In den 6 Jahren, in welchen die Sterblichkeit an der I. Klinik dreimal so gross war, als an der II. Klinik, betrug das Plus der jährlich an der I. Klinik verpflegten Wöchnerin- nen nur 375 (siehe Tabelle I, Seite 3).
In den 12 nächstfolgenden Jahren war die durchschnitt- liche Sterblichkeit beider Abtheilungen fast gleich, das Plus der verpflegten Wöchnerinnen betrug 598. In zwei Jahren war die absolute, in 5 Jahren die relative Sterblichkeit bei bis 1111 weniger verpflegten Wöchnerinnen an der II. Klinik grösser, als an der I. Klinik (siehe Tabelle XXIII, Seite 140).
Carl Braun sagt: "Da seit dem Bekanntwerden der Theo- rie der cadaverösen Infection über 5 Jahre verstrichen sind, so wollen wir die in der Literatur bisher hierüber laut gewor- denen Stimmen einiger Aerzte, die mit den Zuständen von Gebärhäusern vertraut sind, anführen." Carl Braun führt nun die Stimmen an von: Scanzoni, den er speciell einen strengen Widersacher dieser Theorie nennt, Seyfert, Kiwisch, Lumpe, Mande, Bamberger, Hammernjk, die Academie der Medicin in Paris, Retzius, Faye, Chiari, und sagt schliesslich: "Wir finden in der Literatur nirgends eine Bestätigung über die Zu- verlässigkeit der Infectionstheorie in ihrer practischen Anwen- dung, wir treffen sogar die entschiedensten Behauptungen und Erfahrungssätze angeführt an, welche diese Hypothese ihrer wichtigsten Stützen berauben."
Wenn Carl Braun behauptet, dass selbst nach mehr als 5 Jahren die Literatur noch immer keine Bestätigung über die Zuverlässigkeit der Infectionstheorie in ihrer practischen Anwendung ausweist, so wird der aufmerksame Leser dieser Schrift wissen, dass dem nicht so ist. Aber nehmen wir an, es wäre wirklich wahr, dass nach 5 Jahren sich meine Ansicht über die Entstehung des Kindbettfiebers noch nirgends prac- tisch bewährt hätte, so wäre das kein Beweis, dass meine An- sicht irrig sei, sondern das ist ein Beweis von Unfähigkeit aller Jener, welche Gelegenheit hatten, meine Ansicht in ihrer prac-
In den 6 Jahren, in welchen die Sterblichkeit an der I. Klinik dreimal so gross war, als an der II. Klinik, betrug das Plus der jährlich an der I. Klinik verpflegten Wöchnerin- nen nur 375 (siehe Tabelle I, Seite 3).
In den 12 nächstfolgenden Jahren war die durchschnitt- liche Sterblichkeit beider Abtheilungen fast gleich, das Plus der verpflegten Wöchnerinnen betrug 598. In zwei Jahren war die absolute, in 5 Jahren die relative Sterblichkeit bei bis 1111 weniger verpflegten Wöchnerinnen an der II. Klinik grösser, als an der I. Klinik (siehe Tabelle XXIII, Seite 140).
Carl Braun sagt: »Da seit dem Bekanntwerden der Theo- rie der cadaverösen Infection über 5 Jahre verstrichen sind, so wollen wir die in der Literatur bisher hierüber laut gewor- denen Stimmen einiger Aerzte, die mit den Zuständen von Gebärhäusern vertraut sind, anführen.« Carl Braun führt nun die Stimmen an von: Scanzoni, den er speciell einen strengen Widersacher dieser Theorie nennt, Seyfert, Kiwisch, Lumpe, Mande, Bamberger, Hammernjk, die Academie der Medicin in Paris, Retzius, Faye, Chiari, und sagt schliesslich: »Wir finden in der Literatur nirgends eine Bestätigung über die Zu- verlässigkeit der Infectionstheorie in ihrer practischen Anwen- dung, wir treffen sogar die entschiedensten Behauptungen und Erfahrungssätze angeführt an, welche diese Hypothese ihrer wichtigsten Stützen berauben.«
Wenn Carl Braun behauptet, dass selbst nach mehr als 5 Jahren die Literatur noch immer keine Bestätigung über die Zuverlässigkeit der Infectionstheorie in ihrer practischen Anwendung ausweist, so wird der aufmerksame Leser dieser Schrift wissen, dass dem nicht so ist. Aber nehmen wir an, es wäre wirklich wahr, dass nach 5 Jahren sich meine Ansicht über die Entstehung des Kindbettfiebers noch nirgends prac- tisch bewährt hätte, so wäre das kein Beweis, dass meine An- sicht irrig sei, sondern das ist ein Beweis von Unfähigkeit aller Jener, welche Gelegenheit hatten, meine Ansicht in ihrer prac-
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[524/0536]
In den 6 Jahren, in welchen die Sterblichkeit an der
I. Klinik dreimal so gross war, als an der II. Klinik, betrug
das Plus der jährlich an der I. Klinik verpflegten Wöchnerin-
nen nur 375 (siehe Tabelle I, Seite 3).
In den 12 nächstfolgenden Jahren war die durchschnitt-
liche Sterblichkeit beider Abtheilungen fast gleich, das Plus
der verpflegten Wöchnerinnen betrug 598. In zwei Jahren
war die absolute, in 5 Jahren die relative Sterblichkeit bei
bis 1111 weniger verpflegten Wöchnerinnen an der II. Klinik
grösser, als an der I. Klinik (siehe Tabelle XXIII, Seite 140).
Carl Braun sagt: »Da seit dem Bekanntwerden der Theo-
rie der cadaverösen Infection über 5 Jahre verstrichen sind,
so wollen wir die in der Literatur bisher hierüber laut gewor-
denen Stimmen einiger Aerzte, die mit den Zuständen von
Gebärhäusern vertraut sind, anführen.« Carl Braun führt nun
die Stimmen an von: Scanzoni, den er speciell einen strengen
Widersacher dieser Theorie nennt, Seyfert, Kiwisch, Lumpe,
Mande, Bamberger, Hammernjk, die Academie der Medicin
in Paris, Retzius, Faye, Chiari, und sagt schliesslich: »Wir
finden in der Literatur nirgends eine Bestätigung über die Zu-
verlässigkeit der Infectionstheorie in ihrer practischen Anwen-
dung, wir treffen sogar die entschiedensten Behauptungen und
Erfahrungssätze angeführt an, welche diese Hypothese ihrer
wichtigsten Stützen berauben.«
Wenn Carl Braun behauptet, dass selbst nach mehr als
5 Jahren die Literatur noch immer keine Bestätigung über
die Zuverlässigkeit der Infectionstheorie in ihrer practischen
Anwendung ausweist, so wird der aufmerksame Leser dieser
Schrift wissen, dass dem nicht so ist. Aber nehmen wir an, es
wäre wirklich wahr, dass nach 5 Jahren sich meine Ansicht
über die Entstehung des Kindbettfiebers noch nirgends prac-
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Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 524. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/536>, abgerufen am 22.11.2024.
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