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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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besser geschmeckt hätten. Er mochte mich für einen
Maler halten und glauben, dass dieses zur Weihe
gehöre. Zum Desert und zur Delikatesse kann ich
den Dintenfisch nach dem Urtheil meines Gaumens
nicht empfehlen; schon seine schwarzbraune Farbe
ist in der Schüssel eben nicht ästhetisch. Nachdem
ich gespeist, Interamner Wein getrunken und meinen
Reisesack gehörig in Ordnung gelegt hatte, trollte ich
fort nach dem Sonnentempel, nehmlich der jetzigen
Diminutivkirche des heiligen Erlösers. Sie war ver¬
schlossen, ich liess mich aber nicht abweisen und ging
zum Sakristan, der weiter keine Notiz von mir nahm,
bey seiner Schüssel und seinem Buche unbeweglich
sitzen blieb und mich durch eine alte Sara in die
Kirche weisen liess. Der Mann hatte in seinem Sinne
Recht; denn er dachte ohne Zweifel: Der da kommt
weder mir noch meiner Kirche zu Ehren, sondern
bloss der heidnischen Sonne sein Kompliment zu ma¬
chen, Richtig. Die Leute haben bekanntlich das
Tempelchen wie wahre Obskuranten behandelt und
dafür gesorgt, dass in den Sonnentempel keine Sonne
mehr scheinen kann. Alle Eingänge sind vermauert
und zu Nischen gemacht, in deren jeder ein Heiliger
für Italien schlecht genug gepinselt ist; und über dem
Altar steht ein Sankt Salvator, der seinen Verfertiger
auch nicht aus dem Fegefeuer erlösen wird.

Nun stieg ich, ob ich gleich diesen Tag schon
durch vier Meilen Apenninen von Spoleto herüber ge¬
kommen war, noch eine deutsche Meile lang den ho¬
hen Steinweg zu dem Fall des Velino hinauf. Das
war Belohnung. Der Tag war herrlich; kein Wölk¬

besser geschmeckt hätten. Er mochte mich für einen
Maler halten und glauben, daſs dieses zur Weihe
gehöre. Zum Desert und zur Delikatesse kann ich
den Dintenfisch nach dem Urtheil meines Gaumens
nicht empfehlen; schon seine schwarzbraune Farbe
ist in der Schüssel eben nicht ästhetisch. Nachdem
ich gespeist, Interamner Wein getrunken und meinen
Reisesack gehörig in Ordnung gelegt hatte, trollte ich
fort nach dem Sonnentempel, nehmlich der jetzigen
Diminutivkirche des heiligen Erlösers. Sie war ver¬
schlossen, ich lieſs mich aber nicht abweisen und ging
zum Sakristan, der weiter keine Notiz von mir nahm,
bey seiner Schüssel und seinem Buche unbeweglich
sitzen blieb und mich durch eine alte Sara in die
Kirche weisen lieſs. Der Mann hatte in seinem Sinne
Recht; denn er dachte ohne Zweifel: Der da kommt
weder mir noch meiner Kirche zu Ehren, sondern
bloſs der heidnischen Sonne sein Kompliment zu ma¬
chen, Richtig. Die Leute haben bekanntlich das
Tempelchen wie wahre Obskuranten behandelt und
dafür gesorgt, daſs in den Sonnentempel keine Sonne
mehr scheinen kann. Alle Eingänge sind vermauert
und zu Nischen gemacht, in deren jeder ein Heiliger
für Italien schlecht genug gepinselt ist; und über dem
Altar steht ein Sankt Salvator, der seinen Verfertiger
auch nicht aus dem Fegefeuer erlösen wird.

Nun stieg ich, ob ich gleich diesen Tag schon
durch vier Meilen Apenninen von Spoleto herüber ge¬
kommen war, noch eine deutsche Meile lang den ho¬
hen Steinweg zu dem Fall des Velino hinauf. Das
war Belohnung. Der Tag war herrlich; kein Wölk¬

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[148/0174] besser geschmeckt hätten. Er mochte mich für einen Maler halten und glauben, daſs dieses zur Weihe gehöre. Zum Desert und zur Delikatesse kann ich den Dintenfisch nach dem Urtheil meines Gaumens nicht empfehlen; schon seine schwarzbraune Farbe ist in der Schüssel eben nicht ästhetisch. Nachdem ich gespeist, Interamner Wein getrunken und meinen Reisesack gehörig in Ordnung gelegt hatte, trollte ich fort nach dem Sonnentempel, nehmlich der jetzigen Diminutivkirche des heiligen Erlösers. Sie war ver¬ schlossen, ich lieſs mich aber nicht abweisen und ging zum Sakristan, der weiter keine Notiz von mir nahm, bey seiner Schüssel und seinem Buche unbeweglich sitzen blieb und mich durch eine alte Sara in die Kirche weisen lieſs. Der Mann hatte in seinem Sinne Recht; denn er dachte ohne Zweifel: Der da kommt weder mir noch meiner Kirche zu Ehren, sondern bloſs der heidnischen Sonne sein Kompliment zu ma¬ chen, Richtig. Die Leute haben bekanntlich das Tempelchen wie wahre Obskuranten behandelt und dafür gesorgt, daſs in den Sonnentempel keine Sonne mehr scheinen kann. Alle Eingänge sind vermauert und zu Nischen gemacht, in deren jeder ein Heiliger für Italien schlecht genug gepinselt ist; und über dem Altar steht ein Sankt Salvator, der seinen Verfertiger auch nicht aus dem Fegefeuer erlösen wird. Nun stieg ich, ob ich gleich diesen Tag schon durch vier Meilen Apenninen von Spoleto herüber ge¬ kommen war, noch eine deutsche Meile lang den ho¬ hen Steinweg zu dem Fall des Velino hinauf. Das war Belohnung. Der Tag war herrlich; kein Wölk¬

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/174>, abgerufen am 30.11.2024.