bärhause zu bleiben, in den Sectionssaal kommen, um hier eine Zerstreuung zu finden, oder (und was sehr oft geschah) ein armer Rigorosant Inspection hatte, wo er sich auf lange Zeit vom Gebärhause nicht entfernen durfte, daher in den Sec- tionssaal kam, um sich hier Geld aufzutreiben, um dann ein Nachtmahl u. s. w. zu haben, worauf er sich dann entfernte, um seine Inspection fortzusetzen. Doch musste er sich um das erhaltene Geld früher verdient machen, und zwar dadurch, dass er irgend einem Studirenden sein Praeparat verfertigen half. Sehr oft geschah es, dass mein Bruder, welcher damals practische Geburtshilfe studirte, zu mir in den Sectionssaal kam, um mit mir Anatomie an der Leiche zu studiren, oder er half mir das Praeparat, welches ich zur bestimmten Zeit abgeben musste, verfertigen, worauf er sich entfernte, um seine Inspection fortzusetzen. Ich erinnere mich mit meinem Bruder einmal in's Gebärhaus gegangen zu sein, er legte Hut und Stock weg, und untersuchte eine Kreissende; ich fragte ihn, warum er sich früher die Hand mit Fett eingeschmiert habe? Damit die Hand schlüpfrig werde, gab er mir zur Ant- wort. Ich bin überzeugt, dass, würde ich gesehen haben, dass mein Bruder sich mit einer Flüssigkeit seine Hand gewaschen hätte (was nichts anders gewesen wäre, als eine Chlorkalklö- sung), ich eben so neugierig gewesen wäre, zu wissen, was das für eine Flüssigkeit sei; da ich aber das nicht bemerkte, so bedurfte es auch keiner Frage meinerseits, es müsste nur eine Nachlässigkeit von meinem Bruder gewesen sein, welche Nachlässigkeit aber die Folge einer völligen Unwissenheit über die Entstehung des Puerperalfiebers ist, welche Nach- lässigkeit aber allen Gratzer Rigorosanten zugemuthet werden darf, die wieder in einer anderweitigen Ursache zu suchen wäre. Es ist somit ein solcher Rigorosant oder besser gesagt ein solch' fleissiger Besucher des Sectionssaales ein höchst gefährliches Individuum für die Wöchnerinnen, denn sie be- werkstelligen jene Communication zwischen Gebärhaus und Sectionssaal, ja ich möchte sagen zwischen letzterem und in-
bärhause zu bleiben, in den Sectionssaal kommen, um hier eine Zerstreuung zu finden, oder (und was sehr oft geschah) ein armer Rigorosant Inspection hatte, wo er sich auf lange Zeit vom Gebärhause nicht entfernen durfte, daher in den Sec- tionssaal kam, um sich hier Geld aufzutreiben, um dann ein Nachtmahl u. s. w. zu haben, worauf er sich dann entfernte, um seine Inspection fortzusetzen. Doch musste er sich um das erhaltene Geld früher verdient machen, und zwar dadurch, dass er irgend einem Studirenden sein Praeparat verfertigen half. Sehr oft geschah es, dass mein Bruder, welcher damals practische Geburtshilfe studirte, zu mir in den Sectionssaal kam, um mit mir Anatomie an der Leiche zu studiren, oder er half mir das Praeparat, welches ich zur bestimmten Zeit abgeben musste, verfertigen, worauf er sich entfernte, um seine Inspection fortzusetzen. Ich erinnere mich mit meinem Bruder einmal in’s Gebärhaus gegangen zu sein, er legte Hut und Stock weg, und untersuchte eine Kreissende; ich fragte ihn, warum er sich früher die Hand mit Fett eingeschmiert habe? Damit die Hand schlüpfrig werde, gab er mir zur Ant- wort. Ich bin überzeugt, dass, würde ich gesehen haben, dass mein Bruder sich mit einer Flüssigkeit seine Hand gewaschen hätte (was nichts anders gewesen wäre, als eine Chlorkalklö- sung), ich eben so neugierig gewesen wäre, zu wissen, was das für eine Flüssigkeit sei; da ich aber das nicht bemerkte, so bedurfte es auch keiner Frage meinerseits, es müsste nur eine Nachlässigkeit von meinem Bruder gewesen sein, welche Nachlässigkeit aber die Folge einer völligen Unwissenheit über die Entstehung des Puerperalfiebers ist, welche Nach- lässigkeit aber allen Gratzer Rigorosanten zugemuthet werden darf, die wieder in einer anderweitigen Ursache zu suchen wäre. Es ist somit ein solcher Rigorosant oder besser gesagt ein solch’ fleissiger Besucher des Sectionssaales ein höchst gefährliches Individuum für die Wöchnerinnen, denn sie be- werkstelligen jene Communication zwischen Gebärhaus und Sectionssaal, ja ich möchte sagen zwischen letzterem und in-
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bärhause zu bleiben, in den Sectionssaal kommen, um hier
eine Zerstreuung zu finden, oder (und was sehr oft geschah)
ein armer Rigorosant Inspection hatte, wo er sich auf lange
Zeit vom Gebärhause nicht entfernen durfte, daher in den Sec-
tionssaal kam, um sich hier Geld aufzutreiben, um dann ein
Nachtmahl u. s. w. zu haben, worauf er sich dann entfernte,
um seine Inspection fortzusetzen. Doch musste er sich um das
erhaltene Geld früher verdient machen, und zwar dadurch,
dass er irgend einem Studirenden sein Praeparat verfertigen
half. Sehr oft geschah es, dass mein Bruder, welcher damals
practische Geburtshilfe studirte, zu mir in den Sectionssaal
kam, um mit mir Anatomie an der Leiche zu studiren, oder
er half mir das Praeparat, welches ich zur bestimmten Zeit
abgeben musste, verfertigen, worauf er sich entfernte, um
seine Inspection fortzusetzen. Ich erinnere mich mit meinem
Bruder einmal in’s Gebärhaus gegangen zu sein, er legte Hut
und Stock weg, und untersuchte eine Kreissende; ich fragte
ihn, warum er sich früher die Hand mit Fett eingeschmiert
habe? Damit die Hand schlüpfrig werde, gab er mir zur Ant-
wort. Ich bin überzeugt, dass, würde ich gesehen haben, dass
mein Bruder sich mit einer Flüssigkeit seine Hand gewaschen
hätte (was nichts anders gewesen wäre, als eine Chlorkalklö-
sung), ich eben so neugierig gewesen wäre, zu wissen, was
das für eine Flüssigkeit sei; da ich aber das nicht bemerkte,
so bedurfte es auch keiner Frage meinerseits, es müsste nur
eine Nachlässigkeit von meinem Bruder gewesen sein, welche
Nachlässigkeit aber die Folge einer völligen Unwissenheit
über die Entstehung des Puerperalfiebers ist, welche Nach-
lässigkeit aber allen Gratzer Rigorosanten zugemuthet werden
darf, die wieder in einer anderweitigen Ursache zu suchen
wäre. Es ist somit ein solcher Rigorosant oder besser gesagt
ein solch’ fleissiger Besucher des Sectionssaales ein höchst
gefährliches Individuum für die Wöchnerinnen, denn sie be-
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Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/423>, abgerufen am 24.11.2024.
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