Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

zu seyn und auch aus Klugheit, versiegelt in Palermo
gelassen: denn er fand überall so viel Beyfall und
Liebhaber, dass man mir einige Mahl sagte, man
würde mich bloss meines Tornisters wegen todt
schlagen.

Ich muss hier noch eine Bekanntschaft nachholen,
die ich in Agrigent machte. Als ich in meinem Zim¬
mer ass, trat ein stattlich gekleideter Mann zu mir
herein und erkundigte sich theilnehmend nach allen
gewöhnlichen Dingen, nach meinem Befinden und wie
es mir in seinem Vaterlande gefiele, und so weiter.
Die Bekanntschaft war bald gemacht; er wohnte in
einem Zimmer mir gegenüber in dem nehmlichen
Wirthshause, bat um die Erlaubniss sein Essen zu mir
zu bringen, und wir assen zusammen. Es fand sich,
dass er eine Art Steuerrevisor war, der in königlichen
Geschäften reiste. Die Sicilianer sind ein sehr gut¬
müthiges neugieriges Völkchen, die in der ersten Vier¬
telstunde ganz treuherzig dem Fremden alles abzufra¬
gen verstehen. Ich fand nicht Ursache den Versteck¬
ten zu spielen; und so erfuhr der Herr Steuerrevisor
über Tische auf seine Frage, dass ich ein Ketzer war.
Der dicke Herr legte vor Schrecken Messer und Ga¬
bel nieder, und sah mich an, als ob ich schon in der
Hölle brennte; er fragte mich nun über unser Reli¬
gionssystem, von dem ich ihm so wenig als möglich
so schonend als möglich sagte. Der Mensch war in
Palermo verheirathet, hatte drey Kinder, und musste,
nach seiner offenen Beichte, auf der Landreise jede
Nacht zur Bequemlichkeit wo möglich sein Mädchen
haben; fluchte übrigens und zotierte auf lateinisch und

zu seyn und auch aus Klugheit, versiegelt in Palermo
gelassen: denn er fand überall so viel Beyfall und
Liebhaber, daſs man mir einige Mahl sagte, man
würde mich bloſs meines Tornisters wegen todt
schlagen.

Ich muſs hier noch eine Bekanntschaft nachholen,
die ich in Agrigent machte. Als ich in meinem Zim¬
mer aſs, trat ein stattlich gekleideter Mann zu mir
herein und erkundigte sich theilnehmend nach allen
gewöhnlichen Dingen, nach meinem Befinden und wie
es mir in seinem Vaterlande gefiele, und so weiter.
Die Bekanntschaft war bald gemacht; er wohnte in
einem Zimmer mir gegenüber in dem nehmlichen
Wirthshause, bat um die Erlaubniſs sein Essen zu mir
zu bringen, und wir aſsen zusammen. Es fand sich,
daſs er eine Art Steuerrevisor war, der in königlichen
Geschäften reiste. Die Sicilianer sind ein sehr gut¬
müthiges neugieriges Völkchen, die in der ersten Vier¬
telstunde ganz treuherzig dem Fremden alles abzufra¬
gen verstehen. Ich fand nicht Ursache den Versteck¬
ten zu spielen; und so erfuhr der Herr Steuerrevisor
über Tische auf seine Frage, daſs ich ein Ketzer war.
Der dicke Herr legte vor Schrecken Messer und Ga¬
bel nieder, und sah mich an, als ob ich schon in der
Hölle brennte; er fragte mich nun über unser Reli¬
gionssystem, von dem ich ihm so wenig als möglich
so schonend als möglich sagte. Der Mensch war in
Palermo verheirathet, hatte drey Kinder, und muſste,
nach seiner offenen Beichte, auf der Landreise jede
Nacht zur Bequemlichkeit wo möglich sein Mädchen
haben; fluchte übrigens und zotierte auf lateinisch und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0249" n="223"/>
zu seyn und auch aus Klugheit, versiegelt in Palermo<lb/>
gelassen: denn er fand überall so viel Beyfall und<lb/>
Liebhaber, da&#x017F;s man mir einige Mahl sagte, man<lb/>
würde mich blo&#x017F;s meines Tornisters wegen todt<lb/>
schlagen.</p><lb/>
        <p>Ich mu&#x017F;s hier noch eine Bekanntschaft nachholen,<lb/>
die ich in Agrigent machte. Als ich in meinem Zim¬<lb/>
mer a&#x017F;s, trat ein stattlich gekleideter Mann zu mir<lb/>
herein und erkundigte sich theilnehmend nach allen<lb/>
gewöhnlichen Dingen, nach meinem Befinden und wie<lb/>
es mir in seinem Vaterlande gefiele, und so weiter.<lb/>
Die Bekanntschaft war bald gemacht; er wohnte in<lb/>
einem Zimmer mir gegenüber in dem nehmlichen<lb/>
Wirthshause, bat um die Erlaubni&#x017F;s sein Essen zu mir<lb/>
zu bringen, und wir a&#x017F;sen zusammen. Es fand sich,<lb/>
da&#x017F;s er eine Art Steuerrevisor war, der in königlichen<lb/>
Geschäften reiste. Die Sicilianer sind ein sehr gut¬<lb/>
müthiges neugieriges Völkchen, die in der ersten Vier¬<lb/>
telstunde ganz treuherzig dem Fremden alles abzufra¬<lb/>
gen verstehen. Ich fand nicht Ursache den Versteck¬<lb/>
ten zu spielen; und so erfuhr der Herr Steuerrevisor<lb/>
über Tische auf seine Frage, da&#x017F;s ich ein Ketzer war.<lb/>
Der dicke Herr legte vor Schrecken Messer und Ga¬<lb/>
bel nieder, und sah mich an, als ob ich schon in der<lb/>
Hölle brennte; er fragte mich nun über unser Reli¬<lb/>
gionssystem, von dem ich ihm so wenig als möglich<lb/>
so schonend als möglich sagte. Der Mensch war in<lb/>
Palermo verheirathet, hatte drey Kinder, und mu&#x017F;ste,<lb/>
nach seiner offenen Beichte, auf der Landreise jede<lb/>
Nacht zur Bequemlichkeit wo möglich sein Mädchen<lb/>
haben; fluchte übrigens und zotierte auf lateinisch und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[223/0249] zu seyn und auch aus Klugheit, versiegelt in Palermo gelassen: denn er fand überall so viel Beyfall und Liebhaber, daſs man mir einige Mahl sagte, man würde mich bloſs meines Tornisters wegen todt schlagen. Ich muſs hier noch eine Bekanntschaft nachholen, die ich in Agrigent machte. Als ich in meinem Zim¬ mer aſs, trat ein stattlich gekleideter Mann zu mir herein und erkundigte sich theilnehmend nach allen gewöhnlichen Dingen, nach meinem Befinden und wie es mir in seinem Vaterlande gefiele, und so weiter. Die Bekanntschaft war bald gemacht; er wohnte in einem Zimmer mir gegenüber in dem nehmlichen Wirthshause, bat um die Erlaubniſs sein Essen zu mir zu bringen, und wir aſsen zusammen. Es fand sich, daſs er eine Art Steuerrevisor war, der in königlichen Geschäften reiste. Die Sicilianer sind ein sehr gut¬ müthiges neugieriges Völkchen, die in der ersten Vier¬ telstunde ganz treuherzig dem Fremden alles abzufra¬ gen verstehen. Ich fand nicht Ursache den Versteck¬ ten zu spielen; und so erfuhr der Herr Steuerrevisor über Tische auf seine Frage, daſs ich ein Ketzer war. Der dicke Herr legte vor Schrecken Messer und Ga¬ bel nieder, und sah mich an, als ob ich schon in der Hölle brennte; er fragte mich nun über unser Reli¬ gionssystem, von dem ich ihm so wenig als möglich so schonend als möglich sagte. Der Mensch war in Palermo verheirathet, hatte drey Kinder, und muſste, nach seiner offenen Beichte, auf der Landreise jede Nacht zur Bequemlichkeit wo möglich sein Mädchen haben; fluchte übrigens und zotierte auf lateinisch und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/249
Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/249>, abgerufen am 22.11.2024.