wieder etwas Menschlichkeit und Bequemlichkeit. Mei¬ ne Wirthin war eine alte freundliche Frau, die alles mögliche that mich zufrieden zu stellen, welches bey mir sehr leicht ist. Sie examinierte mich theilneh¬ mend über alles; nur nicht über meine Religion, ein seltener Fall in Sicilien; stellte mir vor was meine Mutter jetzt meinetwegen für Unruhe haben müsste, und rieth mir nach Hause zu eilen; sie hätte auch ei¬ nen Sohn auf dem festen Lande, den sie zurück er¬ wartete. Wenn ihre Theilnahme und Pflege auch sehr mütterlich war, so war indessen doch ihre Rechnung etwas stiefmütterlich.
Als ich in einer melancholisch ruhigen Stimmung über Vergangenheit und Gegenwart hing und mit meinem Mäoniden in der Hand auf den Himerafluss hinabschaute, ward unwillkührlich eine Elegie in mei¬ ner Seele lebendig. Es war mir, als ob ich die Göt¬ tin der Insel mit noch mehr Schmerz als über ihre geliebte Tochter am Anapus klagen hörte, und ich ge¬ be Dir ohne weitere Bemerkung, was aus ihrer Seele in die meinige herüber hallte.
Trauer der Ceres.
Meine Wiege, Du liebliches Eyland, wie bist Du verödet, Ach wie bist Du verödet, Du herrlicher Garten der Erde, Wo die Götter bey Sterblichen einst den Olympus ver¬ gassen! Zeus Kronion, Du Retter, rette Trinakriens Schöne,
wieder etwas Menschlichkeit und Bequemlichkeit. Mei¬ ne Wirthin war eine alte freundliche Frau, die alles mögliche that mich zufrieden zu stellen, welches bey mir sehr leicht ist. Sie examinierte mich theilneh¬ mend über alles; nur nicht über meine Religion, ein seltener Fall in Sicilien; stellte mir vor was meine Mutter jetzt meinetwegen für Unruhe haben müſste, und rieth mir nach Hause zu eilen; sie hätte auch ei¬ nen Sohn auf dem festen Lande, den sie zurück er¬ wartete. Wenn ihre Theilnahme und Pflege auch sehr mütterlich war, so war indessen doch ihre Rechnung etwas stiefmütterlich.
Als ich in einer melancholisch ruhigen Stimmung über Vergangenheit und Gegenwart hing und mit meinem Mäoniden in der Hand auf den Himerafluſs hinabschaute, ward unwillkührlich eine Elegie in mei¬ ner Seele lebendig. Es war mir, als ob ich die Göt¬ tin der Insel mit noch mehr Schmerz als über ihre geliebte Tochter am Anapus klagen hörte, und ich ge¬ be Dir ohne weitere Bemerkung, was aus ihrer Seele in die meinige herüber hallte.
Trauer der Ceres.
Meine Wiege, Du liebliches Eyland, wie bist Du verödet, Ach wie bist Du verödet, Du herrlicher Garten der Erde, Wo die Götter bey Sterblichen einst den Olympus ver¬ gaſsen! Zeus Kronion, Du Retter, rette Trinakriens Schöne,
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wieder etwas Menschlichkeit und Bequemlichkeit. Mei¬
ne Wirthin war eine alte freundliche Frau, die alles
mögliche that mich zufrieden zu stellen, welches bey
mir sehr leicht ist. Sie examinierte mich theilneh¬
mend über alles; nur nicht über meine Religion, ein
seltener Fall in Sicilien; stellte mir vor was meine
Mutter jetzt meinetwegen für Unruhe haben müſste,
und rieth mir nach Hause zu eilen; sie hätte auch ei¬
nen Sohn auf dem festen Lande, den sie zurück er¬
wartete. Wenn ihre Theilnahme und Pflege auch sehr
mütterlich war, so war indessen doch ihre Rechnung
etwas stiefmütterlich.
Als ich in einer melancholisch ruhigen Stimmung
über Vergangenheit und Gegenwart hing und mit
meinem Mäoniden in der Hand auf den Himerafluſs
hinabschaute, ward unwillkührlich eine Elegie in mei¬
ner Seele lebendig. Es war mir, als ob ich die Göt¬
tin der Insel mit noch mehr Schmerz als über ihre
geliebte Tochter am Anapus klagen hörte, und ich ge¬
be Dir ohne weitere Bemerkung, was aus ihrer Seele
in die meinige herüber hallte.
Trauer der Ceres.
Meine Wiege, Du liebliches Eyland, wie bist Du verödet,
Ach wie bist Du verödet, Du herrlicher Garten der Erde,
Wo die Götter bey Sterblichen einst den Olympus ver¬
gaſsen!
Zeus Kronion, Du Retter, rette Trinakriens Schöne,
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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/338>, abgerufen am 22.11.2024.
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