Die Festung zu sehen, muss man Erla[u][b]niss ha¬ ben, welches etwas schwer hält. Ich bemühte mich nicht darum, da ich schon so viel aus der Anlage sa¬ he, dass man mit zwey tausend braven Grenadieren ohne Erlaubniss hinein gehen könnte. Alles ist nur auf einen Angriff zu Wasser berechnet. Der Hafen hier und in Palermo sind noch die einzigen Oerter, wo ich in Sicilien einige artige Weibergestalten gesehen habe. Anderwärts, und vorzüglich in Agrigent und Syrakus, war ich mit meinen griechischen Idealen aus dem Theokrit traurig durchgefallen. Der Hafen ist hier und in Palermo die einzige Promenade, und für den Menschen, der Menschen studieren will, gewiss eine der wichtigsten; so bunt und kraus sind die Ge¬ stalten vieler Nationen durch einander gruppiert. Schon in der Stadt selbst wohnt eine grosse Verschiedenheit, und der Fremden sind eine Menge. Einen der schön¬ sten Augenblicke hatte ich gestern Abends, bey dem ich als Mensch über die Menschen mich fast der Freu¬ denthränen nicht enthalten konnte. Ein fremdes Schiff kam aus dem mittelländischen Meer die Meer¬ enge herab. Ich weiss nicht, ob es durch Sturm oder irgend einen andern Unfall gelitten hatte; es war in Gefahr und that Nothschüsse. Du hättest sehen sol¬ len, mit welchem göttlichen Enthusiasmus fast über¬ menschlicher Kraft zwanzig Boote von verschiedenen Völkern durch die Wogen auf die Höhe hinausarbeite¬ ten, um die Leidenden zu retten. Italiäner, Franzo¬ sen, Engländer, Griechen und Türken wetteiferten in dem schönsten Kampfe: sie waren glücklich und
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Die Festung zu sehen, muſs man Erla[u][b]niſs ha¬ ben, welches etwas schwer hält. Ich bemühte mich nicht darum, da ich schon so viel aus der Anlage sa¬ he, daſs man mit zwey tausend braven Grenadieren ohne Erlaubniſs hinein gehen könnte. Alles ist nur auf einen Angriff zu Wasser berechnet. Der Hafen hier und in Palermo sind noch die einzigen Oerter, wo ich in Sicilien einige artige Weibergestalten gesehen habe. Anderwärts, und vorzüglich in Agrigent und Syrakus, war ich mit meinen griechischen Idealen aus dem Theokrit traurig durchgefallen. Der Hafen ist hier und in Palermo die einzige Promenade, und für den Menschen, der Menschen studieren will, gewiſs eine der wichtigsten; so bunt und kraus sind die Ge¬ stalten vieler Nationen durch einander gruppiert. Schon in der Stadt selbst wohnt eine groſse Verschiedenheit, und der Fremden sind eine Menge. Einen der schön¬ sten Augenblicke hatte ich gestern Abends, bey dem ich als Mensch über die Menschen mich fast der Freu¬ denthränen nicht enthalten konnte. Ein fremdes Schiff kam aus dem mittelländischen Meer die Meer¬ enge herab. Ich weiſs nicht, ob es durch Sturm oder irgend einen andern Unfall gelitten hatte; es war in Gefahr und that Nothschüsse. Du hättest sehen sol¬ len, mit welchem göttlichen Enthusiasmus fast über¬ menschlicher Kraft zwanzig Boote von verschiedenen Völkern durch die Wogen auf die Höhe hinausarbeite¬ ten, um die Leidenden zu retten. Italiäner, Franzo¬ sen, Engländer, Griechen und Türken wetteiferten in dem schönsten Kampfe: sie waren glücklich und
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Die Festung zu sehen, muſs man Erlaubniſs ha¬
ben, welches etwas schwer hält. Ich bemühte mich
nicht darum, da ich schon so viel aus der Anlage sa¬
he, daſs man mit zwey tausend braven Grenadieren
ohne Erlaubniſs hinein gehen könnte. Alles ist nur
auf einen Angriff zu Wasser berechnet. Der Hafen
hier und in Palermo sind noch die einzigen Oerter,
wo ich in Sicilien einige artige Weibergestalten gesehen
habe. Anderwärts, und vorzüglich in Agrigent und
Syrakus, war ich mit meinen griechischen Idealen aus
dem Theokrit traurig durchgefallen. Der Hafen ist
hier und in Palermo die einzige Promenade, und für
den Menschen, der Menschen studieren will, gewiſs
eine der wichtigsten; so bunt und kraus sind die Ge¬
stalten vieler Nationen durch einander gruppiert. Schon
in der Stadt selbst wohnt eine groſse Verschiedenheit,
und der Fremden sind eine Menge. Einen der schön¬
sten Augenblicke hatte ich gestern Abends, bey dem
ich als Mensch über die Menschen mich fast der Freu¬
denthränen nicht enthalten konnte. Ein fremdes
Schiff kam aus dem mittelländischen Meer die Meer¬
enge herab. Ich weiſs nicht, ob es durch Sturm oder
irgend einen andern Unfall gelitten hatte; es war in
Gefahr und that Nothschüsse. Du hättest sehen sol¬
len, mit welchem göttlichen Enthusiasmus fast über¬
menschlicher Kraft zwanzig Boote von verschiedenen
Völkern durch die Wogen auf die Höhe hinausarbeite¬
ten, um die Leidenden zu retten. Italiäner, Franzo¬
sen, Engländer, Griechen und Türken wetteiferten in
dem schönsten Kampfe: sie waren glücklich und
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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/331>, abgerufen am 25.11.2024.
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