nicht, dass er das Direktorium stürzte: es war keine Regierung, die unter irgend einem Titel die Billigung der Vernünftigen und Rechtschaffenen hätte erhalten können. Ich tadle ihn nicht, dass er so viel als mög¬ lich in der wichtigen Periode das Ruder des Staats für sich in die Hände zu bekommen suchte: es war in der Vehemenz der Faktionen vielleicht das einzige Mittel diese Faktionen zu stillen. Aber nun fängt der Punkt an, wo sein eigenster Charakter hervorzutreten scheint. Seitdem hat er nichts mehr für die Republik gethan, sondern alles für sich selbst; eben da er aufhören sollte irgend etwas mehr für sich selbst zu thun, son¬ dern alles für die Republik. Jeder Schritt, den er that, war mit herrlich berechneter Klugheit vor¬ wärts für ihn, und für die Republik rückwärts. Land gewinnen heisst nicht die Republik befestigen. Die Erste Konstitution zeigte zuerst den Geist, den er athmen würde. Sie wurde mit dem Bajonett gemacht, wie fast alle Konstitutionen. Es that mir an diesem Tage wehe für Frankreich und für Bonaparte. Das Schicksal hatte ihm die Macht in die Hände gelegt der grösste Mann der Weltgeschichte zu werden: er hatte aber dazu nicht Erhabenheit genug und setzte sich herab mit den übrigen Grossen auf gleichen Fuss. Er ist grösser als die Dionyse und Kromwelle; aber er ist es doch in ihrer Art und erwirbt sich ihren Ruhm. Dass er nicht sah, dass die Konstitution die neue Republik zertrümmern würde und dem Despo¬ tismus die Wege wieder bahnen, das lässt sich von seinem tiefen Blick nicht denken; und über seine Ab¬ sichten mag ich nicht Richter seyn. Ich habe wider
nicht, daſs er das Direktorium stürzte: es war keine Regierung, die unter irgend einem Titel die Billigung der Vernünftigen und Rechtschaffenen hätte erhalten können. Ich tadle ihn nicht, daſs er so viel als mög¬ lich in der wichtigen Periode das Ruder des Staats für sich in die Hände zu bekommen suchte: es war in der Vehemenz der Faktionen vielleicht das einzige Mittel diese Faktionen zu stillen. Aber nun fängt der Punkt an, wo sein eigenster Charakter hervorzutreten scheint. Seitdem hat er nichts mehr für die Republik gethan, sondern alles für sich selbst; eben da er aufhören sollte irgend etwas mehr für sich selbst zu thun, son¬ dern alles für die Republik. Jeder Schritt, den er that, war mit herrlich berechneter Klugheit vor¬ wärts für ihn, und für die Republik rückwärts. Land gewinnen heiſst nicht die Republik befestigen. Die Erste Konstitution zeigte zuerst den Geist, den er athmen würde. Sie wurde mit dem Bajonett gemacht, wie fast alle Konstitutionen. Es that mir an diesem Tage wehe für Frankreich und für Bonaparte. Das Schicksal hatte ihm die Macht in die Hände gelegt der gröſste Mann der Weltgeschichte zu werden: er hatte aber dazu nicht Erhabenheit genug und setzte sich herab mit den übrigen Groſsen auf gleichen Fuſs. Er ist gröſser als die Dionyse und Kromwelle; aber er ist es doch in ihrer Art und erwirbt sich ihren Ruhm. Daſs er nicht sah, daſs die Konstitution die neue Republik zertrümmern würde und dem Despo¬ tismus die Wege wieder bahnen, das läſst sich von seinem tiefen Blick nicht denken; und über seine Ab¬ sichten mag ich nicht Richter seyn. Ich habe wider
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[456 /0484]
nicht, daſs er das Direktorium stürzte: es war keine
Regierung, die unter irgend einem Titel die Billigung
der Vernünftigen und Rechtschaffenen hätte erhalten
können. Ich tadle ihn nicht, daſs er so viel als mög¬
lich in der wichtigen Periode das Ruder des Staats für
sich in die Hände zu bekommen suchte: es war in der
Vehemenz der Faktionen vielleicht das einzige Mittel
diese Faktionen zu stillen. Aber nun fängt der Punkt
an, wo sein eigenster Charakter hervorzutreten scheint.
Seitdem hat er nichts mehr für die Republik gethan,
sondern alles für sich selbst; eben da er aufhören
sollte irgend etwas mehr für sich selbst zu thun, son¬
dern alles für die Republik. Jeder Schritt, den er
that, war mit herrlich berechneter Klugheit vor¬
wärts für ihn, und für die Republik rückwärts.
Land gewinnen heiſst nicht die Republik befestigen.
Die Erste Konstitution zeigte zuerst den Geist, den er
athmen würde. Sie wurde mit dem Bajonett gemacht,
wie fast alle Konstitutionen. Es that mir an diesem
Tage wehe für Frankreich und für Bonaparte. Das
Schicksal hatte ihm die Macht in die Hände gelegt
der gröſste Mann der Weltgeschichte zu werden: er
hatte aber dazu nicht Erhabenheit genug und setzte
sich herab mit den übrigen Groſsen auf gleichen Fuſs.
Er ist gröſser als die Dionyse und Kromwelle; aber er
ist es doch in ihrer Art und erwirbt sich ihren
Ruhm. Daſs er nicht sah, daſs die Konstitution die
neue Republik zertrümmern würde und dem Despo¬
tismus die Wege wieder bahnen, das läſst sich von
seinem tiefen Blick nicht denken; und über seine Ab¬
sichten mag ich nicht Richter seyn. Ich habe wider
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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 456 . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/484>, abgerufen am 22.11.2024.
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