Wendungen anderen Tags Metritis oder Peritonitis sich einstellt; als ob die normal Entbundenen, die doch nach Schmidt's An- nahme so selten an Puerperalfieber erkranken, nicht auch den Einflüssen der Nosocomial-Atmosphäre ausgesetzt wären?
Nach solchen Prämissen ist es begreiflich, dass man erst durch mich in Berlin erfahren hat, dass an der Aerzte-Abthei- lung mehr als an der Hebammen-Abtheilung sterben.
Prof. Schmidt sagt nämlich: "Der relative Gegensatz der Hebammen und Geburtshelfer hat zwar auch hier stets be- standen, aber bis zum Jahre 1846 nicht in bestimmter räum- licher Scheidung; auf einen Unterschied in den Sterblichkeits- verhältnissen beider Abtheilungen ist wohl überdies nicht so genau geachtet worden, weil man erst durch Semmelweis auf diese Fährte gekommen ist."
Wenn daher Prof. Schmidt Prof. Brücke keine eigenen, meine Ansicht bestätigenden Erfahrungen bringen konnte, so lag das nicht darin, dass Schmidt keine Gelegenheit hatte, Er- fahrungen zu machen, sondern darin, dass Schmidt nicht die Fähigkeit besitzt, Erfahrungen zu machen.
Prof. Schmidt schreibt im Jahre 1850: "Jeder kann, wird und muss sich durch dieses (Chlorkalk) desinficiren, wenn er in den Eingeweiden der Leichen gearbeitet hat, bevor er seine Hand in die Eingeweide der Lebendigen führt. Diese billige Forderung wird forthin jede geburtshilfliche Klinik an ihre Zöglinge machen, und ihnen die Gelegenheit dazu in den eige- nen Waschtischen erleichtern, wie gesagt, ich glaube an die Möglichkeit, und die Wiener Erfahrungen sind für mich voll- kommen genügend, Vorsicht zu empfehlen, die eigenen ver- lange ich nicht." Wie vorsichtig Prof. Schmidt wurde, und wie er wirklich eigene Erfahrungen, die er nicht verlangt, auch nicht gemacht, geht aus einer Sitzung der Gesellschaft für Ge- burtshilfe, in Berlin gehalten am 9. Mai 1858, hervor*), es
*) Monatschrift für Geburtskunde und Frauenkrankheiten. Berlin 1858. XI. Band. 6. Heft.
Semmelweis, Kindbettfieber 30
Wendungen anderen Tags Metritis oder Peritonitis sich einstellt; als ob die normal Entbundenen, die doch nach Schmidt’s An- nahme so selten an Puerperalfieber erkranken, nicht auch den Einflüssen der Nosocomial-Atmosphäre ausgesetzt wären?
Nach solchen Prämissen ist es begreiflich, dass man erst durch mich in Berlin erfahren hat, dass an der Aerzte-Abthei- lung mehr als an der Hebammen-Abtheilung sterben.
Prof. Schmidt sagt nämlich: »Der relative Gegensatz der Hebammen und Geburtshelfer hat zwar auch hier stets be- standen, aber bis zum Jahre 1846 nicht in bestimmter räum- licher Scheidung; auf einen Unterschied in den Sterblichkeits- verhältnissen beider Abtheilungen ist wohl überdies nicht so genau geachtet worden, weil man erst durch Semmelweis auf diese Fährte gekommen ist.«
Wenn daher Prof. Schmidt Prof. Brücke keine eigenen, meine Ansicht bestätigenden Erfahrungen bringen konnte, so lag das nicht darin, dass Schmidt keine Gelegenheit hatte, Er- fahrungen zu machen, sondern darin, dass Schmidt nicht die Fähigkeit besitzt, Erfahrungen zu machen.
Prof. Schmidt schreibt im Jahre 1850: »Jeder kann, wird und muss sich durch dieses (Chlorkalk) desinficiren, wenn er in den Eingeweiden der Leichen gearbeitet hat, bevor er seine Hand in die Eingeweide der Lebendigen führt. Diese billige Forderung wird forthin jede geburtshilfliche Klinik an ihre Zöglinge machen, und ihnen die Gelegenheit dazu in den eige- nen Waschtischen erleichtern, wie gesagt, ich glaube an die Möglichkeit, und die Wiener Erfahrungen sind für mich voll- kommen genügend, Vorsicht zu empfehlen, die eigenen ver- lange ich nicht.« Wie vorsichtig Prof. Schmidt wurde, und wie er wirklich eigene Erfahrungen, die er nicht verlangt, auch nicht gemacht, geht aus einer Sitzung der Gesellschaft für Ge- burtshilfe, in Berlin gehalten am 9. Mai 1858, hervor*), es
*) Monatschrift für Geburtskunde und Frauenkrankheiten. Berlin 1858. XI. Band. 6. Heft.
Semmelweis, Kindbettfieber 30
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0477"n="465"/>
Wendungen anderen Tags Metritis oder Peritonitis sich einstellt;<lb/>
als ob die normal Entbundenen, die doch nach Schmidt’s An-<lb/>
nahme so selten an Puerperalfieber erkranken, nicht auch den<lb/>
Einflüssen der Nosocomial-Atmosphäre ausgesetzt wären?</p><lb/><p>Nach solchen Prämissen ist es begreiflich, dass man erst<lb/>
durch mich in Berlin erfahren hat, dass an der Aerzte-Abthei-<lb/>
lung mehr als an der Hebammen-Abtheilung sterben.</p><lb/><p>Prof. Schmidt sagt nämlich: »Der relative Gegensatz der<lb/>
Hebammen und Geburtshelfer hat zwar auch hier stets be-<lb/>
standen, aber bis zum Jahre 1846 nicht in bestimmter räum-<lb/>
licher Scheidung; auf einen Unterschied in den Sterblichkeits-<lb/>
verhältnissen beider Abtheilungen ist wohl überdies nicht so<lb/>
genau geachtet worden, weil man erst durch Semmelweis auf<lb/>
diese Fährte gekommen ist.«</p><lb/><p>Wenn daher Prof. Schmidt Prof. Brücke keine eigenen,<lb/>
meine Ansicht bestätigenden Erfahrungen bringen konnte, so<lb/>
lag das nicht darin, dass Schmidt keine Gelegenheit hatte, Er-<lb/>
fahrungen zu machen, sondern darin, dass Schmidt nicht die<lb/>
Fähigkeit besitzt, Erfahrungen zu machen.</p><lb/><p>Prof. Schmidt schreibt im Jahre 1850: »Jeder kann, wird<lb/>
und muss sich durch dieses (Chlorkalk) desinficiren, wenn er<lb/>
in den Eingeweiden der Leichen gearbeitet hat, bevor er seine<lb/>
Hand in die Eingeweide der Lebendigen führt. Diese billige<lb/>
Forderung wird forthin jede geburtshilfliche Klinik an ihre<lb/>
Zöglinge machen, und ihnen die Gelegenheit dazu in den eige-<lb/>
nen Waschtischen erleichtern, wie gesagt, ich glaube an die<lb/>
Möglichkeit, und die Wiener Erfahrungen sind für mich voll-<lb/>
kommen genügend, Vorsicht zu empfehlen, die eigenen ver-<lb/>
lange ich nicht.« Wie vorsichtig Prof. Schmidt wurde, und<lb/>
wie er wirklich eigene Erfahrungen, die er nicht verlangt, auch<lb/>
nicht gemacht, geht aus einer Sitzung der Gesellschaft für Ge-<lb/>
burtshilfe, in Berlin gehalten am 9. Mai 1858, hervor<noteplace="foot"n="*)">Monatschrift für Geburtskunde und Frauenkrankheiten. Berlin 1858.<lb/>
XI. Band. 6. Heft.</note>, es<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#g">Semmelweis</hi>, Kindbettfieber 30</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[465/0477]
Wendungen anderen Tags Metritis oder Peritonitis sich einstellt;
als ob die normal Entbundenen, die doch nach Schmidt’s An-
nahme so selten an Puerperalfieber erkranken, nicht auch den
Einflüssen der Nosocomial-Atmosphäre ausgesetzt wären?
Nach solchen Prämissen ist es begreiflich, dass man erst
durch mich in Berlin erfahren hat, dass an der Aerzte-Abthei-
lung mehr als an der Hebammen-Abtheilung sterben.
Prof. Schmidt sagt nämlich: »Der relative Gegensatz der
Hebammen und Geburtshelfer hat zwar auch hier stets be-
standen, aber bis zum Jahre 1846 nicht in bestimmter räum-
licher Scheidung; auf einen Unterschied in den Sterblichkeits-
verhältnissen beider Abtheilungen ist wohl überdies nicht so
genau geachtet worden, weil man erst durch Semmelweis auf
diese Fährte gekommen ist.«
Wenn daher Prof. Schmidt Prof. Brücke keine eigenen,
meine Ansicht bestätigenden Erfahrungen bringen konnte, so
lag das nicht darin, dass Schmidt keine Gelegenheit hatte, Er-
fahrungen zu machen, sondern darin, dass Schmidt nicht die
Fähigkeit besitzt, Erfahrungen zu machen.
Prof. Schmidt schreibt im Jahre 1850: »Jeder kann, wird
und muss sich durch dieses (Chlorkalk) desinficiren, wenn er
in den Eingeweiden der Leichen gearbeitet hat, bevor er seine
Hand in die Eingeweide der Lebendigen führt. Diese billige
Forderung wird forthin jede geburtshilfliche Klinik an ihre
Zöglinge machen, und ihnen die Gelegenheit dazu in den eige-
nen Waschtischen erleichtern, wie gesagt, ich glaube an die
Möglichkeit, und die Wiener Erfahrungen sind für mich voll-
kommen genügend, Vorsicht zu empfehlen, die eigenen ver-
lange ich nicht.« Wie vorsichtig Prof. Schmidt wurde, und
wie er wirklich eigene Erfahrungen, die er nicht verlangt, auch
nicht gemacht, geht aus einer Sitzung der Gesellschaft für Ge-
burtshilfe, in Berlin gehalten am 9. Mai 1858, hervor *), es
*) Monatschrift für Geburtskunde und Frauenkrankheiten. Berlin 1858.
XI. Band. 6. Heft.
Semmelweis, Kindbettfieber 30
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 465. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/477>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.