ist heute am drey und zwanzigsten Januar, so warm, dass überall Thüren und Fenster offen stehen.
Der erste Anblick der Stadt Triest von oben her¬ ab ist überraschend, der Weg herunter ist angenehm genug, der Aufenthalt auf einige Zeit muss viel Ver¬ gnügen gewähren; aber in die Länge möchte ich nicht hier wohnen. Die Lage des Orts ist bekannt, und fängt nun an ein Amphitheater am Meerbusen zu bil¬ den. Die Berge sind zu hoch und zu kahl um ange¬ nehm zu seyn; und zu Lande ist Triest von aller an¬ genehmen Verbindung abgeschnitten. Desto leichter geht alles zu Wasser. Der Hafen ist ziemlich flach, und nur für kleine Fahrzeuge: die grössern und alle Kriegsschiffe müssen in ziemlicher Entfernung auf der Rehde bleiben, die nicht ganz sicher zu seyn scheint. Die See ist hier geduldig und man kann ihr noch sehr viel abtrotzen, wenn man von den Bergen herab in sie hinein arbeitet, und so nach und nach den Hafen vielleicht auch für grosse Schiffe anfahrbar macht.
An den Bergen rund herum hat man hinauf und herab terrassiert und dadurch ziemlich schöne Wein¬ gärten angelegt. Die Triester halten viel auf ihren Wein; ich kann darüber nicht urtheilen, und in mei¬ nem Gasthause giebt man gewöhnlich nur fremden. Die etwas höhere Altstadt am Kastell ist enge und finster. Die neue Stadt ist schon fast ganz der See abgewonnen. Ob hier das alte Tergeste gestanden hat, mögen die Antiquare ausmachen. Ich wohne in dem so genannten grossen Gasthofe, einem Hause von ge¬ waltigem Umfange und dem nehmlichen, worin Win¬ kelmann von seinem meuchlerischen Bedienten ermor¬
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ist heute am drey und zwanzigsten Januar, so warm, daſs überall Thüren und Fenster offen stehen.
Der erste Anblick der Stadt Triest von oben her¬ ab ist überraschend, der Weg herunter ist angenehm genug, der Aufenthalt auf einige Zeit muſs viel Ver¬ gnügen gewähren; aber in die Länge möchte ich nicht hier wohnen. Die Lage des Orts ist bekannt, und fängt nun an ein Amphitheater am Meerbusen zu bil¬ den. Die Berge sind zu hoch und zu kahl um ange¬ nehm zu seyn; und zu Lande ist Triest von aller an¬ genehmen Verbindung abgeschnitten. Desto leichter geht alles zu Wasser. Der Hafen ist ziemlich flach, und nur für kleine Fahrzeuge: die gröſsern und alle Kriegsschiffe müssen in ziemlicher Entfernung auf der Rehde bleiben, die nicht ganz sicher zu seyn scheint. Die See ist hier geduldig und man kann ihr noch sehr viel abtrotzen, wenn man von den Bergen herab in sie hinein arbeitet, und so nach und nach den Hafen vielleicht auch für groſse Schiffe anfahrbar macht.
An den Bergen rund herum hat man hinauf und herab terrassiert und dadurch ziemlich schöne Wein¬ gärten angelegt. Die Triester halten viel auf ihren Wein; ich kann darüber nicht urtheilen, und in mei¬ nem Gasthause giebt man gewöhnlich nur fremden. Die etwas höhere Altstadt am Kastell ist enge und finster. Die neue Stadt ist schon fast ganz der See abgewonnen. Ob hier das alte Tergeste gestanden hat, mögen die Antiquare ausmachen. Ich wohne in dem so genannten groſsen Gasthofe, einem Hause von ge¬ waltigem Umfange und dem nehmlichen, worin Win¬ kelmann von seinem meuchlerischen Bedienten ermor¬
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ist heute am drey und zwanzigsten Januar, so warm,
daſs überall Thüren und Fenster offen stehen.
Der erste Anblick der Stadt Triest von oben her¬
ab ist überraschend, der Weg herunter ist angenehm
genug, der Aufenthalt auf einige Zeit muſs viel Ver¬
gnügen gewähren; aber in die Länge möchte ich nicht
hier wohnen. Die Lage des Orts ist bekannt, und
fängt nun an ein Amphitheater am Meerbusen zu bil¬
den. Die Berge sind zu hoch und zu kahl um ange¬
nehm zu seyn; und zu Lande ist Triest von aller an¬
genehmen Verbindung abgeschnitten. Desto leichter
geht alles zu Wasser. Der Hafen ist ziemlich flach,
und nur für kleine Fahrzeuge: die gröſsern und alle
Kriegsschiffe müssen in ziemlicher Entfernung auf der
Rehde bleiben, die nicht ganz sicher zu seyn scheint.
Die See ist hier geduldig und man kann ihr noch sehr
viel abtrotzen, wenn man von den Bergen herab in
sie hinein arbeitet, und so nach und nach den Hafen
vielleicht auch für groſse Schiffe anfahrbar macht.
An den Bergen rund herum hat man hinauf und
herab terrassiert und dadurch ziemlich schöne Wein¬
gärten angelegt. Die Triester halten viel auf ihren
Wein; ich kann darüber nicht urtheilen, und in mei¬
nem Gasthause giebt man gewöhnlich nur fremden.
Die etwas höhere Altstadt am Kastell ist enge und
finster. Die neue Stadt ist schon fast ganz der See
abgewonnen. Ob hier das alte Tergeste gestanden hat,
mögen die Antiquare ausmachen. Ich wohne in dem
so genannten groſsen Gasthofe, einem Hause von ge¬
waltigem Umfange und dem nehmlichen, worin Win¬
kelmann von seinem meuchlerischen Bedienten ermor¬
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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/107>, abgerufen am 24.11.2024.
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