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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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denn Du fährst, wie ein Erdgeist, gerade durch den
Berg hin. Diess ist die berühmte Grotte. Vermuth¬
lich war die Veranlassung dazu der Steinbruch, den
man tief hinein arbeitete. Man konnte dabey leicht
auf den Gedanken kommen durchzugehen, und so ei¬
nen geraden Weg zu machen. Der Eingang von Nea¬
pel ist schöner als von Puzzuoli, und wenn man bey
einer gewissen Mischung der Atmosphäre aus der
Mitte in die schöne Beleuchtung hinaus sieht, ist es
ein unbeschreiblicher Anblick. Auch von dieser Ar¬
beit ist die Zeit der Entstehung unbekannt. Zur Zeit
der Römer muss das Werk nicht unternommen wor¬
den seyn; denn diese hätten wahrscheinlich etwas da¬
von aufgezeichnet, weil sie, als sie hierher in diese
Gegend kamen, schon ziemlich eitel waren. In der
Mitte der Höhle ist, links von Neapel aus, ein Behält¬
niss eingehauen, welches jeder Vernünftige sogleich ei¬
ner Polizeywache anweisen würde. Aber hier giebt
man es der heiligen Jungfrau zur Kapelle, und dann
und wann sollen sich Räuber darin aufhalten und dar¬
aus die Gegend unsicher machen!

Eben komme ich vom Vesuv. Aber da ich auch
von Pästum komme, muss ich vom Anfange anfan¬
gen, wenn Du nur einigermassen mit mir promenie¬
ren sollst. Meine Absicht war, so ganz gemächlich
über Salerne in einigen Tagen allein hinunter nach
Pästum zu gehen: aber ohne alle Kunde möchte es
doch etwas bedenklich gewesen seyn. Ueberdiess
drückte mich die Hitze auf dem staubigen Wege nach
Pompeji unerträglich; meine Fusssohlen hatten durch
langen Gebrauch einige Hühneraugen gewonnen, die

denn Du fährst, wie ein Erdgeist, gerade durch den
Berg hin. Dieſs ist die berühmte Grotte. Vermuth¬
lich war die Veranlassung dazu der Steinbruch, den
man tief hinein arbeitete. Man konnte dabey leicht
auf den Gedanken kommen durchzugehen, und so ei¬
nen geraden Weg zu machen. Der Eingang von Nea¬
pel ist schöner als von Puzzuoli, und wenn man bey
einer gewissen Mischung der Atmosphäre aus der
Mitte in die schöne Beleuchtung hinaus sieht, ist es
ein unbeschreiblicher Anblick. Auch von dieser Ar¬
beit ist die Zeit der Entstehung unbekannt. Zur Zeit
der Römer muſs das Werk nicht unternommen wor¬
den seyn; denn diese hätten wahrscheinlich etwas da¬
von aufgezeichnet, weil sie, als sie hierher in diese
Gegend kamen, schon ziemlich eitel waren. In der
Mitte der Höhle ist, links von Neapel aus, ein Behält¬
niſs eingehauen, welches jeder Vernünftige sogleich ei¬
ner Polizeywache anweisen würde. Aber hier giebt
man es der heiligen Jungfrau zur Kapelle, und dann
und wann sollen sich Räuber darin aufhalten und dar¬
aus die Gegend unsicher machen!

Eben komme ich vom Vesuv. Aber da ich auch
von Pästum komme, muſs ich vom Anfange anfan¬
gen, wenn Du nur einigermaſsen mit mir promenie¬
ren sollst. Meine Absicht war, so ganz gemächlich
über Salerne in einigen Tagen allein hinunter nach
Pästum zu gehen: aber ohne alle Kunde möchte es
doch etwas bedenklich gewesen seyn. Ueberdieſs
drückte mich die Hitze auf dem staubigen Wege nach
Pompeji unerträglich; meine Fuſssohlen hatten durch
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[339/0365] denn Du fährst, wie ein Erdgeist, gerade durch den Berg hin. Dieſs ist die berühmte Grotte. Vermuth¬ lich war die Veranlassung dazu der Steinbruch, den man tief hinein arbeitete. Man konnte dabey leicht auf den Gedanken kommen durchzugehen, und so ei¬ nen geraden Weg zu machen. Der Eingang von Nea¬ pel ist schöner als von Puzzuoli, und wenn man bey einer gewissen Mischung der Atmosphäre aus der Mitte in die schöne Beleuchtung hinaus sieht, ist es ein unbeschreiblicher Anblick. Auch von dieser Ar¬ beit ist die Zeit der Entstehung unbekannt. Zur Zeit der Römer muſs das Werk nicht unternommen wor¬ den seyn; denn diese hätten wahrscheinlich etwas da¬ von aufgezeichnet, weil sie, als sie hierher in diese Gegend kamen, schon ziemlich eitel waren. In der Mitte der Höhle ist, links von Neapel aus, ein Behält¬ niſs eingehauen, welches jeder Vernünftige sogleich ei¬ ner Polizeywache anweisen würde. Aber hier giebt man es der heiligen Jungfrau zur Kapelle, und dann und wann sollen sich Räuber darin aufhalten und dar¬ aus die Gegend unsicher machen! Eben komme ich vom Vesuv. Aber da ich auch von Pästum komme, muſs ich vom Anfange anfan¬ gen, wenn Du nur einigermaſsen mit mir promenie¬ ren sollst. Meine Absicht war, so ganz gemächlich über Salerne in einigen Tagen allein hinunter nach Pästum zu gehen: aber ohne alle Kunde möchte es doch etwas bedenklich gewesen seyn. Ueberdieſs drückte mich die Hitze auf dem staubigen Wege nach Pompeji unerträglich; meine Fuſssohlen hatten durch langen Gebrauch einige Hühneraugen gewonnen, die

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/365>, abgerufen am 22.11.2024.