sass an einem helleren Fenster uns gegen über und trocknete sich die Augen, und ein junges schönes Mäd¬ chen, wahrscheinlich ihre Tochter, schien ihr mit Mienen und Worten sanft zu zureden. Ich verstand hier und da in der Entfernung nur einiges aus der Aehnlichkeit mit dem Russischen, das ich, wie Du weisst, ehemahls etwas zu lernen genöthigt war. Die Empfindung bricht bey mir selten hervor, wenn mich nicht die Humanität allmächtig hinreisst. Ich helfe wo ich kann; wenn ich es nur öfter könnte. Der Ton des alten Instruments, welches ein goldhariger jun¬ ger Kerl in dem andern dunkeln Winkel spielte, mochte auf die Weiberseelen stärker wirken, und ihre eigenthümliche Stimmung lebendiger machen. Es war nicht Harfe, nicht Laute, nicht Zither; man konnte mir den eigentlichen Nahmen des Instruments nicht nennen; am ähnlichsten war es der Russischen Balalaika.
Mich däucht, schon andere haben angemerkt, dass die Strasse von Prag nach Wien vielleicht die be¬ fahrenste in ganz Europa ist. Uns begegneten eine unendliche Menge Wagen mit ungarischen Weinen, Wolle und Baumwolle: aber die meisten brachten Mehl in die Magazine bey Czasslau und weiter hin nach der Gränze.
Die böhmischen Wirthshäuser sind eben nicht als die vorzüglichsten in Kredit, und wir hatten schon zwischen Dresden und Prag einmahl etwas cynisch essen, trinken und liegen müssen. Man tröstete uns, dass wir in Deutschbrot ein sehr gutes Haus finden würden: aber nie wurde eine so gute Hoffnung so
saſs an einem helleren Fenster uns gegen über und trocknete sich die Augen, und ein junges schönes Mäd¬ chen, wahrscheinlich ihre Tochter, schien ihr mit Mienen und Worten sanft zu zureden. Ich verstand hier und da in der Entfernung nur einiges aus der Aehnlichkeit mit dem Russischen, das ich, wie Du weiſst, ehemahls etwas zu lernen genöthigt war. Die Empfindung bricht bey mir selten hervor, wenn mich nicht die Humanität allmächtig hinreiſst. Ich helfe wo ich kann; wenn ich es nur öfter könnte. Der Ton des alten Instruments, welches ein goldhariger jun¬ ger Kerl in dem andern dunkeln Winkel spielte, mochte auf die Weiberseelen stärker wirken, und ihre eigenthümliche Stimmung lebendiger machen. Es war nicht Harfe, nicht Laute, nicht Zither; man konnte mir den eigentlichen Nahmen des Instruments nicht nennen; am ähnlichsten war es der Russischen Balalaika.
Mich däucht, schon andere haben angemerkt, daſs die Straſse von Prag nach Wien vielleicht die be¬ fahrenste in ganz Europa ist. Uns begegneten eine unendliche Menge Wagen mit ungarischen Weinen, Wolle und Baumwolle: aber die meisten brachten Mehl in die Magazine bey Czaſslau und weiter hin nach der Gränze.
Die böhmischen Wirthshäuser sind eben nicht als die vorzüglichsten in Kredit, und wir hatten schon zwischen Dresden und Prag einmahl etwas cynisch essen, trinken und liegen müssen. Man tröstete uns, daſs wir in Deutschbrot ein sehr gutes Haus finden würden: aber nie wurde eine so gute Hoffnung so
<TEI><text><body><div><p><pbfacs="#f0046"n="20"/>
saſs an einem helleren Fenster uns gegen über und<lb/>
trocknete sich die Augen, und ein junges schönes Mäd¬<lb/>
chen, wahrscheinlich ihre Tochter, schien ihr mit<lb/>
Mienen und Worten sanft zu zureden. Ich verstand<lb/>
hier und da in der Entfernung nur einiges aus der<lb/>
Aehnlichkeit mit dem Russischen, das ich, wie Du<lb/>
weiſst, ehemahls etwas zu lernen genöthigt war. Die<lb/>
Empfindung bricht bey mir selten hervor, wenn mich<lb/>
nicht die Humanität allmächtig hinreiſst. Ich helfe<lb/>
wo ich kann; wenn ich es nur öfter könnte. Der<lb/>
Ton des alten Instruments, welches ein goldhariger jun¬<lb/>
ger Kerl in dem andern dunkeln Winkel spielte,<lb/>
mochte auf die Weiberseelen stärker wirken, und ihre<lb/>
eigenthümliche Stimmung lebendiger machen. Es war<lb/>
nicht Harfe, nicht Laute, nicht Zither; man konnte<lb/>
mir den eigentlichen Nahmen des Instruments nicht<lb/>
nennen; am ähnlichsten war es der Russischen<lb/><hirendition="#i">Balalaika</hi>.</p><lb/><p>Mich däucht, schon andere haben angemerkt,<lb/>
daſs die Straſse von Prag nach Wien vielleicht die be¬<lb/>
fahrenste in ganz Europa ist. Uns begegneten eine<lb/>
unendliche Menge Wagen mit ungarischen Weinen,<lb/>
Wolle und Baumwolle: aber die meisten brachten Mehl<lb/>
in die Magazine bey Czaſslau und weiter hin nach<lb/>
der Gränze.</p><lb/><p>Die böhmischen Wirthshäuser sind eben nicht als<lb/>
die vorzüglichsten in Kredit, und wir hatten schon<lb/>
zwischen Dresden und Prag einmahl etwas cynisch<lb/>
essen, trinken und liegen müssen. Man tröstete uns,<lb/>
daſs wir in Deutschbrot ein sehr gutes Haus finden<lb/>
würden: aber nie wurde eine so gute Hoffnung so<lb/></p></div></body></text></TEI>
[20/0046]
saſs an einem helleren Fenster uns gegen über und
trocknete sich die Augen, und ein junges schönes Mäd¬
chen, wahrscheinlich ihre Tochter, schien ihr mit
Mienen und Worten sanft zu zureden. Ich verstand
hier und da in der Entfernung nur einiges aus der
Aehnlichkeit mit dem Russischen, das ich, wie Du
weiſst, ehemahls etwas zu lernen genöthigt war. Die
Empfindung bricht bey mir selten hervor, wenn mich
nicht die Humanität allmächtig hinreiſst. Ich helfe
wo ich kann; wenn ich es nur öfter könnte. Der
Ton des alten Instruments, welches ein goldhariger jun¬
ger Kerl in dem andern dunkeln Winkel spielte,
mochte auf die Weiberseelen stärker wirken, und ihre
eigenthümliche Stimmung lebendiger machen. Es war
nicht Harfe, nicht Laute, nicht Zither; man konnte
mir den eigentlichen Nahmen des Instruments nicht
nennen; am ähnlichsten war es der Russischen
Balalaika.
Mich däucht, schon andere haben angemerkt,
daſs die Straſse von Prag nach Wien vielleicht die be¬
fahrenste in ganz Europa ist. Uns begegneten eine
unendliche Menge Wagen mit ungarischen Weinen,
Wolle und Baumwolle: aber die meisten brachten Mehl
in die Magazine bey Czaſslau und weiter hin nach
der Gränze.
Die böhmischen Wirthshäuser sind eben nicht als
die vorzüglichsten in Kredit, und wir hatten schon
zwischen Dresden und Prag einmahl etwas cynisch
essen, trinken und liegen müssen. Man tröstete uns,
daſs wir in Deutschbrot ein sehr gutes Haus finden
würden: aber nie wurde eine so gute Hoffnung so
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/46>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.