nur etwas Brot schaffen könnte. Aber es war unmög¬ lich; man gab mir aus Gutmüthigkeit noch einige Bissen schlechte Polenta, und ich musste damit und mit meinem Schluk Wein weiter gehen.
Vor Rovigo setzte ich über die Etsch und trat in das Cisalpinische. Der Kaiserliche Offizier jenseit des Flusses, der meinen Pass mit aller Schwerfälligkeit der alten Bocksbeuteley sehr lange revidierte, machte mir bange, dass ich diesseits bey dem französischen Kommandanten wohl Schwierigkeiten finden würde. Als ich zu diesem kam, war alles gerade das Gegen¬ theil. Er war ein freundlicher jovialischer Mann, der mir den Pass, nach einem flüchtigen Blick auf mich und auf den Pass, ohne ihn zu unterschreiben, zu¬ rück gab. Ich machte ihm darüber meine Bemerkung, dass er nicht unterschriebe. Vous n' en aves pas be¬ soin; sagte er: Vous venes de l' autre cote? -- Je viens de Vienne, et je m' en vais par Ferrare a Anco¬ ne. -- N'importe; versetzte er; alles toujours. Bon voyage! Die Höflichkeit des Franzosen, die ich gegen die Nichthöflichkeit des Präsidenten in Wien und des Polizeyherrn in Venedig hielt, that mir sehr wohl. Rovigo war die erste eigentlich italiänische Stadt für mich; denn Triest und Venedig und die übrigen Oer¬ ter hatten alle noch so etwas Nordisches in ihrer Er¬ scheinung, dass es mir kaum einfiel, ich sey schon in Italien. Weder hier, noch in Lagoscuro, noch in Ferrara fragte man mich weiter nach Pässen, ob ich gleich überall starke französische Besatzungen fand. Vor meinem Fenster in Rovigo stand auf dem Platze der grosse Freyheitsbaum mit der Mütze auf der
nur etwas Brot schaffen könnte. Aber es war unmög¬ lich; man gab mir aus Gutmüthigkeit noch einige Bissen schlechte Polenta, und ich muſste damit und mit meinem Schluk Wein weiter gehen.
Vor Rovigo setzte ich über die Etsch und trat in das Cisalpinische. Der Kaiserliche Offizier jenseit des Flusses, der meinen Paſs mit aller Schwerfälligkeit der alten Bocksbeuteley sehr lange revidierte, machte mir bange, daſs ich dieſseits bey dem französischen Kommandanten wohl Schwierigkeiten finden würde. Als ich zu diesem kam, war alles gerade das Gegen¬ theil. Er war ein freundlicher jovialischer Mann, der mir den Paſs, nach einem flüchtigen Blick auf mich und auf den Paſs, ohne ihn zu unterschreiben, zu¬ rück gab. Ich machte ihm darüber meine Bemerkung, daſs er nicht unterschriebe. Vous n' en avés pas be¬ soin; sagte er: Vous venés de l' autre coté? — Je viens de Vienne, et je m' en vais par Ferrare à Anco¬ ne. — N'importe; versetzte er; allés toujours. Bon voyage! Die Höflichkeit des Franzosen, die ich gegen die Nichthöflichkeit des Präsidenten in Wien und des Polizeyherrn in Venedig hielt, that mir sehr wohl. Rovigo war die erste eigentlich italiänische Stadt für mich; denn Triest und Venedig und die übrigen Oer¬ ter hatten alle noch so etwas Nordisches in ihrer Er¬ scheinung, daſs es mir kaum einfiel, ich sey schon in Italien. Weder hier, noch in Lagoscuro, noch in Ferrara fragte man mich weiter nach Pässen, ob ich gleich überall starke französische Besatzungen fand. Vor meinem Fenster in Rovigo stand auf dem Platze der groſse Freyheitsbaum mit der Mütze auf der
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nur etwas Brot schaffen könnte. Aber es war unmög¬
lich; man gab mir aus Gutmüthigkeit noch einige
Bissen schlechte Polenta, und ich muſste damit und
mit meinem Schluk Wein weiter gehen.
Vor Rovigo setzte ich über die Etsch und trat in
das Cisalpinische. Der Kaiserliche Offizier jenseit des
Flusses, der meinen Paſs mit aller Schwerfälligkeit
der alten Bocksbeuteley sehr lange revidierte, machte
mir bange, daſs ich dieſseits bey dem französischen
Kommandanten wohl Schwierigkeiten finden würde.
Als ich zu diesem kam, war alles gerade das Gegen¬
theil. Er war ein freundlicher jovialischer Mann, der
mir den Paſs, nach einem flüchtigen Blick auf mich
und auf den Paſs, ohne ihn zu unterschreiben, zu¬
rück gab. Ich machte ihm darüber meine Bemerkung,
daſs er nicht unterschriebe. Vous n' en avés pas be¬
soin; sagte er: Vous venés de l' autre coté? — Je
viens de Vienne, et je m' en vais par Ferrare à Anco¬
ne. — N'importe; versetzte er; allés toujours. Bon
voyage! Die Höflichkeit des Franzosen, die ich gegen
die Nichthöflichkeit des Präsidenten in Wien und des
Polizeyherrn in Venedig hielt, that mir sehr wohl.
Rovigo war die erste eigentlich italiänische Stadt für
mich; denn Triest und Venedig und die übrigen Oer¬
ter hatten alle noch so etwas Nordisches in ihrer Er¬
scheinung, daſs es mir kaum einfiel, ich sey schon
in Italien. Weder hier, noch in Lagoscuro, noch in
Ferrara fragte man mich weiter nach Pässen, ob ich
gleich überall starke französische Besatzungen fand.
Vor meinem Fenster in Rovigo stand auf dem Platze
der groſse Freyheitsbaum mit der Mütze auf der
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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/136>, abgerufen am 27.11.2024.
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