eine Stunde herum, und beschaute das unterirdische Wesen, und hörte die Gelehrsamkeit des Cicerone, der, wie ich vermuthe, Glöckner des Hospitals war. Über den Grüften ist ein Theil des Gartens von Capo di monte. Der Führer erzählte mir eine Menge Wun¬ der, die die Heiligen Januarius und Severus hier ganz gewiss gethan haben, und ich war unterdessen mit meinen Konjekturen bey der Entstehung dieser Grüfte. Hier und da lagen in den Einschnitten der Zellen noch Skelette, und zuweilen ganze grosse Haufen von Knochen, wie man sagte, von der Zeit der grossen Pest. Die römischen Katakomben habe ich nicht ge¬ sehen, weder nahe an der Stadt noch in Rignano, weil mich verständige Männer und Kenner versicher¬ ten, dass man dort sehr wenig zu sehen habe und es nun ganz ausgemacht sey, dass das Ganze weiter nichts als Puzzolangruben gewesen, die nach und nach zu dieser Tiefe und zu diesem Umfang gewachsen. Das ist begreiflich und das wahrscheinlichste.
Die heilige Klara hat das reichste Nonnenkloster in der Stadt und eine wirklich sehr prächtige Kirche, wo auch die Kinder des königlichen Hauses begraben werden. Die Nonnen sind alle aus den vornehmsten Familien, und man hat ihre Thorheit und ihr Elend so glänzend als möglich zu machen gesucht. Mein al¬ ter Genuese, der ein grosser Hermenevte in der Kir¬ chengeschichte ist, erzählte mir bey dieser Gelegen¬ heit ein Stückchen, das seinen Exegetentalenten keine Schande macht, und dessen Würdigung ich den Ken¬ nern überlasse. Die heilige Klara war eine Zeitgenos¬ sin des heiligen Franciskus und des heiligen Domini¬
eine Stunde herum, und beschaute das unterirdische Wesen, und hörte die Gelehrsamkeit des Cicerone, der, wie ich vermuthe, Glöckner des Hospitals war. Über den Grüften ist ein Theil des Gartens von Capo di monte. Der Führer erzählte mir eine Menge Wun¬ der, die die Heiligen Januarius und Severus hier ganz gewiſs gethan haben, und ich war unterdessen mit meinen Konjekturen bey der Entstehung dieser Grüfte. Hier und da lagen in den Einschnitten der Zellen noch Skelette, und zuweilen ganze groſse Haufen von Knochen, wie man sagte, von der Zeit der groſsen Pest. Die römischen Katakomben habe ich nicht ge¬ sehen, weder nahe an der Stadt noch in Rignano, weil mich verständige Männer und Kenner versicher¬ ten, daſs man dort sehr wenig zu sehen habe und es nun ganz ausgemacht sey, daſs das Ganze weiter nichts als Puzzolangruben gewesen, die nach und nach zu dieser Tiefe und zu diesem Umfang gewachsen. Das ist begreiflich und das wahrscheinlichste.
Die heilige Klara hat das reichste Nonnenkloster in der Stadt und eine wirklich sehr prächtige Kirche, wo auch die Kinder des königlichen Hauses begraben werden. Die Nonnen sind alle aus den vornehmsten Familien, und man hat ihre Thorheit und ihr Elend so glänzend als möglich zu machen gesucht. Mein al¬ ter Genuese, der ein groſser Hermenevte in der Kir¬ chengeschichte ist, erzählte mir bey dieser Gelegen¬ heit ein Stückchen, das seinen Exegetentalenten keine Schande macht, und dessen Würdigung ich den Ken¬ nern überlasse. Die heilige Klara war eine Zeitgenos¬ sin des heiligen Franciskus und des heiligen Domini¬
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[188/0214]
eine Stunde herum, und beschaute das unterirdische
Wesen, und hörte die Gelehrsamkeit des Cicerone,
der, wie ich vermuthe, Glöckner des Hospitals war.
Über den Grüften ist ein Theil des Gartens von Capo
di monte. Der Führer erzählte mir eine Menge Wun¬
der, die die Heiligen Januarius und Severus hier ganz
gewiſs gethan haben, und ich war unterdessen mit
meinen Konjekturen bey der Entstehung dieser Grüfte.
Hier und da lagen in den Einschnitten der Zellen
noch Skelette, und zuweilen ganze groſse Haufen von
Knochen, wie man sagte, von der Zeit der groſsen
Pest. Die römischen Katakomben habe ich nicht ge¬
sehen, weder nahe an der Stadt noch in Rignano,
weil mich verständige Männer und Kenner versicher¬
ten, daſs man dort sehr wenig zu sehen habe und es
nun ganz ausgemacht sey, daſs das Ganze weiter nichts
als Puzzolangruben gewesen, die nach und nach
zu dieser Tiefe und zu diesem Umfang gewachsen.
Das ist begreiflich und das wahrscheinlichste.
Die heilige Klara hat das reichste Nonnenkloster
in der Stadt und eine wirklich sehr prächtige Kirche,
wo auch die Kinder des königlichen Hauses begraben
werden. Die Nonnen sind alle aus den vornehmsten
Familien, und man hat ihre Thorheit und ihr Elend
so glänzend als möglich zu machen gesucht. Mein al¬
ter Genuese, der ein groſser Hermenevte in der Kir¬
chengeschichte ist, erzählte mir bey dieser Gelegen¬
heit ein Stückchen, das seinen Exegetentalenten keine
Schande macht, und dessen Würdigung ich den Ken¬
nern überlasse. Die heilige Klara war eine Zeitgenos¬
sin des heiligen Franciskus und des heiligen Domini¬
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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/214>, abgerufen am 26.11.2024.
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