Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

Spitze, und gegen über in dem grossen Kaffeehause
war ein starkes Gewimmel von Italiänern und Fran¬
zosen, die sich der jovialischen Laune der Ungebun¬
denheit überliessen. Aber alles war sehr anständig
und ohne Lärm.

Ich muss Dir bekennen, dass mir dieses heitere
kühne Wesen gegen die stille bange Furchtsamkeit in
Wien und Venedig sehr wohl gefiel, und dass ich sel¬
ber etwas freyer zu athmen anfing; so wenig ich auch
eben diese Freyheit für mich behalten und sie über¬
haupt den Menschenkindern wünschen möchte. Das
Wasser hatte hier überall ausserordentlichen Schaden
gethan, wie Du gewiss schon aus den öffentlichen
Blättern wirst gehört haben; vorzüglich hatte der so¬
genannte canale bianco seine Dämme durchbrochen
und links und rechts grosse Verwüstungen angerichtet.
Es arbeiteten oft mehrere hundert Mann an den Däm¬
men und werden Jahre arbeiten, ehe sie alles wieder
in den alten Stand setzen. Hier sah man empörende
Erscheinungen der Armuth in einem ziemlich geseg¬
neten Landstriche; und ich schreibe dieses auch mit
dem Unheil zu, das die Flüsse und grossen Kanäle
hier sehr oft anrichten müssen. Da die Strasse ganz
abscheulich war, liess ich mich bis Ponte di Lagos¬
curo auf dem Po hinauf rudern, und zahlte fünf Ru¬
derknechten für eine Strecke von drey Stunden die
kleine Summe von zehn Liren. Der Po ist ein gro¬
sses schönes majestätisches Wasser, und die heitere
helle Abendsonne vergoldete seine Wellen und links
und rechts die Ufer in weiter weiter Ferne. Es war,
als ob ein Ozean herabrollte, und die Griechen haben

Spitze, und gegen über in dem groſsen Kaffeehause
war ein starkes Gewimmel von Italiänern und Fran¬
zosen, die sich der jovialischen Laune der Ungebun¬
denheit überlieſsen. Aber alles war sehr anständig
und ohne Lärm.

Ich muſs Dir bekennen, daſs mir dieses heitere
kühne Wesen gegen die stille bange Furchtsamkeit in
Wien und Venedig sehr wohl gefiel, und daſs ich sel¬
ber etwas freyer zu athmen anfing; so wenig ich auch
eben diese Freyheit für mich behalten und sie über¬
haupt den Menschenkindern wünschen möchte. Das
Wasser hatte hier überall auſserordentlichen Schaden
gethan, wie Du gewiſs schon aus den öffentlichen
Blättern wirst gehört haben; vorzüglich hatte der so¬
genannte canale bianco seine Dämme durchbrochen
und links und rechts groſse Verwüstungen angerichtet.
Es arbeiteten oft mehrere hundert Mann an den Däm¬
men und werden Jahre arbeiten, ehe sie alles wieder
in den alten Stand setzen. Hier sah man empörende
Erscheinungen der Armuth in einem ziemlich geseg¬
neten Landstriche; und ich schreibe dieses auch mit
dem Unheil zu, das die Flüsse und groſsen Kanäle
hier sehr oft anrichten müssen. Da die Straſse ganz
abscheulich war, lieſs ich mich bis Ponte di Lagos¬
curo auf dem Po hinauf rudern, und zahlte fünf Ru¬
derknechten für eine Strecke von drey Stunden die
kleine Summe von zehn Liren. Der Po ist ein gro¬
ſses schönes majestätisches Wasser, und die heitere
helle Abendsonne vergoldete seine Wellen und links
und rechts die Ufer in weiter weiter Ferne. Es war,
als ob ein Ozean herabrollte, und die Griechen haben

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0137" n="111"/>
Spitze, und gegen über in dem gro&#x017F;sen Kaffeehause<lb/>
war ein starkes Gewimmel von Italiänern und Fran¬<lb/>
zosen, die sich der jovialischen Laune der Ungebun¬<lb/>
denheit überlie&#x017F;sen. Aber alles war sehr anständig<lb/>
und ohne Lärm.</p><lb/>
        <p>Ich mu&#x017F;s Dir bekennen, da&#x017F;s mir dieses heitere<lb/>
kühne Wesen gegen die stille bange Furchtsamkeit in<lb/>
Wien und Venedig sehr wohl gefiel, und da&#x017F;s ich sel¬<lb/>
ber etwas freyer zu athmen anfing; so wenig ich auch<lb/>
eben diese Freyheit für mich behalten und sie über¬<lb/>
haupt den Menschenkindern wünschen möchte. Das<lb/>
Wasser hatte hier überall au&#x017F;serordentlichen Schaden<lb/>
gethan, wie Du gewi&#x017F;s schon aus den öffentlichen<lb/>
Blättern wirst gehört haben; vorzüglich hatte der so¬<lb/>
genannte <hi rendition="#i">canale bianco</hi> seine Dämme durchbrochen<lb/>
und links und rechts gro&#x017F;se Verwüstungen angerichtet.<lb/>
Es arbeiteten oft mehrere hundert Mann an den Däm¬<lb/>
men und werden Jahre arbeiten, ehe sie alles wieder<lb/>
in den alten Stand setzen. Hier sah man empörende<lb/>
Erscheinungen der Armuth in einem ziemlich geseg¬<lb/>
neten Landstriche; und ich schreibe dieses auch mit<lb/>
dem Unheil zu, das die Flüsse und gro&#x017F;sen Kanäle<lb/>
hier sehr oft anrichten müssen. Da die Stra&#x017F;se ganz<lb/>
abscheulich war, lie&#x017F;s ich mich bis Ponte di Lagos¬<lb/>
curo auf dem Po hinauf rudern, und zahlte fünf Ru¬<lb/>
derknechten für eine Strecke von drey Stunden die<lb/>
kleine Summe von zehn Liren. Der Po ist ein gro¬<lb/>
&#x017F;ses schönes majestätisches Wasser, und die heitere<lb/>
helle Abendsonne vergoldete seine Wellen und links<lb/>
und rechts die Ufer in weiter weiter Ferne. Es war,<lb/>
als ob ein Ozean herabrollte, und die Griechen haben<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[111/0137] Spitze, und gegen über in dem groſsen Kaffeehause war ein starkes Gewimmel von Italiänern und Fran¬ zosen, die sich der jovialischen Laune der Ungebun¬ denheit überlieſsen. Aber alles war sehr anständig und ohne Lärm. Ich muſs Dir bekennen, daſs mir dieses heitere kühne Wesen gegen die stille bange Furchtsamkeit in Wien und Venedig sehr wohl gefiel, und daſs ich sel¬ ber etwas freyer zu athmen anfing; so wenig ich auch eben diese Freyheit für mich behalten und sie über¬ haupt den Menschenkindern wünschen möchte. Das Wasser hatte hier überall auſserordentlichen Schaden gethan, wie Du gewiſs schon aus den öffentlichen Blättern wirst gehört haben; vorzüglich hatte der so¬ genannte canale bianco seine Dämme durchbrochen und links und rechts groſse Verwüstungen angerichtet. Es arbeiteten oft mehrere hundert Mann an den Däm¬ men und werden Jahre arbeiten, ehe sie alles wieder in den alten Stand setzen. Hier sah man empörende Erscheinungen der Armuth in einem ziemlich geseg¬ neten Landstriche; und ich schreibe dieses auch mit dem Unheil zu, das die Flüsse und groſsen Kanäle hier sehr oft anrichten müssen. Da die Straſse ganz abscheulich war, lieſs ich mich bis Ponte di Lagos¬ curo auf dem Po hinauf rudern, und zahlte fünf Ru¬ derknechten für eine Strecke von drey Stunden die kleine Summe von zehn Liren. Der Po ist ein gro¬ ſses schönes majestätisches Wasser, und die heitere helle Abendsonne vergoldete seine Wellen und links und rechts die Ufer in weiter weiter Ferne. Es war, als ob ein Ozean herabrollte, und die Griechen haben

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/137
Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/137>, abgerufen am 27.11.2024.