dem Leichenbefunde bei Kolletschka antrafen wie bei den Wöchnerinnen, so ist der Schluss, dass Kolletschka an der- selben Krankheit gestorben, an welcher ich so viele hundert Wöchnerinnen sterben sah, ebenfalls ein berechtigter. Die veranlassende Ursache der Krankheit bei Professor Kol- letschka war bekannt, nämlich es wurde die Wunde, welche ihm mit dem Sectionsmesser beigebracht wurde, gleichzeitig mit Cadavertheilen verunreiniget. Nicht die Wunde, sondern das Verunreinigtwerden der Wunde durch Cadavertheile hat den Tod herbeigeführt. Kolletschka ist ja nicht der Erste, der auf diese Weise gestorben. Ich musste anerkennen: wenn die Voraussetzung, dass die Krankheit Kolletschka's und die Krankheit, an welcher ich so viele Wöchnerinnen sterben sah, identisch seien, so müsse sie bei den Wöchnerinnen durch die- selbe erzeugende Ursache, durch welche erzeugende Ursache sie bei Kolletschka hervorgebracht wurde, erzeugt werden. Bei Kolletschka waren die erzeugende Ursache Cadaver- theile, welche ihm in's Gefässsystem gebracht wurden. Ich musste mir die Frage aufwerfen: Werden denn den Indivi- duen, welche ich an einer identischen Krankheit sterben sah, auch Cadavertheile in das Gefässsystem eingebracht? Auf diese Frage musste ich mit Ja antworten.
Bei der anatomischen Richtung der Wiener medicini- schen Schule haben die Professoren, Assistenten und Schüler häufig Gelegenheit, mit Leichen in Berührung zu kommen. Dass nach der gewöhnlichen Art des Waschens der Hände mit Seife die an der Hand klebenden Cadavertheile nicht sämmtlich entfernt werden, beweist der cadaveröse Geruch, welchen die Hand für längere oder kürzere Zeit behält. Bei der Untersuchung der Schwangeren, Kreissenden und Wöch- nerinnen wird die mit Cadavertheilen verunreinigte Hand mit den Genitalien dieser Individuen in Berührung gebracht, da- durch werden die Genitalien dieser Individuen mit Cadaver- theilen in Berührung gebracht, dadurch die Möglichkeit der Re- sorption, und mittelst Resorption Einbringung von Cadaver-
dem Leichenbefunde bei Kolletschka antrafen wie bei den Wöchnerinnen, so ist der Schluss, dass Kolletschka an der- selben Krankheit gestorben, an welcher ich so viele hundert Wöchnerinnen sterben sah, ebenfalls ein berechtigter. Die veranlassende Ursache der Krankheit bei Professor Kol- letschka war bekannt, nämlich es wurde die Wunde, welche ihm mit dem Sectionsmesser beigebracht wurde, gleichzeitig mit Cadavertheilen verunreiniget. Nicht die Wunde, sondern das Verunreinigtwerden der Wunde durch Cadavertheile hat den Tod herbeigeführt. Kolletschka ist ja nicht der Erste, der auf diese Weise gestorben. Ich musste anerkennen: wenn die Voraussetzung, dass die Krankheit Kolletschka’s und die Krankheit, an welcher ich so viele Wöchnerinnen sterben sah, identisch seien, so müsse sie bei den Wöchnerinnen durch die- selbe erzeugende Ursache, durch welche erzeugende Ursache sie bei Kolletschka hervorgebracht wurde, erzeugt werden. Bei Kolletschka waren die erzeugende Ursache Cadaver- theile, welche ihm in’s Gefässsystem gebracht wurden. Ich musste mir die Frage aufwerfen: Werden denn den Indivi- duen, welche ich an einer identischen Krankheit sterben sah, auch Cadavertheile in das Gefässsystem eingebracht? Auf diese Frage musste ich mit Ja antworten.
Bei der anatomischen Richtung der Wiener medicini- schen Schule haben die Professoren, Assistenten und Schüler häufig Gelegenheit, mit Leichen in Berührung zu kommen. Dass nach der gewöhnlichen Art des Waschens der Hände mit Seife die an der Hand klebenden Cadavertheile nicht sämmtlich entfernt werden, beweist der cadaveröse Geruch, welchen die Hand für längere oder kürzere Zeit behält. Bei der Untersuchung der Schwangeren, Kreissenden und Wöch- nerinnen wird die mit Cadavertheilen verunreinigte Hand mit den Genitalien dieser Individuen in Berührung gebracht, da- durch werden die Genitalien dieser Individuen mit Cadaver- theilen in Berührung gebracht, dadurch die Möglichkeit der Re- sorption, und mittelst Resorption Einbringung von Cadaver-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0066"n="54"/>
dem Leichenbefunde bei <hirendition="#g">Kolletschka</hi> antrafen wie bei den<lb/>
Wöchnerinnen, so ist der Schluss, dass <hirendition="#g">Kolletschka</hi> an der-<lb/>
selben Krankheit gestorben, an welcher ich so viele hundert<lb/>
Wöchnerinnen sterben sah, ebenfalls ein berechtigter. Die<lb/>
veranlassende Ursache der Krankheit bei Professor <hirendition="#g">Kol-<lb/>
letschka</hi> war bekannt, nämlich es wurde die Wunde, welche<lb/>
ihm mit dem Sectionsmesser beigebracht wurde, gleichzeitig<lb/>
mit Cadavertheilen verunreiniget. Nicht die Wunde, sondern<lb/>
das Verunreinigtwerden der Wunde durch Cadavertheile hat<lb/>
den Tod herbeigeführt. <hirendition="#g">Kolletschka</hi> ist ja nicht der Erste,<lb/>
der auf diese Weise gestorben. Ich musste anerkennen: wenn<lb/>
die Voraussetzung, dass die Krankheit <hirendition="#g">Kolletschka’s</hi> und die<lb/>
Krankheit, an welcher ich so viele Wöchnerinnen sterben sah,<lb/>
identisch seien, so müsse sie bei den Wöchnerinnen durch die-<lb/>
selbe erzeugende Ursache, durch welche erzeugende Ursache<lb/>
sie bei <hirendition="#g">Kolletschka</hi> hervorgebracht wurde, erzeugt werden.<lb/>
Bei <hirendition="#g">Kolletschka</hi> waren die erzeugende Ursache Cadaver-<lb/>
theile, welche ihm in’s Gefässsystem gebracht wurden. Ich<lb/>
musste mir die Frage aufwerfen: Werden denn den Indivi-<lb/>
duen, welche ich an einer identischen Krankheit sterben sah,<lb/>
auch Cadavertheile in das Gefässsystem eingebracht? Auf<lb/>
diese Frage musste ich mit Ja antworten.</p><lb/><p>Bei der anatomischen Richtung der Wiener medicini-<lb/>
schen Schule haben die Professoren, Assistenten und Schüler<lb/>
häufig Gelegenheit, mit Leichen in Berührung zu kommen.<lb/>
Dass nach der gewöhnlichen Art des Waschens der Hände<lb/>
mit Seife die an der Hand klebenden Cadavertheile nicht<lb/>
sämmtlich entfernt werden, beweist der cadaveröse Geruch,<lb/>
welchen die Hand für längere oder kürzere Zeit behält. Bei<lb/>
der Untersuchung der Schwangeren, Kreissenden und Wöch-<lb/>
nerinnen wird die mit Cadavertheilen verunreinigte Hand mit<lb/>
den Genitalien dieser Individuen in Berührung gebracht, da-<lb/>
durch werden die Genitalien dieser Individuen mit Cadaver-<lb/>
theilen in Berührung gebracht, dadurch die Möglichkeit der Re-<lb/>
sorption, und mittelst Resorption Einbringung von Cadaver-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[54/0066]
dem Leichenbefunde bei Kolletschka antrafen wie bei den
Wöchnerinnen, so ist der Schluss, dass Kolletschka an der-
selben Krankheit gestorben, an welcher ich so viele hundert
Wöchnerinnen sterben sah, ebenfalls ein berechtigter. Die
veranlassende Ursache der Krankheit bei Professor Kol-
letschka war bekannt, nämlich es wurde die Wunde, welche
ihm mit dem Sectionsmesser beigebracht wurde, gleichzeitig
mit Cadavertheilen verunreiniget. Nicht die Wunde, sondern
das Verunreinigtwerden der Wunde durch Cadavertheile hat
den Tod herbeigeführt. Kolletschka ist ja nicht der Erste,
der auf diese Weise gestorben. Ich musste anerkennen: wenn
die Voraussetzung, dass die Krankheit Kolletschka’s und die
Krankheit, an welcher ich so viele Wöchnerinnen sterben sah,
identisch seien, so müsse sie bei den Wöchnerinnen durch die-
selbe erzeugende Ursache, durch welche erzeugende Ursache
sie bei Kolletschka hervorgebracht wurde, erzeugt werden.
Bei Kolletschka waren die erzeugende Ursache Cadaver-
theile, welche ihm in’s Gefässsystem gebracht wurden. Ich
musste mir die Frage aufwerfen: Werden denn den Indivi-
duen, welche ich an einer identischen Krankheit sterben sah,
auch Cadavertheile in das Gefässsystem eingebracht? Auf
diese Frage musste ich mit Ja antworten.
Bei der anatomischen Richtung der Wiener medicini-
schen Schule haben die Professoren, Assistenten und Schüler
häufig Gelegenheit, mit Leichen in Berührung zu kommen.
Dass nach der gewöhnlichen Art des Waschens der Hände
mit Seife die an der Hand klebenden Cadavertheile nicht
sämmtlich entfernt werden, beweist der cadaveröse Geruch,
welchen die Hand für längere oder kürzere Zeit behält. Bei
der Untersuchung der Schwangeren, Kreissenden und Wöch-
nerinnen wird die mit Cadavertheilen verunreinigte Hand mit
den Genitalien dieser Individuen in Berührung gebracht, da-
durch werden die Genitalien dieser Individuen mit Cadaver-
theilen in Berührung gebracht, dadurch die Möglichkeit der Re-
sorption, und mittelst Resorption Einbringung von Cadaver-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/66>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.