Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

atmosphärische, cosmische, tellurische Einflüsse hervorge-
bracht wird, und es gehört nicht zum Begriffe der Epidemie,
ob eines oder hunderte von Individuen erkranken. Wird das
Puerperalfieber durch eine endemische Ursache hervorge-
bracht, d. h. durch eine Ursache hervorgebracht, deren Wirk-
samkeit sich auf ein bestimmtes Locale beschränkt, so ist das
ein endemisches Puerperalfieber, und es ist wieder gleichgil-
tig, ob ein oder hunderte von Individuen erkranken. Das ist
der Begriff einer Epidemie und Endemie. Die Commissionen
berücksichtigen aber bei Benennung der Sterblichkeit nicht
die Ursachen, welche das Puerperalfieber angeblich hervorge-
bracht haben, sondern nur die Zahl, und weil viele Wöch-
nerinnen erkrankten und starben, nannte man es eine Epi-
demie.

Ueberzeugt, dass die grössere Sterblichkeit an der er-
sten Gebärklinik durch eine endemische, aber noch unbe-
kannte, von mir vergebens gesuchte Ursache herrühre, an
dem Begriffe des Kindbettfiebers durch das Erkranken der
Neugebornen am Kindbettefiber, ohne Unterschied ob Mäd-
chen oder Knabe, irre geworden, durch das Beobachten von
Erscheinungen, für welche ich keine Erklärung finden konnte,
als da sind: das beinahe ausnahmslose Sterben in Folge ver-
zögerter Eröffnungsperiode, das Nichterkranken der Gassen-
und vorzeitigen Geburten im Widerspruche mit meiner Ueber-
zeugung, dass die Verheerungen an der ersten Gebärklinik
endemischen Ursachen zuzuschreiben seien, das reihenweise
Erkranken der Wöchnerinnen an der ersten Gebärklinik, der
günstige Gesundheitszustand an der zweiten Gebärklinik im
Vergleich zur ersten, ohne dass ich die Ueberzeugung hätte
hegen können, dass die an der zweiten Gebärklinik Bedien-
steten geschickter oder sorgfältiger in Erfüllung ihrer Pflich-
ten seien als wir; die Missachtung, welcher die an der ersten
Gebärklinik Bediensteten deshalb bei den Hausleuten begeg-
neten, brachte in mir eine jener unglücklichen Gemüthsstim-
mungen hervor, welche das Leben nicht beneidenswerth ma-

4 *

atmosphärische, cosmische, tellurische Einflüsse hervorge-
bracht wird, und es gehört nicht zum Begriffe der Epidemie,
ob eines oder hunderte von Individuen erkranken. Wird das
Puerperalfieber durch eine endemische Ursache hervorge-
bracht, d. h. durch eine Ursache hervorgebracht, deren Wirk-
samkeit sich auf ein bestimmtes Locale beschränkt, so ist das
ein endemisches Puerperalfieber, und es ist wieder gleichgil-
tig, ob ein oder hunderte von Individuen erkranken. Das ist
der Begriff einer Epidemie und Endemie. Die Commissionen
berücksichtigen aber bei Benennung der Sterblichkeit nicht
die Ursachen, welche das Puerperalfieber angeblich hervorge-
bracht haben, sondern nur die Zahl, und weil viele Wöch-
nerinnen erkrankten und starben, nannte man es eine Epi-
demie.

Ueberzeugt, dass die grössere Sterblichkeit an der er-
sten Gebärklinik durch eine endemische, aber noch unbe-
kannte, von mir vergebens gesuchte Ursache herrühre, an
dem Begriffe des Kindbettfiebers durch das Erkranken der
Neugebornen am Kindbettefiber, ohne Unterschied ob Mäd-
chen oder Knabe, irre geworden, durch das Beobachten von
Erscheinungen, für welche ich keine Erklärung finden konnte,
als da sind: das beinahe ausnahmslose Sterben in Folge ver-
zögerter Eröffnungsperiode, das Nichterkranken der Gassen-
und vorzeitigen Geburten im Widerspruche mit meiner Ueber-
zeugung, dass die Verheerungen an der ersten Gebärklinik
endemischen Ursachen zuzuschreiben seien, das reihenweise
Erkranken der Wöchnerinnen an der ersten Gebärklinik, der
günstige Gesundheitszustand an der zweiten Gebärklinik im
Vergleich zur ersten, ohne dass ich die Ueberzeugung hätte
hegen können, dass die an der zweiten Gebärklinik Bedien-
steten geschickter oder sorgfältiger in Erfüllung ihrer Pflich-
ten seien als wir; die Missachtung, welcher die an der ersten
Gebärklinik Bediensteten deshalb bei den Hausleuten begeg-
neten, brachte in mir eine jener unglücklichen Gemüthsstim-
mungen hervor, welche das Leben nicht beneidenswerth ma-

4 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0063" n="51"/>
atmosphärische, cosmische, tellurische Einflüsse hervorge-<lb/>
bracht wird, und es gehört nicht zum Begriffe der Epidemie,<lb/>
ob eines oder hunderte von Individuen erkranken. Wird das<lb/>
Puerperalfieber durch eine endemische Ursache hervorge-<lb/>
bracht, d. h. durch eine Ursache hervorgebracht, deren Wirk-<lb/>
samkeit sich auf ein bestimmtes Locale beschränkt, so ist das<lb/>
ein endemisches Puerperalfieber, und es ist wieder gleichgil-<lb/>
tig, ob ein oder hunderte von Individuen erkranken. Das ist<lb/>
der Begriff einer Epidemie und Endemie. Die Commissionen<lb/>
berücksichtigen aber bei Benennung der Sterblichkeit nicht<lb/>
die Ursachen, welche das Puerperalfieber angeblich hervorge-<lb/>
bracht haben, sondern nur die Zahl, und weil viele Wöch-<lb/>
nerinnen erkrankten und starben, nannte man es eine Epi-<lb/>
demie.</p><lb/>
        <p>Ueberzeugt, dass die grössere Sterblichkeit an der er-<lb/>
sten Gebärklinik durch eine endemische, aber noch unbe-<lb/>
kannte, von mir vergebens gesuchte Ursache herrühre, an<lb/>
dem Begriffe des Kindbettfiebers durch das Erkranken der<lb/>
Neugebornen am Kindbettefiber, ohne Unterschied ob Mäd-<lb/>
chen oder Knabe, irre geworden, durch das Beobachten von<lb/>
Erscheinungen, für welche ich keine Erklärung finden konnte,<lb/>
als da sind: das beinahe ausnahmslose Sterben in Folge ver-<lb/>
zögerter Eröffnungsperiode, das Nichterkranken der Gassen-<lb/>
und vorzeitigen Geburten im Widerspruche mit meiner Ueber-<lb/>
zeugung, dass die Verheerungen an der ersten Gebärklinik<lb/>
endemischen Ursachen zuzuschreiben seien, das reihenweise<lb/>
Erkranken der Wöchnerinnen an der ersten Gebärklinik, der<lb/>
günstige Gesundheitszustand an der zweiten Gebärklinik im<lb/>
Vergleich zur ersten, ohne dass ich die Ueberzeugung hätte<lb/>
hegen können, dass die an der zweiten Gebärklinik Bedien-<lb/>
steten geschickter oder sorgfältiger in Erfüllung ihrer Pflich-<lb/>
ten seien als wir; die Missachtung, welcher die an der ersten<lb/>
Gebärklinik Bediensteten deshalb bei den Hausleuten begeg-<lb/>
neten, brachte in mir eine jener unglücklichen Gemüthsstim-<lb/>
mungen hervor, welche das Leben nicht beneidenswerth ma-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">4 *</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[51/0063] atmosphärische, cosmische, tellurische Einflüsse hervorge- bracht wird, und es gehört nicht zum Begriffe der Epidemie, ob eines oder hunderte von Individuen erkranken. Wird das Puerperalfieber durch eine endemische Ursache hervorge- bracht, d. h. durch eine Ursache hervorgebracht, deren Wirk- samkeit sich auf ein bestimmtes Locale beschränkt, so ist das ein endemisches Puerperalfieber, und es ist wieder gleichgil- tig, ob ein oder hunderte von Individuen erkranken. Das ist der Begriff einer Epidemie und Endemie. Die Commissionen berücksichtigen aber bei Benennung der Sterblichkeit nicht die Ursachen, welche das Puerperalfieber angeblich hervorge- bracht haben, sondern nur die Zahl, und weil viele Wöch- nerinnen erkrankten und starben, nannte man es eine Epi- demie. Ueberzeugt, dass die grössere Sterblichkeit an der er- sten Gebärklinik durch eine endemische, aber noch unbe- kannte, von mir vergebens gesuchte Ursache herrühre, an dem Begriffe des Kindbettfiebers durch das Erkranken der Neugebornen am Kindbettefiber, ohne Unterschied ob Mäd- chen oder Knabe, irre geworden, durch das Beobachten von Erscheinungen, für welche ich keine Erklärung finden konnte, als da sind: das beinahe ausnahmslose Sterben in Folge ver- zögerter Eröffnungsperiode, das Nichterkranken der Gassen- und vorzeitigen Geburten im Widerspruche mit meiner Ueber- zeugung, dass die Verheerungen an der ersten Gebärklinik endemischen Ursachen zuzuschreiben seien, das reihenweise Erkranken der Wöchnerinnen an der ersten Gebärklinik, der günstige Gesundheitszustand an der zweiten Gebärklinik im Vergleich zur ersten, ohne dass ich die Ueberzeugung hätte hegen können, dass die an der zweiten Gebärklinik Bedien- steten geschickter oder sorgfältiger in Erfüllung ihrer Pflich- ten seien als wir; die Missachtung, welcher die an der ersten Gebärklinik Bediensteten deshalb bei den Hausleuten begeg- neten, brachte in mir eine jener unglücklichen Gemüthsstim- mungen hervor, welche das Leben nicht beneidenswerth ma- 4 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/63
Zitationshilfe: Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/63>, abgerufen am 24.11.2024.