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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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Seit zwölf Jahren hatte ich Dresden nicht gesehen,
wo ich damahls von Leipzig herauf wandelte, um ei¬
nige Stellen in Guischards memoires militaires nachzu¬
suchen, die ich dort nicht finden konnte. Auch in
Dresden fand ich sie nicht, weil man sie einem Gene¬
ral in die Lausitz geschickt hatte. Nach meiner Rück¬
kehr traf ich den Freybeuter Quintus Icilius bey dem
Theologen Morus, und fand in demselben nichts, was
in meinen Kram getaugt hätte. So macht man man¬
chen Marsch in der Welt wie im Kriege umsonst. Es
wehte mich oft eine kalte, dicke, sehr unfreundliche
Luft an, wenn ich einer Residenz nahe kam; und ich
kann nicht sagen, dass Dresden diessmahl eine Aus¬
nahme gemacht hätte, so freundlich auch das Wetter
bey Meissen gewesen war. Man trifft so viele trübse¬
lige, unglückliche, entmenschte Gesichter, dass man
alle fünf Minuten auf eins stösst, das den Staupbesen
verdient zu haben oder ihn eben zu applicieren bereit
scheint: Du kannst denken, dass weder dieser noch
jener Anblick wohl thut. Viele scheinen auf irgend
eine Weise zum Hofe zu gehören oder die kleinen
Offizianten der Kollegien zu seyn, die an dem Stricke
der Armseligkeit fortziehen, und mit Grobheit grol¬
lend das Endchen Tau nach dem hauen, der ihrer
Jämmerlichkeit zu nahe tritt. Ungezogenheit und Im¬
pertinenz ist bekanntlich am meisten unter dem Hof¬
gesinde der Grossen zu Hause, das sich oft dadurch
für die Misshandlungen schadlos zu halten sucht, die
es von der eben nicht feinen Willkühr der Herren
erfahren muss. Höflichkeit sollte vom Hofe kommen;
aber das Wort scheint, wie viele andere im Leben,

Seit zwölf Jahren hatte ich Dresden nicht gesehen,
wo ich damahls von Leipzig herauf wandelte, um ei¬
nige Stellen in Guischards memoires militaires nachzu¬
suchen, die ich dort nicht finden konnte. Auch in
Dresden fand ich sie nicht, weil man sie einem Gene¬
ral in die Lausitz geschickt hatte. Nach meiner Rück¬
kehr traf ich den Freybeuter Quintus Icilius bey dem
Theologen Morus, und fand in demselben nichts, was
in meinen Kram getaugt hätte. So macht man man¬
chen Marsch in der Welt wie im Kriege umsonst. Es
wehte mich oft eine kalte, dicke, sehr unfreundliche
Luft an, wenn ich einer Residenz nahe kam; und ich
kann nicht sagen, daſs Dresden dieſsmahl eine Aus¬
nahme gemacht hätte, so freundlich auch das Wetter
bey Meiſsen gewesen war. Man trifft so viele trübse¬
lige, unglückliche, entmenschte Gesichter, daſs man
alle fünf Minuten auf eins stöſst, das den Staupbesen
verdient zu haben oder ihn eben zu applicieren bereit
scheint: Du kannst denken, daſs weder dieser noch
jener Anblick wohl thut. Viele scheinen auf irgend
eine Weise zum Hofe zu gehören oder die kleinen
Offizianten der Kollegien zu seyn, die an dem Stricke
der Armseligkeit fortziehen, und mit Grobheit grol¬
lend das Endchen Tau nach dem hauen, der ihrer
Jämmerlichkeit zu nahe tritt. Ungezogenheit und Im¬
pertinenz ist bekanntlich am meisten unter dem Hof¬
gesinde der Groſsen zu Hause, das sich oft dadurch
für die Miſshandlungen schadlos zu halten sucht, die
es von der eben nicht feinen Willkühr der Herren
erfahren muſs. Höflichkeit sollte vom Hofe kommen;
aber das Wort scheint, wie viele andere im Leben,

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[3/0029] Seit zwölf Jahren hatte ich Dresden nicht gesehen, wo ich damahls von Leipzig herauf wandelte, um ei¬ nige Stellen in Guischards memoires militaires nachzu¬ suchen, die ich dort nicht finden konnte. Auch in Dresden fand ich sie nicht, weil man sie einem Gene¬ ral in die Lausitz geschickt hatte. Nach meiner Rück¬ kehr traf ich den Freybeuter Quintus Icilius bey dem Theologen Morus, und fand in demselben nichts, was in meinen Kram getaugt hätte. So macht man man¬ chen Marsch in der Welt wie im Kriege umsonst. Es wehte mich oft eine kalte, dicke, sehr unfreundliche Luft an, wenn ich einer Residenz nahe kam; und ich kann nicht sagen, daſs Dresden dieſsmahl eine Aus¬ nahme gemacht hätte, so freundlich auch das Wetter bey Meiſsen gewesen war. Man trifft so viele trübse¬ lige, unglückliche, entmenschte Gesichter, daſs man alle fünf Minuten auf eins stöſst, das den Staupbesen verdient zu haben oder ihn eben zu applicieren bereit scheint: Du kannst denken, daſs weder dieser noch jener Anblick wohl thut. Viele scheinen auf irgend eine Weise zum Hofe zu gehören oder die kleinen Offizianten der Kollegien zu seyn, die an dem Stricke der Armseligkeit fortziehen, und mit Grobheit grol¬ lend das Endchen Tau nach dem hauen, der ihrer Jämmerlichkeit zu nahe tritt. Ungezogenheit und Im¬ pertinenz ist bekanntlich am meisten unter dem Hof¬ gesinde der Groſsen zu Hause, das sich oft dadurch für die Miſshandlungen schadlos zu halten sucht, die es von der eben nicht feinen Willkühr der Herren erfahren muſs. Höflichkeit sollte vom Hofe kommen; aber das Wort scheint, wie viele andere im Leben,

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/29>, abgerufen am 23.11.2024.