Der Grund der grösseren Gefährlichkeit der Ausländer in Ver- gleich zu den Inländern liegt in folgenden Verhältnissen.
Die Ausländer kommen nach Wien, um sich in ihrer schon an einer andern Hochschule erlangten medicinischen Ausbildung zu vervollkommnen. Sie besuchen die pathologi- schen und gerichtlichen Sectionen im allgemeinen Kranken- hause, sie nehmen Curse über pathologische Anatomie, über chirurgische, geburtshilfliche, oculistische Operationslehre am Cadaver, sie besuchen die medicinisch-chirurgischen Kran- kenabtheilungen etc., mit einem Worte, sie benutzen ihre Zeit so nützlich und lehrreich wie möglich, haben aber dadurch vielfältig Gelegenheit, sich ihre Hände mit faulen, thierisch- organischen Stoffen zu verunreinigen, und es ist daher nicht zu wundern, wenn die Ausländer, gleichzeitig im Gebärhause beschäftigt, für die dort befindlichen Individuen gefährlich werden. Die Inländer pflegen den praktisch-geburtshilflichen Curs nach abgelegten zwei strengen Prüfungen zur Erlangung des Grades eines Medicinae-Doctors zu besuchen. Das Gesetz gestattet als kürzesten Termin zur Vorbereitung für diese Prüfungen sechs Monate, die Inländer haben sich daher vor ihrer Aufnahme in's Gebärhaus schon viel geplagt, sie be- trachten die Zeit des geburtshilflichen Curses mehr als Ruhe- zeit, sie beschäftigen sicht nicht, während sie auf dem prak- tischen Curse im Gebärhause sind, in dieser Ausdehnung mit andern Gegenständen, durch welche sie Gelegenheit hätten, sich die Hände zu verunreinigen, wie die Ausländer, und zwar beschäftigen sie sich während ihres Aufenthaltes im Gebär- hause um so weniger mit anderen Fächern der Medicin, als ihnen ja nach beendetem praktischen Curse der Geburtshilfe Gelegenheit geboten ist, sich in der Medicin so vollkommen auszubilden, wie es eben die Anstalten der Wiener Hoch- schule ermöglichen. Die Ausländer sind gezwungen, da ihr Aufenthalt in Wien in der Regel nur mehrere Monate dauert, sich gleichzeitig mit mehreren Fächern der Medicin zu be- schäftigen. Daraus kann man aber den Ausländern eben so
Der Grund der grösseren Gefährlichkeit der Ausländer in Ver- gleich zu den Inländern liegt in folgenden Verhältnissen.
Die Ausländer kommen nach Wien, um sich in ihrer schon an einer andern Hochschule erlangten medicinischen Ausbildung zu vervollkommnen. Sie besuchen die pathologi- schen und gerichtlichen Sectionen im allgemeinen Kranken- hause, sie nehmen Curse über pathologische Anatomie, über chirurgische, geburtshilfliche, oculistische Operationslehre am Cadaver, sie besuchen die medicinisch-chirurgischen Kran- kenabtheilungen etc., mit einem Worte, sie benutzen ihre Zeit so nützlich und lehrreich wie möglich, haben aber dadurch vielfältig Gelegenheit, sich ihre Hände mit faulen, thierisch- organischen Stoffen zu verunreinigen, und es ist daher nicht zu wundern, wenn die Ausländer, gleichzeitig im Gebärhause beschäftigt, für die dort befindlichen Individuen gefährlich werden. Die Inländer pflegen den praktisch-geburtshilflichen Curs nach abgelegten zwei strengen Prüfungen zur Erlangung des Grades eines Medicinae-Doctors zu besuchen. Das Gesetz gestattet als kürzesten Termin zur Vorbereitung für diese Prüfungen sechs Monate, die Inländer haben sich daher vor ihrer Aufnahme in’s Gebärhaus schon viel geplagt, sie be- trachten die Zeit des geburtshilflichen Curses mehr als Ruhe- zeit, sie beschäftigen sicht nicht, während sie auf dem prak- tischen Curse im Gebärhause sind, in dieser Ausdehnung mit andern Gegenständen, durch welche sie Gelegenheit hätten, sich die Hände zu verunreinigen, wie die Ausländer, und zwar beschäftigen sie sich während ihres Aufenthaltes im Gebär- hause um so weniger mit anderen Fächern der Medicin, als ihnen ja nach beendetem praktischen Curse der Geburtshilfe Gelegenheit geboten ist, sich in der Medicin so vollkommen auszubilden, wie es eben die Anstalten der Wiener Hoch- schule ermöglichen. Die Ausländer sind gezwungen, da ihr Aufenthalt in Wien in der Regel nur mehrere Monate dauert, sich gleichzeitig mit mehreren Fächern der Medicin zu be- schäftigen. Daraus kann man aber den Ausländern eben so
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Der Grund der grösseren Gefährlichkeit der Ausländer in Ver-
gleich zu den Inländern liegt in folgenden Verhältnissen.
Die Ausländer kommen nach Wien, um sich in ihrer
schon an einer andern Hochschule erlangten medicinischen
Ausbildung zu vervollkommnen. Sie besuchen die pathologi-
schen und gerichtlichen Sectionen im allgemeinen Kranken-
hause, sie nehmen Curse über pathologische Anatomie, über
chirurgische, geburtshilfliche, oculistische Operationslehre
am Cadaver, sie besuchen die medicinisch-chirurgischen Kran-
kenabtheilungen etc., mit einem Worte, sie benutzen ihre Zeit
so nützlich und lehrreich wie möglich, haben aber dadurch
vielfältig Gelegenheit, sich ihre Hände mit faulen, thierisch-
organischen Stoffen zu verunreinigen, und es ist daher nicht
zu wundern, wenn die Ausländer, gleichzeitig im Gebärhause
beschäftigt, für die dort befindlichen Individuen gefährlich
werden. Die Inländer pflegen den praktisch-geburtshilflichen
Curs nach abgelegten zwei strengen Prüfungen zur Erlangung
des Grades eines Medicinae-Doctors zu besuchen. Das Gesetz
gestattet als kürzesten Termin zur Vorbereitung für diese
Prüfungen sechs Monate, die Inländer haben sich daher vor
ihrer Aufnahme in’s Gebärhaus schon viel geplagt, sie be-
trachten die Zeit des geburtshilflichen Curses mehr als Ruhe-
zeit, sie beschäftigen sicht nicht, während sie auf dem prak-
tischen Curse im Gebärhause sind, in dieser Ausdehnung mit
andern Gegenständen, durch welche sie Gelegenheit hätten,
sich die Hände zu verunreinigen, wie die Ausländer, und zwar
beschäftigen sie sich während ihres Aufenthaltes im Gebär-
hause um so weniger mit anderen Fächern der Medicin, als
ihnen ja nach beendetem praktischen Curse der Geburtshilfe
Gelegenheit geboten ist, sich in der Medicin so vollkommen
auszubilden, wie es eben die Anstalten der Wiener Hoch-
schule ermöglichen. Die Ausländer sind gezwungen, da ihr
Aufenthalt in Wien in der Regel nur mehrere Monate dauert,
sich gleichzeitig mit mehreren Fächern der Medicin zu be-
schäftigen. Daraus kann man aber den Ausländern eben so
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Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/87>, abgerufen am 25.11.2024.
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