lien, und es ist vielleicht kein Unglück, dass sie etwas geweckt und zu wandern gezwungen worden sind.
Mit der Kunst ist es anders. Wäre ich Künstler und hätte die Wahl zwischen Rom und Paris, ich würde mich keine Minute besinnen und für das erste entscheiden. Die Franzosen hatten allerdings vorher eine hübsche Sammlung, und haben nun die Haupt¬ werke der Kunst herüber geschafft: aber dadurch ha¬ ben sie Rom den Vortheil noch nicht abgewonnen. In Gemälden mag vielleicht kein Ort der Welt seyn, der reicher wäre als Paris; aber die ersten Meisterwerke der grössten Künstler, die lauter Freskostücke sind, konnten doch nicht weggeschafft werden. Die Logen, die Stanzen, die Kapelle, die Farnesine, Grottaferrata und andere Orte, wo Michel Angelo, Raphael, die Caracci, Domenichino und andere den ganzen Reich¬ thum ihres Geistes niedergelegt haben, mussten unan¬ getastet bleiben, wenn man nicht vandalisch zerstören wollte. Die Schule von Athen allein gilt mehr als eine ganze Gallerie. Die venezianischen Pferde, welche vor dem Hofe der Tuilerien aufgestellt sind, mögen sehr schöne Arbeit seyn; aber mir gefallen die meisten Statüen in Italien besser. Die Rasse der Pferde ist nicht sehr edel. Ich zweifle, ob sie unter den Pferde¬ kennern so viel Lärm machen werden, als sie unter den Künstlern oder vielmehr unter den Antiqua¬ ren gemacht haben. Das Pferd des Mark Aurel auf dem Kapitol ist mir weit mehr werth, und die beyden Marmorpferde aus Herkulanum in Portici würde ich auch vorziehen. Der einzige Vorzug, den sie haben, ist, dass sie vielleicht die einzigen Tethrip¬
lien, und es ist vielleicht kein Unglück, daſs sie etwas geweckt und zu wandern gezwungen worden sind.
Mit der Kunst ist es anders. Wäre ich Künstler und hätte die Wahl zwischen Rom und Paris, ich würde mich keine Minute besinnen und für das erste entscheiden. Die Franzosen hatten allerdings vorher eine hübsche Sammlung, und haben nun die Haupt¬ werke der Kunst herüber geschafft: aber dadurch ha¬ ben sie Rom den Vortheil noch nicht abgewonnen. In Gemälden mag vielleicht kein Ort der Welt seyn, der reicher wäre als Paris; aber die ersten Meisterwerke der gröſsten Künstler, die lauter Freskostücke sind, konnten doch nicht weggeschafft werden. Die Logen, die Stanzen, die Kapelle, die Farnesine, Grottaferrata und andere Orte, wo Michel Angelo, Raphael, die Caracci, Domenichino und andere den ganzen Reich¬ thum ihres Geistes niedergelegt haben, muſsten unan¬ getastet bleiben, wenn man nicht vandalisch zerstören wollte. Die Schule von Athen allein gilt mehr als eine ganze Gallerie. Die venezianischen Pferde, welche vor dem Hofe der Tuilerien aufgestellt sind, mögen sehr schöne Arbeit seyn; aber mir gefallen die meisten Statüen in Italien besser. Die Rasse der Pferde ist nicht sehr edel. Ich zweifle, ob sie unter den Pferde¬ kennern so viel Lärm machen werden, als sie unter den Künstlern oder vielmehr unter den Antiqua¬ ren gemacht haben. Das Pferd des Mark Aurel auf dem Kapitol ist mir weit mehr werth, und die beyden Marmorpferde aus Herkulanum in Portici würde ich auch vorziehen. Der einzige Vorzug, den sie haben, ist, daſs sie vielleicht die einzigen Tethrip¬
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lien, und es ist vielleicht kein Unglück, daſs sie etwas
geweckt und zu wandern gezwungen worden sind.
Mit der Kunst ist es anders. Wäre ich Künstler
und hätte die Wahl zwischen Rom und Paris, ich
würde mich keine Minute besinnen und für das erste
entscheiden. Die Franzosen hatten allerdings vorher
eine hübsche Sammlung, und haben nun die Haupt¬
werke der Kunst herüber geschafft: aber dadurch ha¬
ben sie Rom den Vortheil noch nicht abgewonnen. In
Gemälden mag vielleicht kein Ort der Welt seyn, der
reicher wäre als Paris; aber die ersten Meisterwerke
der gröſsten Künstler, die lauter Freskostücke sind,
konnten doch nicht weggeschafft werden. Die Logen,
die Stanzen, die Kapelle, die Farnesine, Grottaferrata
und andere Orte, wo Michel Angelo, Raphael, die
Caracci, Domenichino und andere den ganzen Reich¬
thum ihres Geistes niedergelegt haben, muſsten unan¬
getastet bleiben, wenn man nicht vandalisch zerstören
wollte. Die Schule von Athen allein gilt mehr als
eine ganze Gallerie. Die venezianischen Pferde, welche
vor dem Hofe der Tuilerien aufgestellt sind, mögen
sehr schöne Arbeit seyn; aber mir gefallen die meisten
Statüen in Italien besser. Die Rasse der Pferde ist
nicht sehr edel. Ich zweifle, ob sie unter den Pferde¬
kennern so viel Lärm machen werden, als sie unter
den Künstlern oder vielmehr unter den Antiqua¬
ren gemacht haben. Das Pferd des Mark Aurel
auf dem Kapitol ist mir weit mehr werth, und
die beyden Marmorpferde aus Herkulanum in Portici
würde ich auch vorziehen. Der einzige Vorzug, den
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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 472 . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/500>, abgerufen am 22.11.2024.
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