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Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861.

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stirt, und eben deshalb wäre es wünschenswerth gewesen,
dass die Untersuchung mit weniger Indifferentismus über die
Frage um die verschiedene Quelle, Natur und Wirkung der
cadaverischen Infectionsstoffe hinweggegangen wäre."

Auf diesen ersten Punkt können wir Folgendes antworten:
Wir haben den Brief weder selbst geschrieben, noch vor seiner
Absendung gelesen, glauben aber, dass er so gar undeutlich
nicht gewesen sein mag, weil Michaelis sich vollkommen
orientirt.

Jede Leiche ohne Rücksicht auf die Krankheit, welche den
Tod veranlasst, ist geeignet, das Kindbettfieber hervorzurufen;
es ist mithin das Kindbettfieber keine contagiöse Krankheit,
sondern das Kindbettfieber ist eine Pyaemie, wie selbe Expe-
rimentatoren an Thieren auch hervorbringen, und obwohl es
gewiss ist, dass das Puerperalfieber auch unter mehreren an-
dern Formen sich manifestirt, so ist es doch gewiss, dass diese
Fälle auf dieselbe Art entstehen, wie die Fälle von Pyaemie.
Die Puerperalfieber-Formen, welche maninsbesondere Pyaemie
nennt, sind seltener, als die Fälle von Puerperalfiebern, die
unter anderen Formen verlaufen; an der 1. Gebärklinik
schwankte die Sterblichkeit (siehe Tab. Nr. I., Seite 3), inner-
halb sechs Jahren zwischen 237 und 518 Todten, durch die
Chlorwaschungen wurde im Jahre 1848 die Sterblichkeit auf
45 Todte herabgedrückt, die 192 und 473 Todesfälle mehr
waren gewiss nicht alle durch diese Form bedingt, welche man
Pyaemie nennt, sondern durch manche andere Formen, und
doch wurden selbe durch die Chlorwaschungen auch verhütet,
als Beweis, dass sie dieselbe Ursache hatten; warum aber der
zersetzte, resorbirte Stoff einmal die Form, welche insbesondere
Pyaemie genannt wird, ein anderesmal aber eine andere Form
erzeugt, das wissen wir nicht.

Vielleicht liegt der Grund in den verschiedenen Fäulniss-
graden des zersetzten Stoffes, vielleicht in der verschiedenen
Reactionsfähigkeit des Organismus.

Wenn Prof. Lewy ferners sagt, da das Puerperalfieber

stirt, und eben deshalb wäre es wünschenswerth gewesen,
dass die Untersuchung mit weniger Indifferentismus über die
Frage um die verschiedene Quelle, Natur und Wirkung der
cadaverischen Infectionsstoffe hinweggegangen wäre.“

Auf diesen ersten Punkt können wir Folgendes antworten:
Wir haben den Brief weder selbst geschrieben, noch vor seiner
Absendung gelesen, glauben aber, dass er so gar undeutlich
nicht gewesen sein mag, weil Michaelis sich vollkommen
orientirt.

Jede Leiche ohne Rücksicht auf die Krankheit, welche den
Tod veranlasst, ist geeignet, das Kindbettfieber hervorzurufen;
es ist mithin das Kindbettfieber keine contagiöse Krankheit,
sondern das Kindbettfieber ist eine Pyaemie, wie selbe Expe-
rimentatoren an Thieren auch hervorbringen, und obwohl es
gewiss ist, dass das Puerperalfieber auch unter mehreren an-
dern Formen sich manifestirt, so ist es doch gewiss, dass diese
Fälle auf dieselbe Art entstehen, wie die Fälle von Pyaemie.
Die Puerperalfieber-Formen, welche maninsbesondere Pyaemie
nennt, sind seltener, als die Fälle von Puerperalfiebern, die
unter anderen Formen verlaufen; an der 1. Gebärklinik
schwankte die Sterblichkeit (siehe Tab. Nr. I., Seite 3), inner-
halb sechs Jahren zwischen 237 und 518 Todten, durch die
Chlorwaschungen wurde im Jahre 1848 die Sterblichkeit auf
45 Todte herabgedrückt, die 192 und 473 Todesfälle mehr
waren gewiss nicht alle durch diese Form bedingt, welche man
Pyaemie nennt, sondern durch manche andere Formen, und
doch wurden selbe durch die Chlorwaschungen auch verhütet,
als Beweis, dass sie dieselbe Ursache hatten; warum aber der
zersetzte, resorbirte Stoff einmal die Form, welche insbesondere
Pyaemie genannt wird, ein anderesmal aber eine andere Form
erzeugt, das wissen wir nicht.

Vielleicht liegt der Grund in den verschiedenen Fäulniss-
graden des zersetzten Stoffes, vielleicht in der verschiedenen
Reactionsfähigkeit des Organismus.

Wenn Prof. Lewy ferners sagt, da das Puerperalfieber

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[295/0307] stirt, und eben deshalb wäre es wünschenswerth gewesen, dass die Untersuchung mit weniger Indifferentismus über die Frage um die verschiedene Quelle, Natur und Wirkung der cadaverischen Infectionsstoffe hinweggegangen wäre.“ Auf diesen ersten Punkt können wir Folgendes antworten: Wir haben den Brief weder selbst geschrieben, noch vor seiner Absendung gelesen, glauben aber, dass er so gar undeutlich nicht gewesen sein mag, weil Michaelis sich vollkommen orientirt. Jede Leiche ohne Rücksicht auf die Krankheit, welche den Tod veranlasst, ist geeignet, das Kindbettfieber hervorzurufen; es ist mithin das Kindbettfieber keine contagiöse Krankheit, sondern das Kindbettfieber ist eine Pyaemie, wie selbe Expe- rimentatoren an Thieren auch hervorbringen, und obwohl es gewiss ist, dass das Puerperalfieber auch unter mehreren an- dern Formen sich manifestirt, so ist es doch gewiss, dass diese Fälle auf dieselbe Art entstehen, wie die Fälle von Pyaemie. Die Puerperalfieber-Formen, welche maninsbesondere Pyaemie nennt, sind seltener, als die Fälle von Puerperalfiebern, die unter anderen Formen verlaufen; an der 1. Gebärklinik schwankte die Sterblichkeit (siehe Tab. Nr. I., Seite 3), inner- halb sechs Jahren zwischen 237 und 518 Todten, durch die Chlorwaschungen wurde im Jahre 1848 die Sterblichkeit auf 45 Todte herabgedrückt, die 192 und 473 Todesfälle mehr waren gewiss nicht alle durch diese Form bedingt, welche man Pyaemie nennt, sondern durch manche andere Formen, und doch wurden selbe durch die Chlorwaschungen auch verhütet, als Beweis, dass sie dieselbe Ursache hatten; warum aber der zersetzte, resorbirte Stoff einmal die Form, welche insbesondere Pyaemie genannt wird, ein anderesmal aber eine andere Form erzeugt, das wissen wir nicht. Vielleicht liegt der Grund in den verschiedenen Fäulniss- graden des zersetzten Stoffes, vielleicht in der verschiedenen Reactionsfähigkeit des Organismus. Wenn Prof. Lewy ferners sagt, da das Puerperalfieber

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Zitationshilfe: Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/307>, abgerufen am 22.11.2024.