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Semper, Karl: Die Philippinen und ihre Bewohner. Sechs Skizzen. Würzburg, 1869.

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Familie seiner Geliebten Dienste thun muss. Vor Allem aber blieb das Verhältniss der einzelnen Ortschaften zu einander gänzlich unverändert. Kein gemeinsames Band der Selbstverwaltung oder gleichartiger politischer Interessen vereinigte sie untereinander und wenn sie dem überkommenen Hass gegeneinander nicht mehr, wie früher unter der Herrschaft der baganis, durch Kriege Ausdruck zu geben versuchten, so hielt sie davon gewiss nicht Friedensliebe oder das Gefühl der Stammesverwandtschaft zurück, sondern nur ihre Feigheit und die Ueberzeugung, dass hinter den zum Frieden ermahnenden Pfarrern schliesslich doch die gefürchtete Macht der spanischen Waffen stand. Wo die Dörfer sich dem Arme der höchsten Autorität entrückt wähnten, wurde das alte Spiel des kleinen Krieges fortgeführt. So haben die Bewohner der beiden auf der Insel Siargao bei Surigao liegenden Dörfer Dapa und Cabuntug noch in der Mitte dieses Jahrhunderts offene Fehde miteinander geführt und noch heutigen Tages besuchen sie sich gegenseitig nur ungerne, weil sie Vergiftung durch ihre alten Feinde fürchten. Nur im Norden Luzon's und auf den Visaya's etwa in jenen Provinzen, in denen eine starke Mestizenbevölkerung gefunden wird, wie in Iloilo, hat sich ein gewisser Provinz-Patriotismus ausgebildet, der in den früher nicht seltenen Reibereien zwischen den aus verschiedenen Provinzen genommenen Soldaten eines Regimentes seinen Ausdruck fand. Keine gemeinsamen politischen Volksinteressen verbinden die Colonie mit dem, nur uneigentlich sogenannten Mutterlande.

Ebensowenig wie in der politischen Sphäre hat der christliche Spanier sonst in geistiger Beziehung grossen Einfluss auf den Charakter der Bewohner zu gewinnen gewusst. Der Volksunterricht lag von jeher und liegt auch jetzt noch, in den Provinzen sowohl wie in der Metropole, gänzlich in den Händen der Priester. Mit Ausnahme der Professoren für Völkerrecht und römisches Recht sind alle Lehrstühle der Universität von Santo Tomas in Manila in Händen der Priester, welche natürlich nicht blos die theologischen Vorträge, sondern auch die über Metaphysik, Physik und Logik nach den Grundsätzen der katholischen Kirche einrichten müssen. In den Provinzen hat jedes Dorf allerdings seine öffentliche Schule, in welcher der Unterricht obligatorisch ist; aber ausser Lesen und Schreiben wird hier nur noch

Familie seiner Geliebten Dienste thun muss. Vor Allem aber blieb das Verhältniss der einzelnen Ortschaften zu einander gänzlich unverändert. Kein gemeinsames Band der Selbstverwaltung oder gleichartiger politischer Interessen vereinigte sie untereinander und wenn sie dem überkommenen Hass gegeneinander nicht mehr, wie früher unter der Herrschaft der baganis, durch Kriege Ausdruck zu geben versuchten, so hielt sie davon gewiss nicht Friedensliebe oder das Gefühl der Stammesverwandtschaft zurück, sondern nur ihre Feigheit und die Ueberzeugung, dass hinter den zum Frieden ermahnenden Pfarrern schliesslich doch die gefürchtete Macht der spanischen Waffen stand. Wo die Dörfer sich dem Arme der höchsten Autorität entrückt wähnten, wurde das alte Spiel des kleinen Krieges fortgeführt. So haben die Bewohner der beiden auf der Insel Siargao bei Surigao liegenden Dörfer Dapa und Cabuntug noch in der Mitte dieses Jahrhunderts offene Fehde miteinander geführt und noch heutigen Tages besuchen sie sich gegenseitig nur ungerne, weil sie Vergiftung durch ihre alten Feinde fürchten. Nur im Norden Luzon’s und auf den Visaya’s etwa in jenen Provinzen, in denen eine starke Mestizenbevölkerung gefunden wird, wie in Iloilo, hat sich ein gewisser Provinz-Patriotismus ausgebildet, der in den früher nicht seltenen Reibereien zwischen den aus verschiedenen Provinzen genommenen Soldaten eines Regimentes seinen Ausdruck fand. Keine gemeinsamen politischen Volksinteressen verbinden die Colonie mit dem, nur uneigentlich sogenannten Mutterlande.

Ebensowenig wie in der politischen Sphäre hat der christliche Spanier sonst in geistiger Beziehung grossen Einfluss auf den Charakter der Bewohner zu gewinnen gewusst. Der Volksunterricht lag von jeher und liegt auch jetzt noch, in den Provinzen sowohl wie in der Metropole, gänzlich in den Händen der Priester. Mit Ausnahme der Professoren für Völkerrecht und römisches Recht sind alle Lehrstühle der Universität von Santo Tomas in Manila in Händen der Priester, welche natürlich nicht blos die theologischen Vorträge, sondern auch die über Metaphysik, Physik und Logik nach den Grundsätzen der katholischen Kirche einrichten müssen. In den Provinzen hat jedes Dorf allerdings seine öffentliche Schule, in welcher der Unterricht obligatorisch ist; aber ausser Lesen und Schreiben wird hier nur noch

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[83/0083] Familie seiner Geliebten Dienste thun muss. Vor Allem aber blieb das Verhältniss der einzelnen Ortschaften zu einander gänzlich unverändert. Kein gemeinsames Band der Selbstverwaltung oder gleichartiger politischer Interessen vereinigte sie untereinander und wenn sie dem überkommenen Hass gegeneinander nicht mehr, wie früher unter der Herrschaft der baganis, durch Kriege Ausdruck zu geben versuchten, so hielt sie davon gewiss nicht Friedensliebe oder das Gefühl der Stammesverwandtschaft zurück, sondern nur ihre Feigheit und die Ueberzeugung, dass hinter den zum Frieden ermahnenden Pfarrern schliesslich doch die gefürchtete Macht der spanischen Waffen stand. Wo die Dörfer sich dem Arme der höchsten Autorität entrückt wähnten, wurde das alte Spiel des kleinen Krieges fortgeführt. So haben die Bewohner der beiden auf der Insel Siargao bei Surigao liegenden Dörfer Dapa und Cabuntug noch in der Mitte dieses Jahrhunderts offene Fehde miteinander geführt und noch heutigen Tages besuchen sie sich gegenseitig nur ungerne, weil sie Vergiftung durch ihre alten Feinde fürchten. Nur im Norden Luzon’s und auf den Visaya’s etwa in jenen Provinzen, in denen eine starke Mestizenbevölkerung gefunden wird, wie in Iloilo, hat sich ein gewisser Provinz-Patriotismus ausgebildet, der in den früher nicht seltenen Reibereien zwischen den aus verschiedenen Provinzen genommenen Soldaten eines Regimentes seinen Ausdruck fand. Keine gemeinsamen politischen Volksinteressen verbinden die Colonie mit dem, nur uneigentlich sogenannten Mutterlande. Ebensowenig wie in der politischen Sphäre hat der christliche Spanier sonst in geistiger Beziehung grossen Einfluss auf den Charakter der Bewohner zu gewinnen gewusst. Der Volksunterricht lag von jeher und liegt auch jetzt noch, in den Provinzen sowohl wie in der Metropole, gänzlich in den Händen der Priester. Mit Ausnahme der Professoren für Völkerrecht und römisches Recht sind alle Lehrstühle der Universität von Santo Tomas in Manila in Händen der Priester, welche natürlich nicht blos die theologischen Vorträge, sondern auch die über Metaphysik, Physik und Logik nach den Grundsätzen der katholischen Kirche einrichten müssen. In den Provinzen hat jedes Dorf allerdings seine öffentliche Schule, in welcher der Unterricht obligatorisch ist; aber ausser Lesen und Schreiben wird hier nur noch

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Zitationshilfe: Semper, Karl: Die Philippinen und ihre Bewohner. Sechs Skizzen. Würzburg, 1869, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semper_philippinen_1869/83>, abgerufen am 22.11.2024.