und schwarze Wäsche durchwühlt, mein<lb/>
Homer beguckt, mein Theokrit herumgeworfen und<lb/>
mein Virgil beschaut, ob nicht vielleicht etwas franzö¬<lb/>
sischer Konterband darin stecke: meine Taschen wur¬<lb/>
den betastet und selbst meine Beinkleider fast bis an<lb/>
das heilige Bein durchsucht; alles sehr höflich.<lb/></p></div></body></text></TEI>
[25/0051]
mahl fragte ich in einem Wirthshause, wo Reinlich¬
keit, Wohlhabenheit und sogar Ueberfluſs herrschte,
und wo man uns sehr gut beköstigt hatte, wie hoch
die Dukaten ständen? Mir fehlte kleines Geld. Der
Wirth antwortete sehr ehrlich: Das kann ich Ihnen
wirklich durchaus nicht sagen; denn ich habe seit vier
Jahren kein Gold gesehen: nichts als schlechtes Geld
und Papier; und ich will Sie nicht betrügen mit der
alten Taxe. Der Mann befand sich übrigens mit
schlechtem Gelde und Papier sehr wohl und war zu¬
frieden, ohne sich um Dukaten zu bekümmern.
Wien.
Den zweyten Weihnachtsfeyertag kamen wir hier in
Wien an, nachdem wir die Nacht vorher in Stockerau
schon ächt wienerisch gegessen und geschlafen hatten.
An der Barriere wurden wir durch eine Instanz ange¬
halten und an die andere zur Visitation gewiesen. Ich
armer Teufel wurde hier in bester Form für einen
Hebräer angesehen, der wohl Juwelen oder Brabanter
Spitzen einpaschen könnte. Ueber die Physiognomen!
Aber man muſste doch den casum in terminis gehabt
haben. Mein ganzer Tornister wurde ausgepackt,
meine weiſse und schwarze Wäsche durchwühlt, mein
Homer beguckt, mein Theokrit herumgeworfen und
mein Virgil beschaut, ob nicht vielleicht etwas franzö¬
sischer Konterband darin stecke: meine Taschen wur¬
den betastet und selbst meine Beinkleider fast bis an
das heilige Bein durchsucht; alles sehr höflich.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/51>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.