Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

duen, Gemüthsaffecte sind demnach keine aetiologischen Mo-
mente des Kindbettfiebers. Scanzoni sagt: "Jedem beschäftig-
ten Arzte werden aus seiner Praxis Beobachtungen zu Gebote
stehen, aus welchen er die Ueberzeugung schöpfen muss, dass
der Gesundheitszustand einer Wöchnerin nicht leicht durch
eine andere auf sie einwirkende Schädlichkeit mehr bedroht
wird, als durch einen heftigen, aufregenden oder deprimirenden
Gemüthsaffect."

Ich bin auch ein beschäftigter Arzt, ich beobachte auch,
dass nicht nur Erst-, sondern auch wiederholt Gebärende von
deprimirenden Gemüthsaffecten, vorzüglich von Todesfurcht
gegen Ende der Schwangerschaft geplagt werden, aber das
Puerperalfieber beobachte ich bei den meiner ärztlichen Vor-
sorge anvertrauten Individuen so selten im Vergleich zur
Häufigkeit der Gemüthsaffecte, dass ich vernünftiger Weise
keinen Zusammenhang annehmen kann zwischen dem seltenen
Puerperalfieber und den häufigen Gemüthsaffecten.

Wenn Scanzoni durch fleissiges Studium dieser Schrift
endlich erkennen wird, was die wahre Ursache des Puerpe-
ralfiebers ist, so wird er gewiss selbst erschrecken über die
Grösse der Gefahr, welcher er die der Pflege seiner Schüler
und Schülerinnen anvertrauten Individuen dadurch aussetzte,
dass er seine Schüler und Schülerinnen als so crasse Ignoran-
ten über die Entstehung des Kindbettfiebers ins praktische
Leben gesendet, und das geschah ja bis zum Jahre 1847 an
allen geburtshilflichen Lehranstalten.

Ist es bei solchen Verhältnissen zu wundern, dass auch
solche inficirt werden, bei welchen ein Gemüthsaffect stattge-
funden?

Scanzoni sagt ferner: "Wir für unseren Theil fürchten
gestützt auf wiederholte Erfahrungen in dieser Beziehung
nichts so sehr, als wenn eine Wöchnerin plötzlich einem hefti-
gen Schrecken, Aerger oder Kummer ausgesetzt wird, denn
es gibt vielleicht keine Lebensphase, in welcher derartige
Affecte nachtheiliger wirken, als das Puerperium.

duen, Gemüthsaffecte sind demnach keine aetiologischen Mo-
mente des Kindbettfiebers. Scanzoni sagt: »Jedem beschäftig-
ten Arzte werden aus seiner Praxis Beobachtungen zu Gebote
stehen, aus welchen er die Ueberzeugung schöpfen muss, dass
der Gesundheitszustand einer Wöchnerin nicht leicht durch
eine andere auf sie einwirkende Schädlichkeit mehr bedroht
wird, als durch einen heftigen, aufregenden oder deprimirenden
Gemüthsaffect.«

Ich bin auch ein beschäftigter Arzt, ich beobachte auch,
dass nicht nur Erst-, sondern auch wiederholt Gebärende von
deprimirenden Gemüthsaffecten, vorzüglich von Todesfurcht
gegen Ende der Schwangerschaft geplagt werden, aber das
Puerperalfieber beobachte ich bei den meiner ärztlichen Vor-
sorge anvertrauten Individuen so selten im Vergleich zur
Häufigkeit der Gemüthsaffecte, dass ich vernünftiger Weise
keinen Zusammenhang annehmen kann zwischen dem seltenen
Puerperalfieber und den häufigen Gemüthsaffecten.

Wenn Scanzoni durch fleissiges Studium dieser Schrift
endlich erkennen wird, was die wahre Ursache des Puerpe-
ralfiebers ist, so wird er gewiss selbst erschrecken über die
Grösse der Gefahr, welcher er die der Pflege seiner Schüler
und Schülerinnen anvertrauten Individuen dadurch aussetzte,
dass er seine Schüler und Schülerinnen als so crasse Ignoran-
ten über die Entstehung des Kindbettfiebers ins praktische
Leben gesendet, und das geschah ja bis zum Jahre 1847 an
allen geburtshilflichen Lehranstalten.

Ist es bei solchen Verhältnissen zu wundern, dass auch
solche inficirt werden, bei welchen ein Gemüthsaffect stattge-
funden?

Scanzoni sagt ferner: »Wir für unseren Theil fürchten
gestützt auf wiederholte Erfahrungen in dieser Beziehung
nichts so sehr, als wenn eine Wöchnerin plötzlich einem hefti-
gen Schrecken, Aerger oder Kummer ausgesetzt wird, denn
es gibt vielleicht keine Lebensphase, in welcher derartige
Affecte nachtheiliger wirken, als das Puerperium.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0387" n="375"/>
duen, Gemüthsaffecte sind demnach keine aetiologischen Mo-<lb/>
mente des Kindbettfiebers. Scanzoni sagt: »Jedem beschäftig-<lb/>
ten Arzte werden aus seiner Praxis Beobachtungen zu Gebote<lb/>
stehen, aus welchen er die Ueberzeugung schöpfen muss, dass<lb/>
der Gesundheitszustand einer Wöchnerin nicht leicht durch<lb/>
eine andere auf sie einwirkende Schädlichkeit mehr bedroht<lb/>
wird, als durch einen heftigen, aufregenden oder deprimirenden<lb/>
Gemüthsaffect.«</p><lb/>
        <p>Ich bin auch ein beschäftigter Arzt, ich beobachte auch,<lb/>
dass nicht nur Erst-, sondern auch wiederholt Gebärende von<lb/>
deprimirenden Gemüthsaffecten, vorzüglich von Todesfurcht<lb/>
gegen Ende der Schwangerschaft geplagt werden, aber das<lb/>
Puerperalfieber beobachte ich bei den meiner ärztlichen Vor-<lb/>
sorge anvertrauten Individuen so selten im Vergleich zur<lb/>
Häufigkeit der Gemüthsaffecte, dass ich vernünftiger Weise<lb/>
keinen Zusammenhang annehmen kann zwischen dem seltenen<lb/>
Puerperalfieber und den häufigen Gemüthsaffecten.</p><lb/>
        <p>Wenn Scanzoni durch fleissiges Studium dieser Schrift<lb/>
endlich erkennen wird, was die wahre Ursache des Puerpe-<lb/>
ralfiebers ist, so wird er gewiss selbst erschrecken über die<lb/>
Grösse der Gefahr, welcher er die der Pflege seiner Schüler<lb/>
und Schülerinnen anvertrauten Individuen dadurch aussetzte,<lb/>
dass er seine Schüler und Schülerinnen als so crasse Ignoran-<lb/>
ten über die Entstehung des Kindbettfiebers ins praktische<lb/>
Leben gesendet, und das geschah ja bis zum Jahre 1847 an<lb/>
allen geburtshilflichen Lehranstalten.</p><lb/>
        <p>Ist es bei solchen Verhältnissen zu wundern, dass auch<lb/>
solche inficirt werden, bei welchen ein Gemüthsaffect stattge-<lb/>
funden?</p><lb/>
        <p>Scanzoni sagt ferner: »Wir für unseren Theil fürchten<lb/>
gestützt auf wiederholte Erfahrungen in dieser Beziehung<lb/>
nichts so sehr, als wenn eine Wöchnerin plötzlich einem hefti-<lb/>
gen Schrecken, Aerger oder Kummer ausgesetzt wird, denn<lb/>
es gibt vielleicht keine Lebensphase, in welcher derartige<lb/>
Affecte nachtheiliger wirken, als das Puerperium.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[375/0387] duen, Gemüthsaffecte sind demnach keine aetiologischen Mo- mente des Kindbettfiebers. Scanzoni sagt: »Jedem beschäftig- ten Arzte werden aus seiner Praxis Beobachtungen zu Gebote stehen, aus welchen er die Ueberzeugung schöpfen muss, dass der Gesundheitszustand einer Wöchnerin nicht leicht durch eine andere auf sie einwirkende Schädlichkeit mehr bedroht wird, als durch einen heftigen, aufregenden oder deprimirenden Gemüthsaffect.« Ich bin auch ein beschäftigter Arzt, ich beobachte auch, dass nicht nur Erst-, sondern auch wiederholt Gebärende von deprimirenden Gemüthsaffecten, vorzüglich von Todesfurcht gegen Ende der Schwangerschaft geplagt werden, aber das Puerperalfieber beobachte ich bei den meiner ärztlichen Vor- sorge anvertrauten Individuen so selten im Vergleich zur Häufigkeit der Gemüthsaffecte, dass ich vernünftiger Weise keinen Zusammenhang annehmen kann zwischen dem seltenen Puerperalfieber und den häufigen Gemüthsaffecten. Wenn Scanzoni durch fleissiges Studium dieser Schrift endlich erkennen wird, was die wahre Ursache des Puerpe- ralfiebers ist, so wird er gewiss selbst erschrecken über die Grösse der Gefahr, welcher er die der Pflege seiner Schüler und Schülerinnen anvertrauten Individuen dadurch aussetzte, dass er seine Schüler und Schülerinnen als so crasse Ignoran- ten über die Entstehung des Kindbettfiebers ins praktische Leben gesendet, und das geschah ja bis zum Jahre 1847 an allen geburtshilflichen Lehranstalten. Ist es bei solchen Verhältnissen zu wundern, dass auch solche inficirt werden, bei welchen ein Gemüthsaffect stattge- funden? Scanzoni sagt ferner: »Wir für unseren Theil fürchten gestützt auf wiederholte Erfahrungen in dieser Beziehung nichts so sehr, als wenn eine Wöchnerin plötzlich einem hefti- gen Schrecken, Aerger oder Kummer ausgesetzt wird, denn es gibt vielleicht keine Lebensphase, in welcher derartige Affecte nachtheiliger wirken, als das Puerperium.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/387
Zitationshilfe: Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/387>, abgerufen am 25.11.2024.