Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

dass demzufolge die Sterblichkeit keine Schwankungen er-
leiden, sondern immer eine gleiche sein müsste, so ist das eine
Behauptung, die alle Merkmale der Lumpe'schen exacten
Wissenschaft an sich trägt.

Dass das Puerperalfieber wirklich nur im Verhältnisse
zur Einbringung zersetzter Stoffe von Aussen entstehe, haben
wir weitläufig genug durch beinahe sieben Druckbögen hin-
durch in dieser Schrift, nämlich von Seite 114 bis Seite 213,
bewiesen.

Dr. Lumpe sagt: "Stellen wir nun damit das Maximum
der Sterblichkeit beim Gebrauch der Chlorwaschungen zu-
sammen -- es starben im März 1849 20 Wöchnerinnen *) --
so können wir, wenn Semmelweis's Theorie wahr ist, nur die
über dieses Maximum hinausgehenden, nach logischen Ge-
setzen als Vergiftungsfälle gelten lassen, und wir werden in
consequenter Schlussfolge zu der Behauptung gedrängt, dass
ein Gift, welches so intensiv ist, dass die geringste materielle,
kaum nachweisbare Menge die gesundeste Wöchnerin zu tödten
vermag, sich durch lange Zeit mild, wie Mandelmilch verhält,
dann wieder wie verheerender Pesthauch durch die Wochen-
zimmer streift. Denn vom Februar 1841 bis inclusive Sep-
tember 1841, also durch volle acht Monate, dann vom Mai bis
inclusive Juli 1842 blieb die Zahl der Sterbefälle immer und
-- mit Ausnahme zweier Monate -- sogar sehr weit unter 20."

Es zeugt von exacter Wissenschaft, wenn Lumpe nur die
absolute Sterblichkeit berücksichtigt. Kiwisch hatte 27 Todte,
im Wiener Gebärhause starben 730 Wöchnerinnen; folglich
zweifelt Dr. Lumpe nicht, dass Kiwisch einen günstigeren
Gesundheitszustand hatte, als das Wiener Gebärhaus.

*) Dr. Semmelweis erklärt zwar, dass, wie man ihm sagte, zur Zeit
dieser grossen Sterblichkeit die Chlorwaschungen nachlässig gemacht
wurden, ob und wiefern dies richtig sei, darüber muss Dr. Braun,
in dessen Assistenzzeit dieser Monat fällt, zur eigenen Rechtfertigung
genauere Auskunft geben, ich kann auf ein blosses on dit keine
Rücksicht nehmen.

dass demzufolge die Sterblichkeit keine Schwankungen er-
leiden, sondern immer eine gleiche sein müsste, so ist das eine
Behauptung, die alle Merkmale der Lumpe’schen exacten
Wissenschaft an sich trägt.

Dass das Puerperalfieber wirklich nur im Verhältnisse
zur Einbringung zersetzter Stoffe von Aussen entstehe, haben
wir weitläufig genug durch beinahe sieben Druckbögen hin-
durch in dieser Schrift, nämlich von Seite 114 bis Seite 213,
bewiesen.

Dr. Lumpe sagt: »Stellen wir nun damit das Maximum
der Sterblichkeit beim Gebrauch der Chlorwaschungen zu-
sammen — es starben im März 1849 20 Wöchnerinnen *)
so können wir, wenn Semmelweis’s Theorie wahr ist, nur die
über dieses Maximum hinausgehenden, nach logischen Ge-
setzen als Vergiftungsfälle gelten lassen, und wir werden in
consequenter Schlussfolge zu der Behauptung gedrängt, dass
ein Gift, welches so intensiv ist, dass die geringste materielle,
kaum nachweisbare Menge die gesundeste Wöchnerin zu tödten
vermag, sich durch lange Zeit mild, wie Mandelmilch verhält,
dann wieder wie verheerender Pesthauch durch die Wochen-
zimmer streift. Denn vom Februar 1841 bis inclusive Sep-
tember 1841, also durch volle acht Monate, dann vom Mai bis
inclusive Juli 1842 blieb die Zahl der Sterbefälle immer und
— mit Ausnahme zweier Monate — sogar sehr weit unter 20.«

Es zeugt von exacter Wissenschaft, wenn Lumpe nur die
absolute Sterblichkeit berücksichtigt. Kiwisch hatte 27 Todte,
im Wiener Gebärhause starben 730 Wöchnerinnen; folglich
zweifelt Dr. Lumpe nicht, dass Kiwisch einen günstigeren
Gesundheitszustand hatte, als das Wiener Gebärhaus.

*) Dr. Semmelweis erklärt zwar, dass, wie man ihm sagte, zur Zeit
dieser grossen Sterblichkeit die Chlorwaschungen nachlässig gemacht
wurden, ob und wiefern dies richtig sei, darüber muss Dr. Braun,
in dessen Assistenzzeit dieser Monat fällt, zur eigenen Rechtfertigung
genauere Auskunft geben, ich kann auf ein blosses on dit keine
Rücksicht nehmen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0458" n="446"/>
dass demzufolge die Sterblichkeit keine Schwankungen er-<lb/>
leiden, sondern immer eine gleiche sein müsste, so ist das eine<lb/>
Behauptung, die alle Merkmale der Lumpe&#x2019;schen exacten<lb/>
Wissenschaft an sich trägt.</p><lb/>
        <p>Dass das Puerperalfieber wirklich nur im Verhältnisse<lb/>
zur Einbringung zersetzter Stoffe von Aussen entstehe, haben<lb/>
wir weitläufig genug durch beinahe sieben Druckbögen hin-<lb/>
durch in dieser Schrift, nämlich von Seite 114 bis Seite 213,<lb/>
bewiesen.</p><lb/>
        <p>Dr. Lumpe sagt: »Stellen wir nun damit das Maximum<lb/>
der Sterblichkeit beim Gebrauch der Chlorwaschungen zu-<lb/>
sammen &#x2014; es starben im März 1849 20 Wöchnerinnen <note place="foot" n="*)">Dr. Semmelweis erklärt zwar, dass, wie man ihm sagte, zur Zeit<lb/>
dieser grossen Sterblichkeit die Chlorwaschungen nachlässig gemacht<lb/>
wurden, ob und wiefern dies richtig sei, darüber muss Dr. Braun,<lb/>
in dessen Assistenzzeit dieser Monat fällt, zur eigenen Rechtfertigung<lb/>
genauere Auskunft geben, ich kann auf ein blosses on dit keine<lb/>
Rücksicht nehmen.</note> &#x2014;<lb/>
so können wir, wenn Semmelweis&#x2019;s Theorie wahr ist, nur die<lb/>
über dieses Maximum hinausgehenden, nach logischen Ge-<lb/>
setzen als Vergiftungsfälle gelten lassen, und wir werden in<lb/>
consequenter Schlussfolge zu der Behauptung gedrängt, dass<lb/>
ein Gift, welches so intensiv ist, dass die geringste materielle,<lb/>
kaum nachweisbare Menge die gesundeste Wöchnerin zu tödten<lb/>
vermag, sich durch lange Zeit mild, wie Mandelmilch verhält,<lb/>
dann wieder wie verheerender Pesthauch durch die Wochen-<lb/>
zimmer streift. Denn vom Februar 1841 bis inclusive Sep-<lb/>
tember 1841, also durch volle acht Monate, dann vom Mai bis<lb/>
inclusive Juli 1842 blieb die Zahl der Sterbefälle immer und<lb/>
&#x2014; mit Ausnahme zweier Monate &#x2014; sogar sehr weit unter 20.«</p><lb/>
        <p>Es zeugt von exacter Wissenschaft, wenn Lumpe nur die<lb/>
absolute Sterblichkeit berücksichtigt. Kiwisch hatte 27 Todte,<lb/>
im Wiener Gebärhause starben 730 Wöchnerinnen; folglich<lb/>
zweifelt Dr. Lumpe nicht, dass Kiwisch einen günstigeren<lb/>
Gesundheitszustand hatte, als das Wiener Gebärhaus.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[446/0458] dass demzufolge die Sterblichkeit keine Schwankungen er- leiden, sondern immer eine gleiche sein müsste, so ist das eine Behauptung, die alle Merkmale der Lumpe’schen exacten Wissenschaft an sich trägt. Dass das Puerperalfieber wirklich nur im Verhältnisse zur Einbringung zersetzter Stoffe von Aussen entstehe, haben wir weitläufig genug durch beinahe sieben Druckbögen hin- durch in dieser Schrift, nämlich von Seite 114 bis Seite 213, bewiesen. Dr. Lumpe sagt: »Stellen wir nun damit das Maximum der Sterblichkeit beim Gebrauch der Chlorwaschungen zu- sammen — es starben im März 1849 20 Wöchnerinnen *) — so können wir, wenn Semmelweis’s Theorie wahr ist, nur die über dieses Maximum hinausgehenden, nach logischen Ge- setzen als Vergiftungsfälle gelten lassen, und wir werden in consequenter Schlussfolge zu der Behauptung gedrängt, dass ein Gift, welches so intensiv ist, dass die geringste materielle, kaum nachweisbare Menge die gesundeste Wöchnerin zu tödten vermag, sich durch lange Zeit mild, wie Mandelmilch verhält, dann wieder wie verheerender Pesthauch durch die Wochen- zimmer streift. Denn vom Februar 1841 bis inclusive Sep- tember 1841, also durch volle acht Monate, dann vom Mai bis inclusive Juli 1842 blieb die Zahl der Sterbefälle immer und — mit Ausnahme zweier Monate — sogar sehr weit unter 20.« Es zeugt von exacter Wissenschaft, wenn Lumpe nur die absolute Sterblichkeit berücksichtigt. Kiwisch hatte 27 Todte, im Wiener Gebärhause starben 730 Wöchnerinnen; folglich zweifelt Dr. Lumpe nicht, dass Kiwisch einen günstigeren Gesundheitszustand hatte, als das Wiener Gebärhaus. *) Dr. Semmelweis erklärt zwar, dass, wie man ihm sagte, zur Zeit dieser grossen Sterblichkeit die Chlorwaschungen nachlässig gemacht wurden, ob und wiefern dies richtig sei, darüber muss Dr. Braun, in dessen Assistenzzeit dieser Monat fällt, zur eigenen Rechtfertigung genauere Auskunft geben, ich kann auf ein blosses on dit keine Rücksicht nehmen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/458
Zitationshilfe: Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 446. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/458>, abgerufen am 25.11.2024.