Industrie ist mancherley. Ich sass an einem Sonntag Morgens recht ruhig in meinem Zimmer und las wirklich zufällig etwas in den Libertinagen Katulls; da klopfte es und auf meinen Ruf trat ein Mädchen ins Zimmer, das die sechste Bitte auch ohne Katull stark genug dargestellt hätte. Die junge schöne Sün¬ derin schien ihre Erscheinung mit den feinsten Hetä¬ ronkünsten berechnet zu haben. Ich will durch ihre Beschreibung mein Verdienst weder als Stilist noch als Philosoph zu erhöhen suchen. Signore comanda qualche cosa? fragte sie in lieblich lispelndem Ton, indem sie die niedliche Hand an einem Körbchen spie¬ len liess und Miene machte es zu öffnen. Ich sah sie etwas betroffen an und brauchte einige Augenblicke, ehe ich etwas unschlüssig No antwortete. Niente? fragte sie, und der Teufel muss ihr im Ton Unterricht ge¬ geben haben. Ich warf den Katull ins Fenster und war höchst wahrscheinlich im Begriff eine Sottise zu sagen oder gar zu begehen, als mir schnell die ernstere Philosophie still eine Ohrfeige gab. Niente, brummte ich grämelnd, halb mit mir selbst in Zwist; und die Versucherin nahm mit unbeschreiblicher Grazie Ab¬ schied. Wer weiss, ob ich nicht das Körbchen etwas näher untersucht hätte, wenn die Teufelin zum drit¬ ten Mal mit der nehmlichen Stimme gefragt hätte, ob gar nichts gefiele. So war die Sache, mein Freund; und wäre sie anders gewesen, so bin ich nicht so engbrüstig und könnte sie Dir anders oder gar nicht erzählt haben. Ich ging also nur leidlich mit mir zu¬ frieden zum General.
Industrie ist mancherley. Ich saſs an einem Sonntag Morgens recht ruhig in meinem Zimmer und las wirklich zufällig etwas in den Libertinagen Katulls; da klopfte es und auf meinen Ruf trat ein Mädchen ins Zimmer, das die sechste Bitte auch ohne Katull stark genug dargestellt hätte. Die junge schöne Sün¬ derin schien ihre Erscheinung mit den feinsten Hetä¬ ronkünsten berechnet zu haben. Ich will durch ihre Beschreibung mein Verdienst weder als Stilist noch als Philosoph zu erhöhen suchen. Signore comanda qualche cosa? fragte sie in lieblich lispelndem Ton, indem sie die niedliche Hand an einem Körbchen spie¬ len lieſs und Miene machte es zu öffnen. Ich sah sie etwas betroffen an und brauchte einige Augenblicke, ehe ich etwas unschlüſsig No antwortete. Niente? fragte sie, und der Teufel muſs ihr im Ton Unterricht ge¬ geben haben. Ich warf den Katull ins Fenster und war höchst wahrscheinlich im Begriff eine Sottise zu sagen oder gar zu begehen, als mir schnell die ernstere Philosophie still eine Ohrfeige gab. Niente, brummte ich grämelnd, halb mit mir selbst in Zwist; und die Versucherin nahm mit unbeschreiblicher Grazie Ab¬ schied. Wer weiſs, ob ich nicht das Körbchen etwas näher untersucht hätte, wenn die Teufelin zum drit¬ ten Mal mit der nehmlichen Stimme gefragt hätte, ob gar nichts gefiele. So war die Sache, mein Freund; und wäre sie anders gewesen, so bin ich nicht so engbrüstig und könnte sie Dir anders oder gar nicht erzählt haben. Ich ging also nur leidlich mit mir zu¬ frieden zum General.
<TEI><text><body><div><p><pbfacs="#f0439"n="411 "/>
Industrie ist mancherley. Ich saſs an einem Sonntag<lb/>
Morgens recht ruhig in meinem Zimmer und las<lb/>
wirklich zufällig etwas in den Libertinagen Katulls;<lb/>
da klopfte es und auf meinen Ruf trat ein Mädchen<lb/>
ins Zimmer, das die sechste Bitte auch ohne Katull<lb/>
stark genug dargestellt hätte. Die junge schöne Sün¬<lb/>
derin schien ihre Erscheinung mit den feinsten Hetä¬<lb/>
ronkünsten berechnet zu haben. Ich will durch ihre<lb/>
Beschreibung mein Verdienst weder als Stilist noch<lb/>
als Philosoph zu erhöhen suchen. <hirendition="#i">Signore comanda<lb/>
qualche cosa?</hi> fragte sie in lieblich lispelndem Ton,<lb/>
indem sie die niedliche Hand an einem Körbchen spie¬<lb/>
len lieſs und Miene machte es zu öffnen. Ich sah sie<lb/>
etwas betroffen an und brauchte einige Augenblicke,<lb/>
ehe ich etwas unschlüſsig <hirendition="#i">No</hi> antwortete. <hirendition="#i">Niente?</hi> fragte<lb/>
sie, und der Teufel muſs ihr im Ton Unterricht ge¬<lb/>
geben haben. Ich warf den Katull ins Fenster und<lb/>
war höchst wahrscheinlich im Begriff eine Sottise zu<lb/>
sagen oder gar zu begehen, als mir schnell die ernstere<lb/>
Philosophie still eine Ohrfeige gab. <hirendition="#i">Niente</hi>, brummte<lb/>
ich grämelnd, halb mit mir selbst in Zwist; und die<lb/>
Versucherin nahm mit unbeschreiblicher Grazie Ab¬<lb/>
schied. Wer weiſs, ob ich nicht das Körbchen etwas<lb/>
näher untersucht hätte, wenn die Teufelin zum drit¬<lb/>
ten Mal mit der nehmlichen Stimme gefragt hätte,<lb/>
ob gar nichts gefiele. So war die Sache, mein Freund;<lb/>
und wäre sie anders gewesen, so bin ich nicht so<lb/>
engbrüstig und könnte sie Dir anders oder gar nicht<lb/>
erzählt haben. Ich ging also nur leidlich mit mir zu¬<lb/>
frieden zum General.</p><lb/></div><milestonerendition="#hr"unit="section"/></body></text></TEI>
[411 /0439]
Industrie ist mancherley. Ich saſs an einem Sonntag
Morgens recht ruhig in meinem Zimmer und las
wirklich zufällig etwas in den Libertinagen Katulls;
da klopfte es und auf meinen Ruf trat ein Mädchen
ins Zimmer, das die sechste Bitte auch ohne Katull
stark genug dargestellt hätte. Die junge schöne Sün¬
derin schien ihre Erscheinung mit den feinsten Hetä¬
ronkünsten berechnet zu haben. Ich will durch ihre
Beschreibung mein Verdienst weder als Stilist noch
als Philosoph zu erhöhen suchen. Signore comanda
qualche cosa? fragte sie in lieblich lispelndem Ton,
indem sie die niedliche Hand an einem Körbchen spie¬
len lieſs und Miene machte es zu öffnen. Ich sah sie
etwas betroffen an und brauchte einige Augenblicke,
ehe ich etwas unschlüſsig No antwortete. Niente? fragte
sie, und der Teufel muſs ihr im Ton Unterricht ge¬
geben haben. Ich warf den Katull ins Fenster und
war höchst wahrscheinlich im Begriff eine Sottise zu
sagen oder gar zu begehen, als mir schnell die ernstere
Philosophie still eine Ohrfeige gab. Niente, brummte
ich grämelnd, halb mit mir selbst in Zwist; und die
Versucherin nahm mit unbeschreiblicher Grazie Ab¬
schied. Wer weiſs, ob ich nicht das Körbchen etwas
näher untersucht hätte, wenn die Teufelin zum drit¬
ten Mal mit der nehmlichen Stimme gefragt hätte,
ob gar nichts gefiele. So war die Sache, mein Freund;
und wäre sie anders gewesen, so bin ich nicht so
engbrüstig und könnte sie Dir anders oder gar nicht
erzählt haben. Ich ging also nur leidlich mit mir zu¬
frieden zum General.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 411 . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/439>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.