und ungebührlich mit seiner geliebten Schönen um; und nun ist er selbst an der Apoplexie gestorben, und ein Fremder nimmt sich kaum mehr Mühe sei¬ nen Bucentaur zu besehen. Venedig wird nun nach und nach von der Kapitale eines eigenen Staats zur Guvernementsstadt eines fremden Reichs sich modifi¬ cieren müssen; und desto besser für den Ort, wenn dieses sanft, von der einen Seite mit Schonung und von der andern mit gehöriger Resignation geschieht.
Gestern ging ich nach meinem Passe, der auf der Polizey gelegen hatte und dort unterschrieben werden musste. Ich bin überhaupt kein grosser Wälscher, und der zischende Dialekt der Venetianer ist mir gar nicht geläufig. Ich konnte in der Kanzley mit dem Ausfer¬ tiger nicht gut fertig werden, und man wies mich in ein anderes Zimmer an einen andern Herrn, der fremde Zungen reden sollte. In der Meinung, er würde unter einem deutschen Monarchen auch wohl deutsch sprechen, sprach ich Deutscher deutsch. Non son asino ferino, antwortete der feine Mann, per rug¬ gire tedesco. Das waren, glaubte ich, seine Worte, die freylich eine grelle Ausnahme von der venetiani¬ schen Höflichkeit machten. Die Anwesenden lachten über den Witz, und ich, um zu zeigen dass ich wider sein Vermuthen wenigstens seine Galanterie verstan¬ den hatte, sagte ziemlich mürrisch: Mais pourtant, Monsieur, il est a croire qu'il y quelqu'un ici, qui sache la langue de votre Souverain. Das machte den Herrn etwas verblüfft; er fuhr ganz höflich französisch fort sich zu erkundigen, sagte mir, dass mein Pass aus¬ gefertiget sey, und in drey Minuten war ich fort. Ich
und ungebührlich mit seiner geliebten Schönen um; und nun ist er selbst an der Apoplexie gestorben, und ein Fremder nimmt sich kaum mehr Mühe sei¬ nen Bucentaur zu besehen. Venedig wird nun nach und nach von der Kapitale eines eigenen Staats zur Guvernementsstadt eines fremden Reichs sich modifi¬ cieren müssen; und desto besser für den Ort, wenn dieses sanft, von der einen Seite mit Schonung und von der andern mit gehöriger Resignation geschieht.
Gestern ging ich nach meinem Passe, der auf der Polizey gelegen hatte und dort unterschrieben werden muſste. Ich bin überhaupt kein groſser Wälscher, und der zischende Dialekt der Venetianer ist mir gar nicht geläufig. Ich konnte in der Kanzley mit dem Ausfer¬ tiger nicht gut fertig werden, und man wies mich in ein anderes Zimmer an einen andern Herrn, der fremde Zungen reden sollte. In der Meinung, er würde unter einem deutschen Monarchen auch wohl deutsch sprechen, sprach ich Deutscher deutsch. Non son asino ferino, antwortete der feine Mann, per rug¬ gire tedesco. Das waren, glaubte ich, seine Worte, die freylich eine grelle Ausnahme von der venetiani¬ schen Höflichkeit machten. Die Anwesenden lachten über den Witz, und ich, um zu zeigen daſs ich wider sein Vermuthen wenigstens seine Galanterie verstan¬ den hatte, sagte ziemlich mürrisch: Mais pourtant, Monsieur, il est à croire qu'il y quelqu'un ici, qui sache la langue de votre Souverain. Das machte den Herrn etwas verblüfft; er fuhr ganz höflich französisch fort sich zu erkundigen, sagte mir, daſs mein Paſs aus¬ gefertiget sey, und in drey Minuten war ich fort. Ich
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und ungebührlich mit seiner geliebten Schönen um;
und nun ist er selbst an der Apoplexie gestorben, und
ein Fremder nimmt sich kaum mehr Mühe sei¬
nen Bucentaur zu besehen. Venedig wird nun nach
und nach von der Kapitale eines eigenen Staats zur
Guvernementsstadt eines fremden Reichs sich modifi¬
cieren müssen; und desto besser für den Ort, wenn
dieses sanft, von der einen Seite mit Schonung und
von der andern mit gehöriger Resignation geschieht.
Gestern ging ich nach meinem Passe, der auf der
Polizey gelegen hatte und dort unterschrieben werden
muſste. Ich bin überhaupt kein groſser Wälscher, und
der zischende Dialekt der Venetianer ist mir gar nicht
geläufig. Ich konnte in der Kanzley mit dem Ausfer¬
tiger nicht gut fertig werden, und man wies mich in
ein anderes Zimmer an einen andern Herrn, der
fremde Zungen reden sollte. In der Meinung, er
würde unter einem deutschen Monarchen auch wohl
deutsch sprechen, sprach ich Deutscher deutsch. Non
son asino ferino, antwortete der feine Mann, per rug¬
gire tedesco. Das waren, glaubte ich, seine Worte,
die freylich eine grelle Ausnahme von der venetiani¬
schen Höflichkeit machten. Die Anwesenden lachten
über den Witz, und ich, um zu zeigen daſs ich wider
sein Vermuthen wenigstens seine Galanterie verstan¬
den hatte, sagte ziemlich mürrisch: Mais pourtant,
Monsieur, il est à croire qu'il y quelqu'un ici, qui
sache la langue de votre Souverain. Das machte den
Herrn etwas verblüfft; er fuhr ganz höflich französisch
fort sich zu erkundigen, sagte mir, daſs mein Paſs aus¬
gefertiget sey, und in drey Minuten war ich fort. Ich
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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 203 . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/129>, abgerufen am 27.11.2024.
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