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Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861.

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Kiel, den 25. September 1858.

Von einer Reise zurückgekehrt, finde ich Ihren Brief
vor, und beeile mich, denselben noch in der Kürze zu beant-
worten. Während der zehn Jahre, dass ich Vorsteher der hie-
sigen Gebäranstalt bin, habe ich nach Kräften jede Gelegen-
heit zu einer Infection der Wöchnerinnen durch Leichengift
zu vermeiden gesucht, mich nebst meinem Assistenten von
jeder unmittelbaren Betheiligung bei Sectionen fern gehalten,
und die Studierenden die bekannten Vorsichtsmassregeln
beobachten lassen. Ich bin in der That bezüglich des Pueperal-
fiebers glücklicher gewesen als mein Vorgänger und habe
wenige Opfer zu beklagen gehabt.

Den Hauptgrund dieses günstigen Verhältnisses suche
ich jedoch in der Vorsicht, mit der ich jede Ueberfüllung der
Anstalt mit Wöchnerinnen zu verhüten bemüht gewesen bin.
Die Anstalt zählt acht oder eigentlich nur sieben Einzel-
zimmer für Wöchnerinnen. Der Regel nach hat jede Wöch-
nerin die ersten 5--7 Tage ihr Zimmer für sich, welches ihr
auch als Geburtszimmer gedient hat, erst in der zweiten Woche
des Puerperismus werden zwei Wöchnerinnen in ein Zimmer
gelegt. Die Erfahrung hat gezeigt, dass, wenn die Zahl der
Wöchnerinnen eine Zeit lang sich über zehn erhob, so dass
schon in den ersten Tagen des Wochenbettes zwei Wöchne-
rinnen zusammengelegt werden mussten, und die benützten
Zimmer ohne ausreichende Lüftung sofort wieder belegt
wurden, sofort das Kindbettfieber sich zeigte. Ich habe daher
die Aufnahme so weit zu beschränken gesucht, dass nament-
lich in den Wintermonaten die Zahl der Wöchnerinnen nicht
auf längere Zeit über zehn stieg, habe im Nothfalle die
Gebärenden in Privatlocalitäten, die ich in der Nähe der
Anstalt gemiethet hatte, verlegt, und dort ihr Wochenbett
abhalten lassen, und bin zu letzterer Massregel immer dann
geschritten, wenn Fälle von Kindbettfieber in der Anstalt
auftraten. Diese Vorsicht hatte Michaelis nicht beobachtet,
die Zahl der jährlich vorkommenden Geburten betrug unter

Semmelweis, Kindbettfieber. 19

Kiel, den 25. September 1858.

Von einer Reise zurückgekehrt, finde ich Ihren Brief
vor, und beeile mich, denselben noch in der Kürze zu beant-
worten. Während der zehn Jahre, dass ich Vorsteher der hie-
sigen Gebäranstalt bin, habe ich nach Kräften jede Gelegen-
heit zu einer Infection der Wöchnerinnen durch Leichengift
zu vermeiden gesucht, mich nebst meinem Assistenten von
jeder unmittelbaren Betheiligung bei Sectionen fern gehalten,
und die Studierenden die bekannten Vorsichtsmassregeln
beobachten lassen. Ich bin in der That bezüglich des Pueperal-
fiebers glücklicher gewesen als mein Vorgänger und habe
wenige Opfer zu beklagen gehabt.

Den Hauptgrund dieses günstigen Verhältnisses suche
ich jedoch in der Vorsicht, mit der ich jede Ueberfüllung der
Anstalt mit Wöchnerinnen zu verhüten bemüht gewesen bin.
Die Anstalt zählt acht oder eigentlich nur sieben Einzel-
zimmer für Wöchnerinnen. Der Regel nach hat jede Wöch-
nerin die ersten 5—7 Tage ihr Zimmer für sich, welches ihr
auch als Geburtszimmer gedient hat, erst in der zweiten Woche
des Puerperismus werden zwei Wöchnerinnen in ein Zimmer
gelegt. Die Erfahrung hat gezeigt, dass, wenn die Zahl der
Wöchnerinnen eine Zeit lang sich über zehn erhob, so dass
schon in den ersten Tagen des Wochenbettes zwei Wöchne-
rinnen zusammengelegt werden mussten, und die benützten
Zimmer ohne ausreichende Lüftung sofort wieder belegt
wurden, sofort das Kindbettfieber sich zeigte. Ich habe daher
die Aufnahme so weit zu beschränken gesucht, dass nament-
lich in den Wintermonaten die Zahl der Wöchnerinnen nicht
auf längere Zeit über zehn stieg, habe im Nothfalle die
Gebärenden in Privatlocalitäten, die ich in der Nähe der
Anstalt gemiethet hatte, verlegt, und dort ihr Wochenbett
abhalten lassen, und bin zu letzterer Massregel immer dann
geschritten, wenn Fälle von Kindbettfieber in der Anstalt
auftraten. Diese Vorsicht hatte Michaelis nicht beobachtet,
die Zahl der jährlich vorkommenden Geburten betrug unter

Semmelweis, Kindbettfieber. 19
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[289/0301] Kiel, den 25. September 1858. Von einer Reise zurückgekehrt, finde ich Ihren Brief vor, und beeile mich, denselben noch in der Kürze zu beant- worten. Während der zehn Jahre, dass ich Vorsteher der hie- sigen Gebäranstalt bin, habe ich nach Kräften jede Gelegen- heit zu einer Infection der Wöchnerinnen durch Leichengift zu vermeiden gesucht, mich nebst meinem Assistenten von jeder unmittelbaren Betheiligung bei Sectionen fern gehalten, und die Studierenden die bekannten Vorsichtsmassregeln beobachten lassen. Ich bin in der That bezüglich des Pueperal- fiebers glücklicher gewesen als mein Vorgänger und habe wenige Opfer zu beklagen gehabt. Den Hauptgrund dieses günstigen Verhältnisses suche ich jedoch in der Vorsicht, mit der ich jede Ueberfüllung der Anstalt mit Wöchnerinnen zu verhüten bemüht gewesen bin. Die Anstalt zählt acht oder eigentlich nur sieben Einzel- zimmer für Wöchnerinnen. Der Regel nach hat jede Wöch- nerin die ersten 5—7 Tage ihr Zimmer für sich, welches ihr auch als Geburtszimmer gedient hat, erst in der zweiten Woche des Puerperismus werden zwei Wöchnerinnen in ein Zimmer gelegt. Die Erfahrung hat gezeigt, dass, wenn die Zahl der Wöchnerinnen eine Zeit lang sich über zehn erhob, so dass schon in den ersten Tagen des Wochenbettes zwei Wöchne- rinnen zusammengelegt werden mussten, und die benützten Zimmer ohne ausreichende Lüftung sofort wieder belegt wurden, sofort das Kindbettfieber sich zeigte. Ich habe daher die Aufnahme so weit zu beschränken gesucht, dass nament- lich in den Wintermonaten die Zahl der Wöchnerinnen nicht auf längere Zeit über zehn stieg, habe im Nothfalle die Gebärenden in Privatlocalitäten, die ich in der Nähe der Anstalt gemiethet hatte, verlegt, und dort ihr Wochenbett abhalten lassen, und bin zu letzterer Massregel immer dann geschritten, wenn Fälle von Kindbettfieber in der Anstalt auftraten. Diese Vorsicht hatte Michaelis nicht beobachtet, die Zahl der jährlich vorkommenden Geburten betrug unter Semmelweis, Kindbettfieber. 19

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Zitationshilfe: Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/301>, abgerufen am 22.11.2024.