kung thun müsse, so irrt man sich vermuthlich; we¬ nigstens für mich muss ich bekennen, dass mir nichts langweiliger und peinlicher wird als eine solche Zärt¬ lichkeitsscene. Ein Kuss ist alles, und ein Kuss ist nichts; und hier ist er weniger als nichts, wenn er so seine Bedeutung verliert. Er gehört durchaus zu den Heimlichkeiten der Zärtlichkeit, in der Freundschaft wie in der Liebe, und wird hier entweiht, wenn er vor die Augen der Profanen getragen wird. Ich weiss die Einwürfe; aber ich kann hier keine Abhandlung schreiben, sie alle zu beantworten. Der Italiäner weiss durch die feinen Nüanzen der Umarmung mehr zu wirken, als wir durch unsere Küsse. Es versteht sich, dass seltene Ausnahmen Statt finden. Ein ande¬ rer Artikel, den wir etwas zu materiell behandeln, ist das Essen und Trinken und Tabaksrauchen auf dem Theater. Das alles ist von sehr geringer ästhetischer Bedeutung, und sollte füglich wegfallen. Es ist als ob wir unsere Stärke zeigen wollten, um die Präemi¬ nenz unsers Magens zu beweisen: und der Gebrauch der Theemaschine und der Serviette gehört bey mir durchaus nicht zu den guten Theaterkünsten; zumahl wenn man eine Theekanne auf das Theater bringt, die man in der letzten Dorfschenke kaum unförmli¬ cher und unreinlicher finden würde. Auch sieht man zuweilen einen Korb, der doch Eleganz bezeichnen sollte, als ob eben ein Bauer Hühnermist darin auf das Pflanzenbeet getragen hätte. Nimm mir es nicht übel, dass ich da in dramaturgischen Eifer gerathe: es wirkt unangenehm, wenn man Schicklichkeit und Anstand vernachlässigt.
kung thun müsse, so irrt man sich vermuthlich; we¬ nigstens für mich muſs ich bekennen, daſs mir nichts langweiliger und peinlicher wird als eine solche Zärt¬ lichkeitsscene. Ein Kuſs ist alles, und ein Kuſs ist nichts; und hier ist er weniger als nichts, wenn er so seine Bedeutung verliert. Er gehört durchaus zu den Heimlichkeiten der Zärtlichkeit, in der Freundschaft wie in der Liebe, und wird hier entweiht, wenn er vor die Augen der Profanen getragen wird. Ich weiſs die Einwürfe; aber ich kann hier keine Abhandlung schreiben, sie alle zu beantworten. Der Italiäner weiſs durch die feinen Nüanzen der Umarmung mehr zu wirken, als wir durch unsere Küsse. Es versteht sich, daſs seltene Ausnahmen Statt finden. Ein ande¬ rer Artikel, den wir etwas zu materiell behandeln, ist das Essen und Trinken und Tabaksrauchen auf dem Theater. Das alles ist von sehr geringer ästhetischer Bedeutung, und sollte füglich wegfallen. Es ist als ob wir unsere Stärke zeigen wollten, um die Präemi¬ nenz unsers Magens zu beweisen: und der Gebrauch der Theemaschine und der Serviette gehört bey mir durchaus nicht zu den guten Theaterkünsten; zumahl wenn man eine Theekanne auf das Theater bringt, die man in der letzten Dorfschenke kaum unförmli¬ cher und unreinlicher finden würde. Auch sieht man zuweilen einen Korb, der doch Eleganz bezeichnen sollte, als ob eben ein Bauer Hühnermist darin auf das Pflanzenbeet getragen hätte. Nimm mir es nicht übel, daſs ich da in dramaturgischen Eifer gerathe: es wirkt unangenehm, wenn man Schicklichkeit und Anstand vernachlässigt.
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kung thun müsse, so irrt man sich vermuthlich; we¬
nigstens für mich muſs ich bekennen, daſs mir nichts
langweiliger und peinlicher wird als eine solche Zärt¬
lichkeitsscene. Ein Kuſs ist alles, und ein Kuſs ist
nichts; und hier ist er weniger als nichts, wenn er so
seine Bedeutung verliert. Er gehört durchaus zu den
Heimlichkeiten der Zärtlichkeit, in der Freundschaft
wie in der Liebe, und wird hier entweiht, wenn er
vor die Augen der Profanen getragen wird. Ich weiſs
die Einwürfe; aber ich kann hier keine Abhandlung
schreiben, sie alle zu beantworten. Der Italiäner
weiſs durch die feinen Nüanzen der Umarmung mehr
zu wirken, als wir durch unsere Küsse. Es versteht
sich, daſs seltene Ausnahmen Statt finden. Ein ande¬
rer Artikel, den wir etwas zu materiell behandeln, ist
das Essen und Trinken und Tabaksrauchen auf dem
Theater. Das alles ist von sehr geringer ästhetischer
Bedeutung, und sollte füglich wegfallen. Es ist als
ob wir unsere Stärke zeigen wollten, um die Präemi¬
nenz unsers Magens zu beweisen: und der Gebrauch
der Theemaschine und der Serviette gehört bey mir
durchaus nicht zu den guten Theaterkünsten; zumahl
wenn man eine Theekanne auf das Theater bringt,
die man in der letzten Dorfschenke kaum unförmli¬
cher und unreinlicher finden würde. Auch sieht man
zuweilen einen Korb, der doch Eleganz bezeichnen
sollte, als ob eben ein Bauer Hühnermist darin auf
das Pflanzenbeet getragen hätte. Nimm mir es nicht
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es wirkt unangenehm, wenn man Schicklichkeit und
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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/157>, abgerufen am 29.11.2024.
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