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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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human zu Werke ginge. Das Militär und überhaupt
die Bevölkerung zeigt sich meistens nur auf dem
Markusplatze, am Hafen, am Rialto und am Zeug¬
hause; die übrigen Gegenden der Stadt sind ziemlich
leer. Wenn man diese Parthien gesehen hat und ei¬
nige Mahl den grossen Kanal auf und abgefahren ist,
hat Venedig vielleicht auch nicht viel Merkwürdiges
mehr; man müsste denn gern Kirchen besuchen, die
hier wirklich sehr schön sind.

Das Traurigste ist in Venedig die Armuth und
Betteley. Man kann nicht zehn Schritte gehen, ohne
in den schneidendsten Ausdrücken um Mitleid ange¬
fleht zu werden; und der Anblick des Elends unter¬
stützt das Nothgeschrey des Jammers. Um alles in der
Welt möchte ich jetzt nicht Beherrscher von Venedig
seyn; ich würde unter der Last meiner Gefühle erlie¬
gen. Schon Küttner hat viele Beyspiele erzählt, und
ich habe die Bestätigung stündlich gesehen. Die nie¬
derschlagendste Empfindung ist mir gewesen. Frauen
von guter Familie in tiefen, schwarzen, undurchdring¬
lichen Schleyern kniend vor den Kirchenthüren zu
finden, wie sie, die Hände gefaltet auf die Brust ge¬
legt, ein kleines hölzernes Gefäss vor sich stehen ha¬
ben, in welches die vorübergehenden einige Soldi
werfen. Wenn ich länger in Venedig bliebe, müsste
ich nothwendig mit meiner Börse oder mit meiner
Empfindung Bankerott machen.

Drollig genug sind die gewöhnlichen Improvisato¬
ren und Deklamatoren auf dem Markusplatze und am
Hafen, die einen Kreis um sich her schliessen lassen
und für eine Kleinigkeit irgend eine berühmte Stelle

human zu Werke ginge. Das Militär und überhaupt
die Bevölkerung zeigt sich meistens nur auf dem
Markusplatze, am Hafen, am Rialto und am Zeug¬
hause; die übrigen Gegenden der Stadt sind ziemlich
leer. Wenn man diese Parthien gesehen hat und ei¬
nige Mahl den groſsen Kanal auf und abgefahren ist,
hat Venedig vielleicht auch nicht viel Merkwürdiges
mehr; man müſste denn gern Kirchen besuchen, die
hier wirklich sehr schön sind.

Das Traurigste ist in Venedig die Armuth und
Betteley. Man kann nicht zehn Schritte gehen, ohne
in den schneidendsten Ausdrücken um Mitleid ange¬
fleht zu werden; und der Anblick des Elends unter¬
stützt das Nothgeschrey des Jammers. Um alles in der
Welt möchte ich jetzt nicht Beherrscher von Venedig
seyn; ich würde unter der Last meiner Gefühle erlie¬
gen. Schon Küttner hat viele Beyspiele erzählt, und
ich habe die Bestätigung stündlich gesehen. Die nie¬
derschlagendste Empfindung ist mir gewesen. Frauen
von guter Familie in tiefen, schwarzen, undurchdring¬
lichen Schleyern kniend vor den Kirchenthüren zu
finden, wie sie, die Hände gefaltet auf die Brust ge¬
legt, ein kleines hölzernes Gefäſs vor sich stehen ha¬
ben, in welches die vorübergehenden einige Soldi
werfen. Wenn ich länger in Venedig bliebe, müſste
ich nothwendig mit meiner Börse oder mit meiner
Empfindung Bankerott machen.

Drollig genug sind die gewöhnlichen Improvisato¬
ren und Deklamatoren auf dem Markusplatze und am
Hafen, die einen Kreis um sich her schlieſsen lassen
und für eine Kleinigkeit irgend eine berühmte Stelle

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[96/0122] human zu Werke ginge. Das Militär und überhaupt die Bevölkerung zeigt sich meistens nur auf dem Markusplatze, am Hafen, am Rialto und am Zeug¬ hause; die übrigen Gegenden der Stadt sind ziemlich leer. Wenn man diese Parthien gesehen hat und ei¬ nige Mahl den groſsen Kanal auf und abgefahren ist, hat Venedig vielleicht auch nicht viel Merkwürdiges mehr; man müſste denn gern Kirchen besuchen, die hier wirklich sehr schön sind. Das Traurigste ist in Venedig die Armuth und Betteley. Man kann nicht zehn Schritte gehen, ohne in den schneidendsten Ausdrücken um Mitleid ange¬ fleht zu werden; und der Anblick des Elends unter¬ stützt das Nothgeschrey des Jammers. Um alles in der Welt möchte ich jetzt nicht Beherrscher von Venedig seyn; ich würde unter der Last meiner Gefühle erlie¬ gen. Schon Küttner hat viele Beyspiele erzählt, und ich habe die Bestätigung stündlich gesehen. Die nie¬ derschlagendste Empfindung ist mir gewesen. Frauen von guter Familie in tiefen, schwarzen, undurchdring¬ lichen Schleyern kniend vor den Kirchenthüren zu finden, wie sie, die Hände gefaltet auf die Brust ge¬ legt, ein kleines hölzernes Gefäſs vor sich stehen ha¬ ben, in welches die vorübergehenden einige Soldi werfen. Wenn ich länger in Venedig bliebe, müſste ich nothwendig mit meiner Börse oder mit meiner Empfindung Bankerott machen. Drollig genug sind die gewöhnlichen Improvisato¬ ren und Deklamatoren auf dem Markusplatze und am Hafen, die einen Kreis um sich her schlieſsen lassen und für eine Kleinigkeit irgend eine berühmte Stelle

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/122>, abgerufen am 26.11.2024.