heisst nämlich: "Herr Virchow theilte der Gesellschaft die Resultate seiner Studien über die in der Charite vorgekom- menen Puerperalerkrankungen mit. Die Beobachtungen um- fassen den Zeitraum vom Herbste 1856 an bis jetzt. In diesen 18 Monaten kamen 83 Todesfälle im Puerperium vor, von denen jedoch ein nicht geringer Theil der Section entzogen wurde. Wenn es auch nicht schwer ist, ein gruppenweises Auftreten der Erkrankungen festzustellen, so kann man doch nicht von begränzten Epidemien sprechen, da leider die Charite im Verlaufe der genannten Zeit fast beständig einzelne Fälle von Puerperalfieber aufzuweisen hatte, und jeder Monat sein Contingent an Todesfällen lieferte. Indess zeichnen sich die beiden Wintersemester durch grössere Zahlen von Todten aus, und unter diesen namentlich der Winter 1857--1858, wo der November mit 20 Todesfällen als der gefährlichste Monat der Höhe der Epidemie zu entsprechen scheint."
20 Todte entsprechen einer Anzahl von 2000 Geburten, wie viele Geburten im November 1857 sich in der Charite er- eigneten, weiss ich wohl nicht, ich weiss nur, dass die Grösse der Sterblichkeit in demselben Verhältnisse sich steigert, in welchem sich die wirklich stattgehabten Geburten im Monate November von der Zahl 2000 entfernen. Eine solche entsetz- liche Verschwendung an Menschenleben ereignet sich in Berlin. nachdem schon zehn Jahre früher in Wien gelehrt wurde, wie das Puerperalfieber zu beschränken sei. Und Prof. Schmidt hat keine Erfahrungen gemacht, und verlangt keine eigenen Erfahrungen zu machen.
Seite 523 sagt Prof. Schmidt: "Ehe ich sterbe, hoffe ich noch ein Langes und Breites über meine geburtshilflichen Fehler zu schreiben; an glücklichen Geburtsgeschichten ist kein Mangel." Ich hoffe, Prof. Schmidt wird sich nicht blos auf seine geburtshilflichen Fehler in Bezug auf die Geburt be- schränken, ich erwarte, dass er auch seine folgenschwangern Fehler in Bezug auf das Puerperalfieber der Welt preisgeben wird, um durch sein gutes Beispiel, welches er dadurch an-
heisst nämlich: »Herr Virchow theilte der Gesellschaft die Resultate seiner Studien über die in der Charité vorgekom- menen Puerperalerkrankungen mit. Die Beobachtungen um- fassen den Zeitraum vom Herbste 1856 an bis jetzt. In diesen 18 Monaten kamen 83 Todesfälle im Puerperium vor, von denen jedoch ein nicht geringer Theil der Section entzogen wurde. Wenn es auch nicht schwer ist, ein gruppenweises Auftreten der Erkrankungen festzustellen, so kann man doch nicht von begränzten Epidemien sprechen, da leider die Charité im Verlaufe der genannten Zeit fast beständig einzelne Fälle von Puerperalfieber aufzuweisen hatte, und jeder Monat sein Contingent an Todesfällen lieferte. Indess zeichnen sich die beiden Wintersemester durch grössere Zahlen von Todten aus, und unter diesen namentlich der Winter 1857—1858, wo der November mit 20 Todesfällen als der gefährlichste Monat der Höhe der Epidemie zu entsprechen scheint.«
20 Todte entsprechen einer Anzahl von 2000 Geburten, wie viele Geburten im November 1857 sich in der Charité er- eigneten, weiss ich wohl nicht, ich weiss nur, dass die Grösse der Sterblichkeit in demselben Verhältnisse sich steigert, in welchem sich die wirklich stattgehabten Geburten im Monate November von der Zahl 2000 entfernen. Eine solche entsetz- liche Verschwendung an Menschenleben ereignet sich in Berlin. nachdem schon zehn Jahre früher in Wien gelehrt wurde, wie das Puerperalfieber zu beschränken sei. Und Prof. Schmidt hat keine Erfahrungen gemacht, und verlangt keine eigenen Erfahrungen zu machen.
Seite 523 sagt Prof. Schmidt: »Ehe ich sterbe, hoffe ich noch ein Langes und Breites über meine geburtshilflichen Fehler zu schreiben; an glücklichen Geburtsgeschichten ist kein Mangel.« Ich hoffe, Prof. Schmidt wird sich nicht blos auf seine geburtshilflichen Fehler in Bezug auf die Geburt be- schränken, ich erwarte, dass er auch seine folgenschwangern Fehler in Bezug auf das Puerperalfieber der Welt preisgeben wird, um durch sein gutes Beispiel, welches er dadurch an-
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heisst nämlich: »Herr Virchow theilte der Gesellschaft die
Resultate seiner Studien über die in der Charité vorgekom-
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fassen den Zeitraum vom Herbste 1856 an bis jetzt. In diesen
18 Monaten kamen 83 Todesfälle im Puerperium vor, von
denen jedoch ein nicht geringer Theil der Section entzogen
wurde. Wenn es auch nicht schwer ist, ein gruppenweises
Auftreten der Erkrankungen festzustellen, so kann man doch
nicht von begränzten Epidemien sprechen, da leider die Charité
im Verlaufe der genannten Zeit fast beständig einzelne Fälle
von Puerperalfieber aufzuweisen hatte, und jeder Monat sein
Contingent an Todesfällen lieferte. Indess zeichnen sich die
beiden Wintersemester durch grössere Zahlen von Todten
aus, und unter diesen namentlich der Winter 1857—1858,
wo der November mit 20 Todesfällen als der gefährlichste
Monat der Höhe der Epidemie zu entsprechen scheint.«
20 Todte entsprechen einer Anzahl von 2000 Geburten,
wie viele Geburten im November 1857 sich in der Charité er-
eigneten, weiss ich wohl nicht, ich weiss nur, dass die Grösse
der Sterblichkeit in demselben Verhältnisse sich steigert, in
welchem sich die wirklich stattgehabten Geburten im Monate
November von der Zahl 2000 entfernen. Eine solche entsetz-
liche Verschwendung an Menschenleben ereignet sich in Berlin.
nachdem schon zehn Jahre früher in Wien gelehrt wurde, wie
das Puerperalfieber zu beschränken sei. Und Prof. Schmidt
hat keine Erfahrungen gemacht, und verlangt keine eigenen
Erfahrungen zu machen.
Seite 523 sagt Prof. Schmidt: »Ehe ich sterbe, hoffe ich
noch ein Langes und Breites über meine geburtshilflichen
Fehler zu schreiben; an glücklichen Geburtsgeschichten ist
kein Mangel.« Ich hoffe, Prof. Schmidt wird sich nicht blos
auf seine geburtshilflichen Fehler in Bezug auf die Geburt be-
schränken, ich erwarte, dass er auch seine folgenschwangern
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Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 466. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/478>, abgerufen am 22.11.2024.
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