wegen sind sie nicht in Paris. Man sprach davon; ich fragte darnach. -- Sie sind nicht da. -- Aber sie sollten da seyn. -- Freylich. -- Wer hat denn die Besorgung gehabt? -- Man schwieg. -- Der Kommissär muss doch bekannt seyn. Man antwortete nicht. -- Warum untersucht man die Sache nicht? -- Man zuckte die Schultern. -- Aber das ist ja nichts als die allergewöhnlichste Gerechtigkeit und die Sache der Nation, über die jeder zu sprechen und zu fragen befugt ist. -- Wenn die Herren an der Spitze, sagte man leise, die doch nothwendig davon unterrichtet seyn müssen, es nicht thun und es mit Stillschweigen übergehen; wer will es wagen? -- Wagen, wagen! brummte ich; so so, das ist schöne Gerechtigkeit, schöne Freyheit. Meine Worte und mein Ton setzten die Leutchen etwas in Verlegenheit; und es schien, ich war wirklich seit langer Zeit der erste, der nur so eine Aeusserung wagte. Wo keine Gerechtigkeit ist, ist keine Freyheit; und wo keine Freyheit ist, ist keine Gerechtigkeit: der Begriff ist eins; nur in der Anwendung verirrt man sich, oder vielmehr sucht an¬ dere zu verwirren.
In dem Saale der Manuskripte arbeiten viel In¬ länder und Ausländer, und unter andern auch Doktor Hager an seinem chinesischen Werke. Ich liess mir den Plutarch von Sankt Markus in Venedig geben, um doch auch ein gelehrtes Ansehen zu haben, bin aber nicht weit darin gekommen. Es wird mir sauer dieses zu lesen und ich nehme lieber den Homer von Wolf oder den Anakreon von Brunk, wo mir leicht und deutlich alles vorgezogen ist. In der Kupferstich¬
wegen sind sie nicht in Paris. Man sprach davon; ich fragte darnach. — Sie sind nicht da. — Aber sie sollten da seyn. — Freylich. — Wer hat denn die Besorgung gehabt? — Man schwieg. — Der Kommissär muſs doch bekannt seyn. Man antwortete nicht. — Warum untersucht man die Sache nicht? — Man zuckte die Schultern. — Aber das ist ja nichts als die allergewöhnlichste Gerechtigkeit und die Sache der Nation, über die jeder zu sprechen und zu fragen befugt ist. — Wenn die Herren an der Spitze, sagte man leise, die doch nothwendig davon unterrichtet seyn müssen, es nicht thun und es mit Stillschweigen übergehen; wer will es wagen? — Wagen, wagen! brummte ich; so so, das ist schöne Gerechtigkeit, schöne Freyheit. Meine Worte und mein Ton setzten die Leutchen etwas in Verlegenheit; und es schien, ich war wirklich seit langer Zeit der erste, der nur so eine Aeuſserung wagte. Wo keine Gerechtigkeit ist, ist keine Freyheit; und wo keine Freyheit ist, ist keine Gerechtigkeit: der Begriff ist eins; nur in der Anwendung verirrt man sich, oder vielmehr sucht an¬ dere zu verwirren.
In dem Saale der Manuskripte arbeiten viel In¬ länder und Ausländer, und unter andern auch Doktor Hager an seinem chinesischen Werke. Ich lieſs mir den Plutarch von Sankt Markus in Venedig geben, um doch auch ein gelehrtes Ansehen zu haben, bin aber nicht weit darin gekommen. Es wird mir sauer dieses zu lesen und ich nehme lieber den Homer von Wolf oder den Anakreon von Brunk, wo mir leicht und deutlich alles vorgezogen ist. In der Kupferstich¬
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[448 /0476]
wegen sind sie nicht in Paris. Man sprach davon;
ich fragte darnach. — Sie sind nicht da. — Aber
sie sollten da seyn. — Freylich. — Wer hat denn
die Besorgung gehabt? — Man schwieg. — Der
Kommissär muſs doch bekannt seyn. Man antwortete
nicht. — Warum untersucht man die Sache nicht? —
Man zuckte die Schultern. — Aber das ist ja nichts
als die allergewöhnlichste Gerechtigkeit und die Sache
der Nation, über die jeder zu sprechen und zu fragen
befugt ist. — Wenn die Herren an der Spitze, sagte
man leise, die doch nothwendig davon unterrichtet
seyn müssen, es nicht thun und es mit Stillschweigen
übergehen; wer will es wagen? — Wagen, wagen!
brummte ich; so so, das ist schöne Gerechtigkeit,
schöne Freyheit. Meine Worte und mein Ton setzten
die Leutchen etwas in Verlegenheit; und es schien,
ich war wirklich seit langer Zeit der erste, der nur
so eine Aeuſserung wagte. Wo keine Gerechtigkeit
ist, ist keine Freyheit; und wo keine Freyheit ist, ist
keine Gerechtigkeit: der Begriff ist eins; nur in der
Anwendung verirrt man sich, oder vielmehr sucht an¬
dere zu verwirren.
In dem Saale der Manuskripte arbeiten viel In¬
länder und Ausländer, und unter andern auch Doktor
Hager an seinem chinesischen Werke. Ich lieſs mir
den Plutarch von Sankt Markus in Venedig geben,
um doch auch ein gelehrtes Ansehen zu haben, bin
aber nicht weit darin gekommen. Es wird mir sauer
dieses zu lesen und ich nehme lieber den Homer von
Wolf oder den Anakreon von Brunk, wo mir leicht
und deutlich alles vorgezogen ist. In der Kupferstich¬
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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 448 . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/476>, abgerufen am 22.11.2024.
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