nämlich: es ist eine bekannte Thatsache, dass Verletzungen bei Sectionen Pyaemie nach sich ziehen können, und da der Leichenbefund bei an Pyaemie Verstorbenen identisch ist mit dem Leichenbefunde von am Kindbettfieber Verstorbenen, so ist das Kindbettfieber dieselbe Krankheit; wenn es dieselbe Krankheit ist, so muss sie dieselbe Ursache haben, dieselbe Ursache ist unzweifelheft am häufigsten an den Händen der Aerzte vorfindig; wenn nun noch durch die Entfernung dieser Ursache die Wirkung auch verschwindet, so ist die Sache keinem Zweifel mehr unterworfen.
So weit war die Sache von Anbeginn veröffentlicht, und man sollte im Vorhinein glauben, dass für Männer der Wissen- schaft, deren Lebenszweck Rettung von Menschenleben ist, solche Andeutungen genügen werden, um zu ernstem Nach- denken aufzufordern, besonders wo es sich um eine Krankheit handelt, von welcher Alle einstimmig nur mit Entsetzen sprechen; man sollte glauben, dass bei der Klarheit der Sache selbe einstimmig für wahr erklärt, und darnach gehandelt werde.
Die Erfahrung hat uns anders gelehrt; die überaus grösste Anzahl von medicinischen Hörsälen wiederhallt noch immer von Vorträgen über epidemisches Kindbettfieber, und von Philippiken gegen meine Lehre, dadurch werden fort und fort Generationen neuer Infectoren ins praktische Leben gesendet, und es ist nicht abzusehen, wann der letzte Dorf- chirurg und die letzte Dorfhebamme das letzte Mal inficiren werden.
Die medicinische Literatur der letzten zwölf Jahre strotzt noch immer von Berichten über beobachtete Puerperal- Epidemien, und in Wien, an der Geburtsstätte meiner Lehre, sind im Jahre 1854 wieder 400 Wöchnerinnen dem Kindbett- fieber erlegen; in den erschienenen medicinischen Werken wird entweder meine Lehre ignorirt oder angegriffen, die medicinische Facultät zu Würzburg hat eine im Jahre 1859 erschienene Monographie über die Pathologie des Kindbett-
nämlich: es ist eine bekannte Thatsache, dass Verletzungen bei Sectionen Pyaemie nach sich ziehen können, und da der Leichenbefund bei an Pyaemie Verstorbenen identisch ist mit dem Leichenbefunde von am Kindbettfieber Verstorbenen, so ist das Kindbettfieber dieselbe Krankheit; wenn es dieselbe Krankheit ist, so muss sie dieselbe Ursache haben, dieselbe Ursache ist unzweifelheft am häufigsten an den Händen der Aerzte vorfindig; wenn nun noch durch die Entfernung dieser Ursache die Wirkung auch verschwindet, so ist die Sache keinem Zweifel mehr unterworfen.
So weit war die Sache von Anbeginn veröffentlicht, und man sollte im Vorhinein glauben, dass für Männer der Wissen- schaft, deren Lebenszweck Rettung von Menschenleben ist, solche Andeutungen genügen werden, um zu ernstem Nach- denken aufzufordern, besonders wo es sich um eine Krankheit handelt, von welcher Alle einstimmig nur mit Entsetzen sprechen; man sollte glauben, dass bei der Klarheit der Sache selbe einstimmig für wahr erklärt, und darnach gehandelt werde.
Die Erfahrung hat uns anders gelehrt; die überaus grösste Anzahl von medicinischen Hörsälen wiederhallt noch immer von Vorträgen über epidemisches Kindbettfieber, und von Philippiken gegen meine Lehre, dadurch werden fort und fort Generationen neuer Infectoren ins praktische Leben gesendet, und es ist nicht abzusehen, wann der letzte Dorf- chirurg und die letzte Dorfhebamme das letzte Mal inficiren werden.
Die medicinische Literatur der letzten zwölf Jahre strotzt noch immer von Berichten über beobachtete Puerperal- Epidemien, und in Wien, an der Geburtsstätte meiner Lehre, sind im Jahre 1854 wieder 400 Wöchnerinnen dem Kindbett- fieber erlegen; in den erschienenen medicinischen Werken wird entweder meine Lehre ignorirt oder angegriffen, die medicinische Facultät zu Würzburg hat eine im Jahre 1859 erschienene Monographie über die Pathologie des Kindbett-
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nämlich: es ist eine bekannte Thatsache, dass Verletzungen
bei Sectionen Pyaemie nach sich ziehen können, und da der
Leichenbefund bei an Pyaemie Verstorbenen identisch ist mit
dem Leichenbefunde von am Kindbettfieber Verstorbenen, so
ist das Kindbettfieber dieselbe Krankheit; wenn es dieselbe
Krankheit ist, so muss sie dieselbe Ursache haben, dieselbe
Ursache ist unzweifelheft am häufigsten an den Händen der
Aerzte vorfindig; wenn nun noch durch die Entfernung dieser
Ursache die Wirkung auch verschwindet, so ist die Sache
keinem Zweifel mehr unterworfen.
So weit war die Sache von Anbeginn veröffentlicht, und
man sollte im Vorhinein glauben, dass für Männer der Wissen-
schaft, deren Lebenszweck Rettung von Menschenleben ist,
solche Andeutungen genügen werden, um zu ernstem Nach-
denken aufzufordern, besonders wo es sich um eine Krankheit
handelt, von welcher Alle einstimmig nur mit Entsetzen
sprechen; man sollte glauben, dass bei der Klarheit der Sache
selbe einstimmig für wahr erklärt, und darnach gehandelt
werde.
Die Erfahrung hat uns anders gelehrt; die überaus
grösste Anzahl von medicinischen Hörsälen wiederhallt noch
immer von Vorträgen über epidemisches Kindbettfieber, und
von Philippiken gegen meine Lehre, dadurch werden fort und
fort Generationen neuer Infectoren ins praktische Leben
gesendet, und es ist nicht abzusehen, wann der letzte Dorf-
chirurg und die letzte Dorfhebamme das letzte Mal inficiren
werden.
Die medicinische Literatur der letzten zwölf Jahre
strotzt noch immer von Berichten über beobachtete Puerperal-
Epidemien, und in Wien, an der Geburtsstätte meiner Lehre,
sind im Jahre 1854 wieder 400 Wöchnerinnen dem Kindbett-
fieber erlegen; in den erschienenen medicinischen Werken
wird entweder meine Lehre ignorirt oder angegriffen, die
medicinische Facultät zu Würzburg hat eine im Jahre 1859
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Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/286>, abgerufen am 22.11.2024.
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