Unvernunft nicht ausrotten kann. Du kannst denken, mit welcher Stimmung ein vernünftiger Philanthrop sich hier umsieht. Ich hatte mich mit einer bittern Philippika gerüstet, als ich wieder zu Borgia gehen wollte. Nil valent apud Vos leges, nil justitia, nil boni mores; saginantur sacerdotes, perit plebs, caecutit populus; vilipenditur quodcunque est homini sanctum honestas, modestia, omnis virtus. Infimus et improbis¬ simus quisque cum armis per oppida et agros praeda¬ bundus incedit, furatur, rapit, trucidat, jugulat, in¬ cendia miscet. Haec est illa religio scilicet, auctoris ignominia, rationis opprobrium, qua Vos homines liberos et viros fortes ad servitia et latrones detrudere cona¬ mini. So g[o]hr es, und ich versichere Dich, Freund, es ist keine Sylbe Redekunst dabey. Aber gesetzt auch ein Kardinal hätte das so hingenommen, warum sollte ich dem alten guten ehrlichen Manne Herzklopfen ma¬ chen? Es hilft nichts; das liegt schon im System. Man wird schon Palliativen finden; aber an Heilung ist nicht zu denken. Die Herren sind immer klug wie die Schlangen; weiter gehen sie im Evangelium nicht. Die neuesten Beweise davon kannst Du in Florenz und Paris sehen. Ich ging gar nicht zu Borgia, weil ich meiner eigenen Klugheit nicht traute. Ueberdies hielt mich vielleicht noch eine andere Kleinigkeit zu¬ rück. Die Römischen Vornehmen haben einen ganzen Haufen Bedienten im Hause, und geben nur schlech¬ ten Sold. Jeder Fremde der nur die geringste Höflich¬ keit vom Herrn empfängt, wird dafür von der Vale¬ taille in Anspruch genommen. Das hatte ich erfahren. Nun kann man einem ganzen Hausetat doch schicklich
Unvernunft nicht ausrotten kann. Du kannst denken, mit welcher Stimmung ein vernünftiger Philanthrop sich hier umsieht. Ich hatte mich mit einer bittern Philippika gerüstet, als ich wieder zu Borgia gehen wollte. Nil valent apud Vos leges, nil justitia, nil boni mores; saginantur sacerdotes, perit plebs, caecutit populus; vilipenditur quodcunque est homini sanctum honestas, modestia, omnis virtus. Infimus et improbis¬ simus quisque cum armis per oppida et agros praeda¬ bundus incedit, furatur, rapit, trucidat, jugulat, in¬ cendia miscet. Haec est illa religio scilicet, auctoris ignominia, rationis opprobrium, qua Vos homines liberos et viros fortes ad servitia et latrones detrudere cona¬ mini. So g[o]hr es, und ich versichere Dich, Freund, es ist keine Sylbe Redekunst dabey. Aber gesetzt auch ein Kardinal hätte das so hingenommen, warum sollte ich dem alten guten ehrlichen Manne Herzklopfen ma¬ chen? Es hilft nichts; das liegt schon im System. Man wird schon Palliativen finden; aber an Heilung ist nicht zu denken. Die Herren sind immer klug wie die Schlangen; weiter gehen sie im Evangelium nicht. Die neuesten Beweise davon kannst Du in Florenz und Paris sehen. Ich ging gar nicht zu Borgia, weil ich meiner eigenen Klugheit nicht traute. Ueberdies hielt mich vielleicht noch eine andere Kleinigkeit zu¬ rück. Die Römischen Vornehmen haben einen ganzen Haufen Bedienten im Hause, und geben nur schlech¬ ten Sold. Jeder Fremde der nur die geringste Höflich¬ keit vom Herrn empfängt, wird dafür von der Vale¬ taille in Anspruch genommen. Das hatte ich erfahren. Nun kann man einem ganzen Hausetat doch schicklich
<TEI><text><body><div><p><pbfacs="#f0393"n="365 "/>
Unvernunft nicht ausrotten kann. Du kannst denken,<lb/>
mit welcher Stimmung ein vernünftiger Philanthrop<lb/>
sich hier <choice><sic>nmsieht</sic><corr>umsieht</corr></choice>. Ich hatte mich mit einer bittern<lb/>
Philippika gerüstet, als ich wieder zu Borgia gehen<lb/>
wollte. <hirendition="#i">Nil valent apud Vos leges</hi>, <hirendition="#i">nil justitia</hi>, <hirendition="#i">nil<lb/>
boni mores</hi>; <hirendition="#i">saginantur sacerdotes</hi>, <hirendition="#i">perit plebs</hi>, <hirendition="#i">caecutit<lb/>
populus</hi>; <hirendition="#i">vilipenditur quodcunque est homini sanctum<lb/>
honestas</hi>, <hirendition="#i">modestia</hi>, <hirendition="#i">omnis virtus</hi>. <hirendition="#i">Infimus et improbis¬<lb/>
simus quisque cum armis per oppida et agros praeda¬<lb/>
bundus incedit</hi>, <hirendition="#i">furatur</hi>, <hirendition="#i">rapit</hi>, <hirendition="#i">trucidat</hi>, <hirendition="#i">jugulat</hi>, <hirendition="#i">in¬<lb/>
cendia miscet</hi>. <hirendition="#i">Haec est illa religio scilicet</hi>, <hirendition="#i">auctoris<lb/>
ignominia</hi>, <hirendition="#i">rationis opprobrium</hi>, <hirendition="#i">qua Vos homines liberos<lb/>
et viros fortes ad servitia et latrones detrudere cona¬<lb/>
mini</hi>. So g<supplied>o</supplied>hr es, und ich versichere Dich, Freund,<lb/>
es ist keine Sylbe Redekunst dabey. Aber gesetzt auch<lb/>
ein Kardinal hätte das so hingenommen, warum sollte<lb/>
ich dem alten guten ehrlichen Manne Herzklopfen ma¬<lb/>
chen? Es hilft nichts; das liegt schon im System. Man<lb/>
wird schon Palliativen finden; aber an Heilung ist<lb/>
nicht zu denken. Die Herren sind immer klug wie<lb/>
die Schlangen; weiter gehen sie im Evangelium nicht.<lb/>
Die neuesten Beweise davon kannst Du in Florenz<lb/>
und Paris sehen. Ich ging gar nicht zu Borgia, weil<lb/>
ich meiner eigenen Klugheit nicht traute. Ueberdies<lb/>
hielt mich vielleicht noch eine andere Kleinigkeit zu¬<lb/>
rück. Die Römischen Vornehmen haben einen ganzen<lb/>
Haufen Bedienten im Hause, und geben nur schlech¬<lb/>
ten Sold. Jeder Fremde der nur die geringste Höflich¬<lb/>
keit vom Herrn empfängt, wird dafür von der Vale¬<lb/>
taille in Anspruch genommen. Das hatte ich erfahren.<lb/>
Nun kann man einem ganzen Hausetat doch schicklich<lb/></p></div></body></text></TEI>
[365 /0393]
Unvernunft nicht ausrotten kann. Du kannst denken,
mit welcher Stimmung ein vernünftiger Philanthrop
sich hier umsieht. Ich hatte mich mit einer bittern
Philippika gerüstet, als ich wieder zu Borgia gehen
wollte. Nil valent apud Vos leges, nil justitia, nil
boni mores; saginantur sacerdotes, perit plebs, caecutit
populus; vilipenditur quodcunque est homini sanctum
honestas, modestia, omnis virtus. Infimus et improbis¬
simus quisque cum armis per oppida et agros praeda¬
bundus incedit, furatur, rapit, trucidat, jugulat, in¬
cendia miscet. Haec est illa religio scilicet, auctoris
ignominia, rationis opprobrium, qua Vos homines liberos
et viros fortes ad servitia et latrones detrudere cona¬
mini. So gohr es, und ich versichere Dich, Freund,
es ist keine Sylbe Redekunst dabey. Aber gesetzt auch
ein Kardinal hätte das so hingenommen, warum sollte
ich dem alten guten ehrlichen Manne Herzklopfen ma¬
chen? Es hilft nichts; das liegt schon im System. Man
wird schon Palliativen finden; aber an Heilung ist
nicht zu denken. Die Herren sind immer klug wie
die Schlangen; weiter gehen sie im Evangelium nicht.
Die neuesten Beweise davon kannst Du in Florenz
und Paris sehen. Ich ging gar nicht zu Borgia, weil
ich meiner eigenen Klugheit nicht traute. Ueberdies
hielt mich vielleicht noch eine andere Kleinigkeit zu¬
rück. Die Römischen Vornehmen haben einen ganzen
Haufen Bedienten im Hause, und geben nur schlech¬
ten Sold. Jeder Fremde der nur die geringste Höflich¬
keit vom Herrn empfängt, wird dafür von der Vale¬
taille in Anspruch genommen. Das hatte ich erfahren.
Nun kann man einem ganzen Hausetat doch schicklich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 365 . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/393>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.