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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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über meine Uebereilung ärgerte. Wahrscheinlich hiel¬
ten wir beyde einander für ärmer, als wir waren. Du
wirst mir zugeben, dass solche Erscheinungen, die
kleine Unannehmlichkeit des augenblicklichen Gefühls
abgerechnet, unserer Humanität sehr wohl thun müs¬
sen. Die Gegend um Loretto ist ein Paradies von
Fruchtbarkeit, und die Engel müssen ganz gescheidte
Leute gewesen seyn, da sie nun einmahl das Häus¬
chen im gelobten Lande nicht behaupten konnten,
dass sie es durch die Luft aus Dalmatien hierher bug¬
siert haben. Es steht hier doch wohl etwas besser,
als es dort gestanden haben würde, wo es auch den
Ungläubigen so zu sagen noch in den Klauen war.
Zwar hatte es den Anschein, als ob der Unglaube
auch hier etwas überhand nehmen wollte und einen
dritten Transport nöthig machen würde; denn die ent¬
setzlichen Franzosen, die doch sonst die allerchrist¬
lichste Nation waren, hatten sich nicht entblödet der
heiligen Jungfrau offenbare Gewalt anzuthun, worüber
die hiesigen Frommen grosse Klagelieder und Verwün¬
schungen anstimmen: aber die neue Salbung des gro¬
ssen Demagogen giebt auf einmahl der Sache für die
Gottseligkeit eine andere Wendung. Die Mummerey
nimmt wieder ihren Anfang, man macht Spektakel
aller Art, wie ich denn selbst das Idol des Bacchus auf
einer ungeheuern Tonne zum Fasching vor dem hei¬
ligen Hause in Pomp auf und abführen sah; und
man verkauft wieder Indulgenzen nach Noten für alle
Arten von Schurkereyen. Es ist überhaupt nicht viel
Vernunft in der Vergebung der Sünden; aber wer

über meine Uebereilung ärgerte. Wahrscheinlich hiel¬
ten wir beyde einander für ärmer, als wir waren. Du
wirst mir zugeben, daſs solche Erscheinungen, die
kleine Unannehmlichkeit des augenblicklichen Gefühls
abgerechnet, unserer Humanität sehr wohl thun müs¬
sen. Die Gegend um Loretto ist ein Paradies von
Fruchtbarkeit, und die Engel müssen ganz gescheidte
Leute gewesen seyn, da sie nun einmahl das Häus¬
chen im gelobten Lande nicht behaupten konnten,
daſs sie es durch die Luft aus Dalmatien hierher bug¬
siert haben. Es steht hier doch wohl etwas besser,
als es dort gestanden haben würde, wo es auch den
Ungläubigen so zu sagen noch in den Klauen war.
Zwar hatte es den Anschein, als ob der Unglaube
auch hier etwas überhand nehmen wollte und einen
dritten Transport nöthig machen würde; denn die ent¬
setzlichen Franzosen, die doch sonst die allerchrist¬
lichste Nation waren, hatten sich nicht entblödet der
heiligen Jungfrau offenbare Gewalt anzuthun, worüber
die hiesigen Frommen groſse Klagelieder und Verwün¬
schungen anstimmen: aber die neue Salbung des gro¬
ſsen Demagogen giebt auf einmahl der Sache für die
Gottseligkeit eine andere Wendung. Die Mummerey
nimmt wieder ihren Anfang, man macht Spektakel
aller Art, wie ich denn selbst das Idol des Bacchus auf
einer ungeheuern Tonne zum Fasching vor dem hei¬
ligen Hause in Pomp auf und abführen sah; und
man verkauft wieder Indulgenzen nach Noten für alle
Arten von Schurkereyen. Es ist überhaupt nicht viel
Vernunft in der Vergebung der Sünden; aber wer

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[137/0163] über meine Uebereilung ärgerte. Wahrscheinlich hiel¬ ten wir beyde einander für ärmer, als wir waren. Du wirst mir zugeben, daſs solche Erscheinungen, die kleine Unannehmlichkeit des augenblicklichen Gefühls abgerechnet, unserer Humanität sehr wohl thun müs¬ sen. Die Gegend um Loretto ist ein Paradies von Fruchtbarkeit, und die Engel müssen ganz gescheidte Leute gewesen seyn, da sie nun einmahl das Häus¬ chen im gelobten Lande nicht behaupten konnten, daſs sie es durch die Luft aus Dalmatien hierher bug¬ siert haben. Es steht hier doch wohl etwas besser, als es dort gestanden haben würde, wo es auch den Ungläubigen so zu sagen noch in den Klauen war. Zwar hatte es den Anschein, als ob der Unglaube auch hier etwas überhand nehmen wollte und einen dritten Transport nöthig machen würde; denn die ent¬ setzlichen Franzosen, die doch sonst die allerchrist¬ lichste Nation waren, hatten sich nicht entblödet der heiligen Jungfrau offenbare Gewalt anzuthun, worüber die hiesigen Frommen groſse Klagelieder und Verwün¬ schungen anstimmen: aber die neue Salbung des gro¬ ſsen Demagogen giebt auf einmahl der Sache für die Gottseligkeit eine andere Wendung. Die Mummerey nimmt wieder ihren Anfang, man macht Spektakel aller Art, wie ich denn selbst das Idol des Bacchus auf einer ungeheuern Tonne zum Fasching vor dem hei¬ ligen Hause in Pomp auf und abführen sah; und man verkauft wieder Indulgenzen nach Noten für alle Arten von Schurkereyen. Es ist überhaupt nicht viel Vernunft in der Vergebung der Sünden; aber wer

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/163>, abgerufen am 30.11.2024.